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Die Feen   24.05.2013   Leipzig, Oper
von rls

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Das Phänomen, anläßlich eines runden Geburtstages auch selten gespielte oder gar vergessene Werke eines Komponisten aufzuführen, ist nicht neu, und man trifft es selbst bei solchen Komponisten an, deren Werkkanon eigentlich recht übersichtlich ist. Nehmen wir als Exempel mal Richard Wagner her: Von seinen drei frühen Opern, die der Meister höchstselbst von der Wiedergabe im geheiligten Bayreuther Rahmen ausschloß, taucht "Rienzi", sein Drittling, mit dem er weiland in Dresden erstmals einen lang ersehnten Erfolg feierte, der sich gar zum richtigen Durchbruch entwickeln sollte, relativ häufig auf den Spielplänen der Opernhäuser auf und war beispielsweise die erste Oper, die in Leipzig nach der 2007er Generalsanierung des Opernhauses auf die Bühne kam. Den Zweitling "Das Liebesverbot" und den Erstling "Die Feen" allerdings findet man kaum in irgendeinem Opernspielplan, und das Programmheft zur 2013er Leipziger Inszenierung des letztgenannten Werkes braucht deshalb nicht einmal zwei Seiten, um alle bekannten Inszenierungen des Werkes aufzuzählen, obwohl "Die Feen" gegen Ende des 19. Jahrhunderts nach seiner Wiederentdeckung (es war zu Lebzeiten Wagners nirgendwo erklungen) die meistgespielte Wagner-Oper in München gewesen sein soll. Auch in Leipzig konzentrierte man sich auf andere Wagner-Werke, und so fand die erste und bis 2013 auch letzte Inszenierung dieser Oper in der Messestadt anno 1938 statt, schon damals in einem Jubiläumskontext, nämlich den Feierlichkeiten zum 125. Geburtstag des Komponisten - am Pult stand der legendäre Paul Schmitz, der ein halbes Jahrhundert lang, wenngleich mit Unterbrechungen, das Leipziger Opernleben prägen sollte, aber dann vor Joachim Herz' "Jahrhundert-Ring" offiziell aus Altersgründen abserviert wurde. Aber selbst im Wagner-Jubiläumsjahr 2013 sind die Leipziger "Feen" die einzige szenische Aufführung dieser Oper, was für die Obskurität des Werkes spricht.
Interessanterweise erweist sich der Dreiakter als eine Art Keimzelle vieler weiterer Wagner-Werke - es findet sich ein voluminöses Konglomerat von Elementen, die Wagner in späteren Opern weiterentwickeln, schärfen, herausarbeiten oder einfach wiederholen sollte, unter denen das auffälligste sicherlich die "Niemals sollst du mich befragen"-Bedingung für ein Liebespaar ist, die später in "Lohengrin" einen Grundpfeiler der Handlung darstellt und in "Die Feen" zwar nur nebensächlich dargestellt wird, in Wahrheit aber ebenfalls eine Grundbedingung für das nachfolgende Geschehen ist. Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen Königssohn, der auf der Jagd zufällig ins Feenreich gerät, sich dort ungefähr genauso sehr in eine Fee verknallt wie diese in ihn, aber für diese unstandesgemäße Beziehung vom Feenkönig die Bedingung auferlegt bekommt, seine Frau acht Jahre lang niemals zu befragen, wer sie sei. Wie üblich geht das genau am letzten Tag schief, zwei andere Feen spinnen Ränke, um die Beziehung zu beenden, und im Königreich auf der Erde geht unterdessen