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Agalloch, Fen   01.05.2013   Leipzig, Moritzbastei
von rls

"Am 1. Mai werden die Kartoffeln gelegt", lautet eine alte landwirtschaftliche Weisheit. Der Rezensent beherzigt diese auch, wird aber mit dieser Tätgkeit nicht rechtzeitig fertig und trifft somit erst 20.30 Uhr in den Katakomben der Moritzbastei ein, obwohl die Homepage des Clubs 20.00 Uhr als Startzeit ausgewiesen hat. Er staunt dann allerdings die berühmten Bauklötze, als er einen langen verzerrten und verfremdete Gitarrenton hört, der von John Haughm erzeugt wird - das ist also schon das Intro des Agalloch-Konzertes. Des Rätsels Lösung findet sich auf dem Timerider und auf der kreidebeschrifteten Tafel neben dem Eingang zur Veranstaltungstonne: Fen, die britische Supportband, haben schon 19.30 Uhr beginnen müssen, also eine halbe Stunde vor ausgewiesenem Beginn, und sind planmäßig 20.15 Uhr wieder von der Bühne gegangen, so daß der Rezensent also selbst bei pünktlichem Eintreffen nur noch das letzte Drittel ihres Auftrittes mitbekommen hätte. Zeit zum Überlegen, was man da verpaßt haben könnte, bleibt allerdings auch nur in überschaubaren Maßen, denn im reichlichen Minutentakt kommen die drei anderen Agalloch-Musiker auf die Bühne, und das Konzert beginnt - oder vielleicht auch noch nicht? Lange Zeit hört sich das Ganze nämlich eher wie ein ausgedehntes Intro an - aber das dient bei Agalloch als kompositorisches Stilmittel, und nicht selten beginnt Haughm irgendwann doch noch zu singen, obwohl man sich seelisch und moralisch schon auf ein Instrumentalstück eingerichtet hat. Der Soundmensch bringt es allerdings fertig, nach anfänglichen Problemen (vor allem die Snare ist zu laut, und die Gitarren erzeugen bisweilen ungeplante Rückkopplungen) bald ein sehr klares und transparentes Klangbild zu erzeugen - mit einer Ausnahme: Haughms Kreischgesang steht derart weit im Hintergrund, daß er wie eine Stimme aus nebliger Ferne klingt. Das dürfte zwar nicht so beabsichtigt gewesen sein, verleiht dem eigentümlichen Soundgebräu an diesem Abend aber eine besondere Note, und nur bei den gelegentlichen Klargesangspassagen ist's schade, daß diese durch ebenjenes Problem nicht so zur Wirkung kommen wie geplant bzw. wünschenswert. Doom-Puristen waren Agalloch ja noch nie, aber sie haben mittlerweile auch äußerst vielschichtige Kompositionen an Deck, die temposeitig auf engstem Raum alles vom düsteren, aber irgendwie warmen Geschleiche bis zu wildem, aber auch nicht wirklich bedrohlichem Geprügel abdecken. Das ist das Interessante an der Band: Sie wirkt längst nicht so gefährlich, wie man das anhand des diskussionswürdigen Tourmottos "Lucifer Over Europa" hätte vermuten können, aber sie treibt ihre naturmystischen Anspielungen auch längst nicht so weit wie beispielsweise die mittelfrühen Empyrium, die hier und da kompositorisch ihre Spuren hinterlassen haben könnten. Mittlerweile verarbeiten die vier Amis aber auch noch Postrockelemente und sind sich auch nicht zu schade, ein paar fast feucht-fröhliche knochentrockene Tanzgrooves im Stile alter Skyclad-Scheiben einzuwerfen, wie etwa in der Zugabe "Hallways Of Enchanted Ebony". Das sorgt natürlich für gute Laune in der ordentlich gefüllten Veranstaltungstonne, aber andererseits bringt es das Publikum auch fertig, diszipliniert den oft minutenlang sich langsam entwickelnden Spannungsbögen zu lauschen und sogar während des 20minütigen "Faustian Echoes" nicht an den Nahtstellen der Großgliederung zu klatschen, sondern bis zum Ende des Songs mit dem Applaus zu warten (das schafft nicht mal jedes Klassikpublikum während einer Sinfonie!). Die Amis variieren ihre Setlist während der Tour übrigens immer mal - zwei Tage vorher in Karlsruhe beispielsweise soll der Hauptset nach "In The Shadow Of Our Pale Companion" mit "Dead Winter Days" abgeschlossen worden sein, während in Leipzig an dieser Stelle das von Teilen des Publikums begeistert mitgesungene Sol-Invictus-Cover "Kneel To The Cross" steht. Wer sich während des Hauptsets immer mehr gewundert hat, wieso vor Gitarrist Don Anderson auch noch ein Mikrofon steht, obwohl er und Bassist Jason William Walton, wenn sie denn die Texte mitformulieren, das ohne Verstärkung und daher fürs Publikum praktisch unhörbar tun, der wird im letzten Setteil einer Erleuchtung zuteil: Ab "You Were But A Ghost In My Arms" greift Anderson doch noch mit einer gelegentlichen und etwas dunkler kreischenden Zweitstimme ins Geschehen ein. Selbiges enthält übrigens eine ganze Menge Material vom "Ashes Against The Grain"-Album, das, als es in einer der wenigen Ansagen Haughms erwähnt wird, Jubel im Publikum erntet. Kurioserweise spielen Agalloch letztlich eine halbe Stunde länger, als der offizielle Timerider es ausweist, und solange sie Musik machen, wird einem das Zuhören außer in einigen wenigen Passagen, wo man dann doch eine rapidere Entwicklung für wünschenswert halten würde, auch nicht langweilig. Etwas enervierend sind lediglich die Passagen, wo sie sich auf Geräuscherzeugung zurückziehen - die kommen dankenswerterweise selten vor, aber es gibt sie, ganz besonders am Setende, wo man zudem mit Gestik und Gegenständen eine Art ritualistischen Charakter zu erzeugen zu versuchen scheint, den Haughm dann allerdings mit einem plötzlichen Abbruch des Krachs und einem trockenen "Gut' Nackt!", sei es gewollt oder ungewollt, ironisch bricht.



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