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Godspeed You! Black Emperor, Big Eater   08.11.2012   Berlin, SO36
von sk

Es gibt Erlebnisse, über die kann man unmöglich schreiben. Das Beste wäre es, das Review hier abzubrechen, die Empfehlung abzugeben, sich selbst ein Bild zu machen. Und dann werdet ihr hoffentlich verstehen, warum es so schwer ist, über das kanadische Kollektiv Godspeed You! Black Emperor (kurz GY!BE) zu schreiben.
Darum ergieße ich erst einmal Häme und Spott (waren von der Rezension zu Ginny Owens noch übrig) über die Vorband, Big Eater aus Berlin. Nichts gegen die Musik der vier Jungs - irgendwo zwischen Led Zeppelin, The Mars Volta und James Brown. Der Gitarrist spielte präzise elektrisierende Riffs, bei denen Jimmy Page vor Neid die Gibson aus der Hand geflogen wäre, und die Rhythmussektion war dermaßen energisch und präzise, dass die Leute im Club fast angefangen hätten, ihre Körper wild zu schütteln. Fast. Denn Big Eater haben ein großes Problem: ihren Sänger. Nicht, dass er nicht singen könnte, nein. Aber man stelle sich eine Mischung aus Robert Plant und Jim Morrison vor und subtrahiere davon das, was beide ausmacht(e): das Charisma. Wie ein wild gewordener Zeremonienmeister seltsamer Kulte hampelte er auf der Bühne. Und das Ganze so ironiefrei, dass mir vor Schreck das Lachen im Hals stecken blieb. Auch wenn's seltsam klingt, aber der Typ war eine Mischung aus Schamane und Hähnchen auf Amphetamin. Und so was ist: peinlich! Mein Rat an Big Eater: Schmeißt euren Frontmann raus und verpulvert nicht euer reiches Potential.

Godspeed You! Black Emperor  Godspeed You! Black Emperor

Godspeed You! Black Emperor  Godspeed You! Black Emperor

Godspeed You! Black Emperor  Godspeed You! Black Emperor

Godspeed You! Black Emperor  Godspeed You! Black Emperor
Dann treten GY!BE auf die Bühne. Nacheinander aus dem Dunkel auf die kaum ausgeleuchtete Bühne. In den ersten zehn Minuten ist nur ein Ton zu hören - das tiefe Dröhnen des Kontrabasses. Nach und nach setzen Violine, drei Gitarren und zwei Schlagzeuger ein. Sie umkreisen diesen einen Ton, legen Schicht um Schicht dazu und weben aus ohrenbetäubenden Drone-Klängen eine Wand. Nein, keine Wand … einen Monolith! Langsam kommt von irgendwo her die Ahnung einer Melodie. Die Spannung zieht an - jeden Moment kann der Monolith bersten und alle im Club begraben. Es ist körperlich kaum mehr auszuhalten. Ich will gerne vorgreifen auf diese Melodie, die immer gewisser wird. Aber ich kann nicht. Ich muss warten. Auf der Video-Leinwand blitzen seltsame Bilder auf: Baupläne von Maschinen, Hinrichtungsopfer, Manuskripte. Bibelverse? Kurz bevor der Klang-Monolith explodiert, flackert ein Wort auf der Leinwand auf. Erst ganz zaghaft, dann immer fester und deutlicher: HOPE! Die Melodie ist da und was dann folgt, ist ein langes, lautes Fallen in den Post-Rock-Kosmos von Godspeed You! Black Emperor, den Königen des Genres. Das Konzert dauert mehr als zwei Stunden und die Band spielt fünf, nun ja, Lieder (richtiger wäre wohl: Sätze). Es gibt keine Ansagen, die Bandmitglieder bleiben namenlos im Dunkel der Bühne, und am Ende gehen sie, wie sie gekommen sind: nacheinander zum Dröhnen eines Tones. Alle sieben Bandmitglieder dienen allein der Musik. Und alles zwischen Anfang und Ende gehört zu den unglaublichsten körperlichen und musikalischen Erlebnissen meines Lebens. Klingt pathetisch? Pfeif drauf, es stimmt. Die Noise- und Feedbackgewitter, die die Songs voneinander trennten (es gab während des Konzertes lediglich einmal für 30 Sekunden Stille!), waren schwer zu ertragen, genauso wie die genial auf die Musik abgestimmte Video-Performance - weil sie alles Verdrängte des Menschseins hör- und sichtbar machten. Immer, wenn eine Melodie himmelwärts riss, wenn der Rhythmus mitzog, brachen die Songs zusammen und wurden begraben unter Krach-Kaskaden, um langsam und behutsam wieder aufgebaut zu werden - auf diesen Trümmern, auf dem Weg zu neuen Melodien. Das alles in gedehnter Zeit, behutsam und mit Geduld. Und doch oder gerade deswegen: Momente absoluter Schönheit, Momente absoluter Negation. Dieses Ineinander verleiht der Musik von GY!BE eine tiefe Menschlichkeit und Spiritualität, die es sonst kaum bei einer instrumentalen Rockband gibt. Hier wurde Zeit hörbar, sichtbar und bis in die letzte Faser des Körpers spürbar. Das tut weh, das rührt vor Schönheit zu Tränen und ja, auch wenn es dick aufgetragen klingt: Es läutert. Ihr merkt, das alles ist kaum zu beschreiben, sondern nur ein Herumlavieren und ein Ringen um Worte. Ich habe mich auf dem Konzert kaum bewegt. Nicht getanzt (wozu auch?), nicht gesprungen, nichts. Aber noch nie war ich so erschöpft von einer Musik, die wirkt, als pendle sie zwischen den beiden Extremen Arvo Pärt einerseits und Sunn O))) andererseits, durchsetzt mit Ähnlichkeiten zu Mogwai. Und das Ganze angelegt als monumentale, epische, spirituelle Collage zwischen Himmel und Hölle. Und über den Himmel und die Hölle, die unsere Welt ist. Eigentlich ist es wohl doch ganz einfach beschreibbar: HOPE!

URLs:
http://big-eater.tumblr.com/
http://www.brainwashed.com/godspeed/

Fotos: sk






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