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Hochschulsinfonieorchester   04.11.2012   Leipzig, Gewandhaus
von rls

Gilt es den Todestag des Leipziger Musikhochschulgründers Felix Mendelssohn Bartholdy zu begehen, so erscheint es eigentlich nur logisch, Musik aufs Programm zu setzen, die irgendwas mit Trauer, Tod und/oder dem Gründer zu tun hat. Dieser Maxime folgt das Hochschulsinfonieorchester anno 2012 in vollem Maße, wenngleich in sehr unterschiedlicher Ausprägung.
Da wäre zunächst "Cut VIII" von Bernd Franke, ein Ausschnitt aus einem großen Werkzyklus, und zwar passenderweise derjenige mit Adagio-Charakter. Und Franke zeigt hier, daß er durchaus Ahnung von düsteren Klangräumen hat: Er entwirft zunächst sinistre Ambient-Strukturen, über die er ein auf der linken Saalempore plaziertes Solocello legt. Die späteren Celloflächen verraten die Vertrautheit mit dem Schaffen von Apocalyptica oder vielleicht sogar Cotu Cotu, und einige jazzig angehauchte Düsterschichtungen füllen sogar den Begriff "Doomjazz" mit Leben, den Vicki Vomit vor Jahren eigentlich nur als puren Nonsens erfunden hatte. Der Blechchoral gerät für einen Komponisten des 21. Jahrhunderts ungewöhnlich feierlich, und die Darstellung der auspendelnden Lebensuhr im Finale des Stückes läßt an plastischer Gestaltungskraft mit minimalsten Mitteln (zwei Solocelli, eine Bratschenfläche und die Harfe) nichts zu wünschen übrig. Ulrich Windfuhr und die Studenten im Orchester, das in diesem Stück übrigens ohne Holzbläser auskommt, schaffen an diesem Abend mit einer gekonnten Interpretation noch einen ursprünglich ungeplanten Gedenkstein: Das Stück ist Hans Werner Henze gewidmet und wurde zu seinem 80. Geburtstag anno 2006 uraufgeführt - wenige Tage vor dem Konzert dieses Abends ist Henze in Dresden gestorben.
Daß Felix Mendelssohn Bartholdy ein ausgezeichneter Pianist war, ist bekannt, und so verwundert es nicht, aus seiner Feder Klavierkonzerte vorzufinden, deren erstes an diesem Abend auf den Pulten liegt. Windfuhr wählt für den ersten Satz ein durchaus flottes Grundtempo, das Solist Stefan du Toit zumindest technisch allerdings vor keine Probleme stellt - er bringt sogar das Kunststück fertig, in den Verharrungen kurz zu schwelgen, ohne zu schleppen. Die Dialogpassagen mit einzelnen Orchesterinstrumenten allerdings geraten deutlich zu schwerfällig, man möchte fast "akademisch" sagen, wofür freilich die gekonnte Zurückhaltung in der elegischen Kadenz entschädigt. Offenbar liegt du Toit der weiche Anschlag, denn das Andante an zweiter Satzposition interpretiert er sehr weich und zurückgenommen, ohne daß das Ganze zu Soße zerfließt. Schön! Leider aber nicht die Maßgabe für den dritten Satz, denn hier haben zum einen alle Mitwirkenden das Problem, daß Mendelssohn ein flottes, aber wenig tiefgehendes Paradesalonstück geschrieben hat (es muß möglich sein, ein solches Urteil aus rein musikalischen Gründen auch heute noch zu vertreten, ohne gleich des Antisemitismus bezichtigt zu werden - wer Ohren hat, der höre!), und zum anderen klappt hier auch das Miteinander nicht mehr so richtig. Schon die Signaltrompeten am Anfang geraten holprig, und danach gelingt eben ein nettes Salonstück, aber nicht mehr. Windfuhr reizt die "Weckeffekte" dynamisch auch noch nicht aus, und irgendwann ist der furiose, aber etüdenhafte Wirbel mal vorbei. Nett - nicht weniger, aber mit Ausnahme der ruhigen Passagen auch nicht mehr.
Anton Bruckner hatte sich zwar auch schon mal mit Requiemskompositionen befaßt, aber zu seinem realen Requiem sollte die 9. Sinfonie werden, die er nicht mehr fertigstellen konnte, und da der geplante Widmungsträger, nämlich der liebe Gott, auch noch dafür sorgte, daß die Fragmente des vierten Satzes so weit verstreut wurden, daß alle Rekonstruktionsversuche bisher relativ unbefriedigend verlaufen sind, wählen die meisten Orchester so wie auch das Hochschulsinfonieorchester an diesem Abend die dreisätzige Wiedergabe, also mit dem kapitalen Adagio als Schlußsatz. Vor diesen stellte der Herr aber den ersten und zweiten Satz, und der erste gerät anfangs titelgemäß tatsächlich relativ mysteriös, wobei der Rezensent sehr weit von den Hörnern entfernt sitzt und diese daher nicht so stark hervortretend wahrnimmt als vielleicht an anderen Positionen des Saals. Dafür könnte ein anderes Klangproblem eher hausgemacht sein: Der Pauker gibt in den Tutti alles - und das ist so viel, daß selbst vom Blech nicht so sehr viel übrigbleibt, obwohl es, von den Hörnern abgesehen, näher am Rezensenten befindlich ist als die Pauke. Dafür entschädigt das sehr elegant gespielte Seitenthema, das Windfuhr durchaus nicht langsam nehmen läßt, und auch durch das große zentrale Ringen dieses Satzes findet er einen gut gangbaren Weg, der am Ende zu großer Monumentalität gedeiht, wobei das Blech diesmal mehr gibt und sich endlich mal gegenüber der Pauke Gehör verschaffen kann. Im Scherzo inszeniert Windfuhr zunächst eine gekonnte Nervositätswirkung, die zum Hauptthema hinführt, wobei er dieses sehr flüssig spielen läßt und auf die von vielen Kollegen deutlicher hervorgehobene Zäsur am Ende jeder Wiederholung des Hauptthemas verzichtet. Auch die Anweisung "Schnell" für das Trio nimmt der Dirigent wörtlich, ohne deshalb in Gehetze zu verfallen. Ihr Meisterstück liefern Windfuhr und das Orchester aber mit der Einleitung des Adagios ab - hier laufen einem ganze Kaskaden von Schauern über den Rücken. Da kann nicht mal die hier und da bemerkbare leichte Unordnung auf dem Weg zur ersten Generalpause entscheidende Wermutstropfen einstreuen - es gelingt trotz keinesfalls schleppenden Tempos eine sehr emotionale Interpretation dieses Satzes, die am Ende nochmal einen ähnlichen Gänsehautfaktor zu erzeugen weiß wie zu Beginn: Hörner und Wagnertuben schweben förmlich durch den Raum, Windfuhr winkt fast hart ab, und die Spannung steht extrem lange, bis sich befreiender, lauter und hochverdienter Applaus Bahn bricht.



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