www.Crossover-agm.de GINNY OWENS: Long Way Home
von sk

GINNY OWENS: Long Way Home   (Rocketown Records)

Sieben Jahre ist das Album von Ginny Owens alt und ich grüble gerade darüber nach, was der Grund für diese Verspätung ist. Aber völlig egal, wie das passieren konnte - so eine zu spät gekommene Rezension hat einen Vorteil: Man kann sehr gut fragen, ob ein etwas in die Jahre gekommenes Album, zumal wenn es sich um Mainstream-orientierten Pop handelt, heute noch zieht. Bei Halbwertszeiten von wenigen Wochen oder Monaten im Pop wäre es doch ein Zeichen von Qualität, wenn "Long Way Home" heute noch überzeugt, oder liege ich da ganz falsch?
Das Cover der CD ließ nichts Gutes erwarten. Nein, diese Mainstream-Suppe ess ich nicht, pfui! Aber schnell all meine Ablehnung beiseitegeschoben, ich bin ja schließlich nicht zum Spaß hier. Rein mit der Scheibe (orange mit Blumen! ... Ich sag mal lieber nicht, was mir da durch den Kopf ging ...) in den Player und was soll ich sagen: Ich war abgestoßen, vom süßlichen Intro mit ein bisschen Elektronik hier und einer E-Gitarre da. Beides sollte wohl sagen: Wir sind jung, wir sind tanzbar.
Ginny Owens fängt bald an zu singen und sie klingt wie ... wie Katie Melua trifft Pink trifft Shania Twain trifft Katy Perry trifft ... (Woher zum Henker kenn ich all diese Frauen? Ich habe wohl doch eine dunkle Seite ...). Das macht die Stimme eingängig und angenehm, hat leider aber auch kaum einen Wiedererkennungswert. Und während ich noch so überlege, wie viele Kübel Häme ich über Frau Owens auskippen kann, ohne als fieses Arschloch dazustehen, merke ich beim Hören, dass hier eine veritable Songwriterin und Pianistin am Werk ist. Mehr noch: Sie hat ein Talent für Hook-Lines, die sich festsetzen, und sie hat ein Händchen für geschicktes, am sanften jazzorientierten Pop einer Norah Jones geschultes Songwriting. Das ist nicht immer frei von Pop-Klischees, aber die beherrscht sie souverän. Die Lieder sind Pop im besten Sinn und wenn man ein paar produktionstechnische Spielereien, die das Ganze zu sehr auf Mainstream trimmen, abzieht, dann ist hier eine Große der christlichen Popmusik zu hören. Weniger, liebe Produzenten, ist hier aber manchmal mehr! Dabei scheint es hin und wieder so, als hätte Ginny Owens ihren musikalischen Platz (zumindest vor sieben Jahren!) noch nicht gefunden, das Album wirkt dadurch ein wenig wie eine Suche nach einer eigenen musikalischen Sprache. Das leicht Soulige mit sparsamen Arrangement steht ihr sehr gut ("Live Once", "Long Way Home") und noch mehr das rockige Hin und Her zwischen Piano und vorwärts treibenden E-Gitarren (der Höhepunkt des Albums "Pieces", bei dem man denkt: Geht doch!). Lieder wie diese ziehen immer noch, während die allzu klargespülten Songs (grausig: "Waiting For Tomorrow") wie Kaugummi sind: Süß für ein paar Minuten, aber dann will man sie gern wieder loswerden. Nur leider kleben sie allzu fest (fiese Hook-Lines!) ...
Ich kenne ihre aktuelleren Alben nicht, aber was hier zu hören ist, lässt hoffen. Ich pack auch meine Kübel Häme beschämt wieder ein. Nicht mal auf die Texte konnte ich sie ausgießen, schreibt hier doch eine Frau jenseits aller Lobpreis-Klischees nicht über ihren Glauben, sondern aus ihm heraus. So werden weder Gott noch Jesus erwähnt und nicht wie eine Monstranz vor den Liedern hergetragen, sondern die Gottesbeziehung prägt die Texte viel elementarer. Das ist mehr als angenehm! Und so kommt zum Beispiel "Pieces" (ach, ich mag das Lied!) wie ein Klagepsalm daher, der, der Musik sei Dank, zumindest einen Funken Hoffnung aufscheinen lässt. Und diese fast vier Minuten lassen viele Schwächen des Albums zumindest kurz vergessen und die orange-farbigen Blumen auf der CD bekommen ein schönes kleines schwarzes Blatt. Ich werde wahrscheinlich kein enger Freund von Musik wie dieser (liegt das, liebe Gender-Theoretiker, daran, dass ich ein Mann bin oder es mir zumindest einbilde?), aber Ginny Owens hat mich doch positiv überrascht. Ich geh jetzt raus in den kalten November und pfeif dazu ein Owens-Liedchen. Vielleicht mal ich auch orangene Blumen an eine Wand ... Ich sollte wohl schnell die CD aus dem Player nehmen. Ich mach mir langsam Angst ...
Kontakt: http://ginnyowensmusic.com; zu bekommen u.a. via www.gerth.de

Tracklist:
1. Waiting For Tomorrow
2. Fellow Traveller
3. Long Way Home
4. Welcome To Love
5. Wonderful Wonder
6. Let The Silence Speak
7. Tyranny
8. Pieces
9. I Bring Everything
10. Live Once



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