auch alles schief, was nur schief gehen kann. Letzterer Konfliktkomplex ist am Ende des zweiten Aktes der erste, der aufgelöst wird - die das Königreich bedrohenden Feinde sind geschlagen, ein Verräter in den eigenen Reihen konnte entlarvt werden, und die Schwester des Königssohnes bekommt ihren Geliebten, der als Feldherr die Feinde in die Flucht getrieben hat. Nur der Königssohn, der die letzten Prüfungen der acht Jahre nicht bestanden hat, verfällt dem Wahnsinn, und seine Frau wird in Stein verwandelt, schafft es aber trotzdem, ihm noch eine Nachricht zukommen zu lassen, und der Haus- und Hofzauberer sorgt für ein Waffenarsenal, mit dem der Königssohn letztlich den Versteinerungsbann brechen kann (die Wachen werden klassisch niedergemetzelt, aber den Bann bricht das Spiel auf einer Leier - Orpheus läßt grüßen). Letztlich erweist sich der lange Arm des Feengesetzes aber trotzdem als stärker - der Königssohn darf nicht mit seiner Frau und den zwei Kindern auf die Erde zurückkehren, aber ihm wird die Unsterblichkeit einer Fee verliehen und er damit offiziell ins Feenreich aufgenommen.
Solch bunter und phantastischer Stoff (das Libretto schrieb Wagner wie bei seinen späteren Opern selbst, wobei er sich auf eine Geschichte von Carlo Gozzi stützte) bietet der Inszenierungsfraktion natürlich reichlich Steilvorlagen - und darin liegt zugleich eine Chance wie ein Problem. Das Leipziger Publikum ist dafür bekannt, bei dem Namen "Wagner" Historienfestspiele zu erwarten und negativ zu reagieren, wenn es diese nicht bekommt. Hier nun ist das frankokanadische Duo Renaud Doucet (Inszenierung)/André Barbe (Bühne, Kostüme) am Werk, und es teilt die Oper quasi in mehrere Ebenen, von denen eine Art Rahmenhandlung in der Jetztzeit spielt, wo sich der Familienvater ins Wohnzimmer begibt, um auf MDR Figaro eine von Bettina Volksdorf angesagte Produktion von "Die Feen" anzuhören, in die er dann aber plötzlich als Königssohn hineingesogen wird. Im Kontext der sich dann entwickelnden Historienfestspiele (auch diese wieder auf zwei Ebenen: Mittelalter und 19. Jahrhundert) ist er somit der einzige Protagonist in jetztzeitiger Kleidung, auch wenn diverse Handlungselemente in der Wohnung der rezenten Familie stattfinden und ohne ironische Brechung auskommen, etwa wenn Gernot, der Knappe des mittelalterlichen Königssohnes, sich wie selbstverständlich im Kühlschrank bedient. Das Feenreich wiederum ist so gestaltet, wie man sich ein solches in der Zeit der Romantik vorstellte, und als Landschaftselemente tauchen u.a. klassische Waldhufenfluren auf, während ganz zum Schluß der Feenkönig von oben auf einem von einem Schmetterling getragenen Thron ins Bild geschwebt kommt - plakativer kann man solche Situationen kaum umsetzen, und sowas muß man sich anno 2013 erstmal trauen. Doucet/Barbé tun's und werden belohnt, wenn man die fünfte Vorstellung als Maßstab nimmt - der Rezensent kann nicht beurteilen, wie die Stimmung in den ersten vieren, die er allesamt nicht in seinem Terminkalender unterbringen konnte, war, aber an diesem Abend herrscht im ausverkauften Rund einhellige Begeisterung, wenngleich der letzte Jubelkick fehlt.

Arnold Bezuyen, Christiane Libor  Milcho Borovinov, Detlef Roth, Guy Mannheim

Jean Broekhuizen, Viktorija Kaminskaite, Christiane Libor  Igor Durlovski

Die komplette Mannschaft  Der Feenchor

Christiane Libor  Eun Yee You

Ulf Schirmer
Vielleicht ist für letztgenannten Aspekt auch die musikalische Komponente mitverantwortlich. Hatte knapp drei Wochen vorher Ulf Schirmer im "Rheingold" eine Meisterleistung bezüglich Orchestertransparenz und Sängerentfaltungsmöglichkeiten abgeliefert, so kann er diese an diesem Abend leider nicht wiederholen. Das Orchester ist hörbar angespannt und nervös, was seinen Niederschlag schon in diversen verpatzten Einsätzen in der Ouvertüre findet, auch im weiteren Verlaufe der Oper gelingt die Feinabstimmung der Orchester- und Gesangseinsätze etliche Male nicht, und dann bleibt da noch das große Wagner-Problem, daß die Sänger in bestimmten dramatischen Momenten gegen ein brodelndes und tobendes Orchester ansingen müssen, das transparent genug für eine entsprechende Durchhörbarkeit zu gestalten eine der schwierigsten Aufgaben für einen Dirigenten überhaupt ist. Ulf Schirmer hat wiederholt bewiesen, daß er diese Aufgabe meistern kann (zuletzt wie erwähnt im "Rheingold"), aber an diesem Abend gelingt es ihm weniger. Arnold Bezuyen als Königssohn Arindal hat schon in seiner ersten Gesangsszene arge Probleme, sich Gehör zu verschaffen, muß häufiger Vollgas geben, als es gut für seine Stimme ist, und die ermüdet dann irgendwann, so daß er die Höhen gegen Ende nur noch unter Schwierigkeiten erreicht. Christiane Libor als Ada, seine Frau, steht prinzipiell vor ähnlichen Problemen, aber ihre Stimme hält durch. Eun Yee You als Arindals Schwester Lora wiederum hört man, sobald sie nicht an der vorderen Rampe steht, nur noch ganz distanziert, was hier im Gegensatz zur exzellent gelösten Szene, als die versteinerte Ada dem wahnsinnigen Arindal eine verschlüsselte Botschaft zukommen läßt, wohl kein Stilmittel gewesen sein dürfte. Milcho Borovinov als Gernot spielt den ambivalentesten Part - einesteils hat er hörbare Probleme mit der deutschen Aussprache, andererseits singt er gut und ist zudem an den zwei markantesten Nummern der Oper beteiligt, nämlich dem witzigen Buffoduett mit seiner Geliebten Drolla (unauffällig, aber gut: Jennifer Porto) und seiner Hexenerzählung im ersten Akt, die auch auf jeden Mittelaltermarkt passen würde. Jean Broekhuizen und Viktorija Kaminskaite machen ihre Sache als intrigante Feen durchaus gut, wenngleich man vielleicht noch einen Tick mehr Verschlagenheit von ihnen erwartet hätte und Doucet zum Schluß spürbar nicht mehr weiß, was er mit ihnen anfangen soll, so daß sie ziellos über die Bühne irren, was keine gestalterische Absicht gewesen sein dürfte. Da gelingen die Massenszenen deutlich besser, und Alessandro Zuppardo hat den Opernchor wieder mal zu einer Klasseleistung geführt (die erwähnten Abstimmungsprobleme, beispielsweise im Chor der Erdgeister, seien indes nicht vergessen), wobei Wagner allerdings auch dankbare Steilvorlagen geliefert hat, die bis zu mehrmaligen Fugenstrukturen reichen. Man vergegenwärtige sich nochmals: Ein 20jähriger kompositorischer Mehr-oder-weniger-Autodidakt schreibt eine handwerklich gekonnte und phantasiereiche, auch in der Fassung dieses Abends noch knapp vierstündige Oper, die seine Vorbilder nicht verleugnet (vor allem Weber läßt freundlich grüßen), aber auch schon weit in die eigene Zukunft weist. Insofern sind "Die Feen" eine Entdeckung, der es nicht zu wünschen wäre, daß sie bis zum nächsten Wagner-Jubiläum wieder in der Versenkung verschwinden. Wer die Leipziger Aufführungen verpaßt hat, bekommt zumindest eine partielle Nachholchance: Die Produktion gastiert im Juli 2013 sogar im heiligen Bayreuth - allerdings dort nur konzertant.

Fotos: Tom Schulze/Oper Leipzig (1, 2, 4, 8, 9); Kirsten Nijhof/Oper Leipzig (alle anderen)



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