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Die Liebe fordert alles und ganz mit Recht   27.05.2012   Dresden, Kulturpalast
von rls

Neben dem obenstehenden hat das 8. Philharmonische Konzert der Dresdner Philharmonie in der Spielzeit 2011/2012 noch einen weiteren Titel: "Beethoven, der Revolutionär". Was die beiden Titel miteinander und vor allem mit dem Programm zu tun haben, darüber kann man lange und intensiv philosophieren, was an dieser Stelle nicht näher getan werden soll. Beschränken wir uns auf die Feststellung, daß Beethovens "Coriolan"-Ouvertüre ein Genre revolutionierte, vielleicht sogar erfand - nämlich die Konzertouvertüre, die dem ursprünglich an ein Schauspiel oder eine Oper gebundenen Genre ein gewisses Eigenleben verlieh. Heinrich Joseph von Collins Stück über den Feldherrn Coriolan stand 1807, als Beethoven die besagte Ouvertüre schrieb, jedenfalls schon nicht mehr auf den Spielplänen, so daß die inhaltliche Anbindung andernorts gesucht werden muß und gefunden werden darf, nämlich im Bild eines Menschen, der sich in bestimmten Situationen bewährt, gar über sich hinauswächst, aber in anderen Situationen versagt. Diese Musik läßt Dirigent Markus Poschner mit äußerst starken Kontrasten zwischen Triumph und Agonie spielen, was anhand seiner raumgreifenden Gestik auch optisch deutlich wird: wenn Schmelz, dann viel davon; wenn Wellenbewegungen, dann betont nachgezeichnet; wenn Power, dann eine Großportion. "Mehr ist manchmal mehr" lautete einst das Motto der Leipziger Eklektizismus-Metaller Nitrolyt, und das mag Poschner scheinbar auch - das Orchester folgt ihm dabei willig, wobei der sehr weite zeitliche Vorschlag des Dirigenten auffällig ist, selbst wenn man die unterschiedliche Zeit, die Licht und Schall bis zu den Sinnesorganen des Publikums benötigen, mit einkalkuliert. Als interessant entpuppt sich auch die Orchesteranordnung - acht Kontrabassisten sitzen in Reihe hinten am Hallenende, und selbst die Pauken sind noch vor ihnen aufgebaut. Das verstärkt den aus bauarchitektonischen Gründen sowieso schon stark in die Breite gehenden Klangeffekt noch mehr - aber es funktioniert. Die Hörner stoßen den Hörer nochmal in ein Wechselbad der Gefühle - sie zaubern einen butterweichen Übergang ins Finale aufs Parkett, sägen sich dann aber etwas holprig den Weg frei, bevor Poschner den entrückten Schluß bis ins Unhörbare zieht. Fein!
Sergej Prokofjews 2. Violinkonzert könnte man für das Entstehungsjahr 1936 je nach Betrachtungsweise als konterrevolutionär (weil es die jüngeren Genreentwicklungen nicht mitverfolgte oder gar vorantrieb) oder revolutionär (weil es sich traute, Tugenden der letzten Jahrhunderte zu pflegen, was vor allem im angloeuropäischen Raum erst viel später wieder en vogue wurde) ansehen. Wie auch immer - es wird noch heute gern gespielt, und an diesem Abend steht ein Mann an der Solovioline, dem der Bezug zu den von Prokofjew verarbeiteten russischen Elementen in die Wiege gelegt worden ist: Vadim Repin. Der schafft es dann auch problemlos, nahtlos von russischer Melancholie in flirrende Hektik des 20. Jahrhunderts und wieder zurück zu schalten, wobei die sich immer weiter intensivierenden Solopassagen über einzelnen Tiefstreicherakkorden klar das Highlight des Allegro-moderato-Satzes markieren. Daß Repin, obwohl Kenner ihn schon in besserer Verfassung erlebt haben, musikalisch trotzdem glänzt, zeigen Details wie das geschickte Aufeinandereingehen z.B. im Tempomanagement vor dem 1. Triangel-Einsatz. Der gezupfte Satzschluß hat Witz, mit dem es im Andante assai dann erstmal vorbei ist: Die Kammermusik fällt in einen Schmalztopf, aber in der Darbietung dieses Abends ist man geneigt, das zweifellos als schöööön zu empfinden. Zwar wirken einzelne Schritte der langsamen Intensivierung nicht ganz treffsicher berechnet, aber das flotte Miteinander als Zielvorgabe wird dennoch mit Sicherheit erreicht, und wie Repin diesmal mit dem Holz dialogisiert, das macht Spaß (nun doch!) beim Zuhören. Monumentale Größe deutet dieser Satz nur kurz an, mündet aber in eine gezupfte Violinpassage, und alle Beteiligten bekommen wieder Pluspunkte für den entrückten Satzschluß. Das Allegro ben marcato fegt mit seinem leicht zigeunerhaften Touch alle Entrückung aber schnell wieder weg. Prokofjew legt in die zerklüftete Architektur keinen allgemeingültigen und klar erkennbaren Pfad, was Repin, Poschner und die Musiker zu einem geschickten Wendungsmanagement auch auf kleinstem Raum zwingt. Irgendwann entdeckt der popularmusikalisch geschulte Hörer dann noch Parallelen zum Schaffen von Pip Williams bei der Orchestrierung der jüngsten Nightwish-Alben, die große Trommel donnert abgründig-fies, und trotz des faserigen Schlusses bricht sofort lauter Applaus los. Den belohnt Repin noch mit einer Zugabe - kein Violinsolo, wie in solchen Fällen üblich, sondern Variationen über "Mein Hut, der hat drei Ecken" über einem Generalbaß aus gezupften Streichern, was dem Publikum ein Lächeln ins Gesicht zaubert.
Beethovens 7. Sinfonie schließt sozusagen den Rahmen um Prokofjews Werk und stellt so etwas wie Agitpropmusik im antinapoleonischen Wien des frühen 19. Jahrhunderts dar, zudem mit sozialem Hintergrund - die Erlöse der Uraufführung gingen an die invalide gewordenen Soldaten der Schlacht bei Hanau, was in Zeiten lange vor der Gründung des Internationalen Roten Kreuzes und ähnlicher Organisationen eine der wenigen Möglichkeiten war, solche Menschen irgendwie zu unterstützen (und damit zwar nicht unbedingt als neu, jedoch als in gewisser Weise revolutionär gewertet werden darf). Der den ersten Satz eröffnende Poco-sostenuto-Teil läßt den Hörer zunächst mal seine Ohren kontrollieren: Bedächtiges Grundtempo und alles andere als scharfe Übergänge - hat Poschner seine kontrastbetonende Strategie etwa ad acta gelegt, und wo gehört er eigentlich hin, zu den Beethovenbeschleunigern im Gefolge Riccardo Chaillys oder zur alten Garde mit ihren gesetzteren Tempovorstellungen? Mit ersten Schärfungstendenzen schon vorm Ende des Poco sostenuto macht Poschner schon klar, was noch zu erwarten ist, auch wenn ihm das furchtbar laute Unisono-Blätter-Geräusch den schön ausziselierten Übergang ins Vivace stimmungsseitig verhagelt und der erste Schlachtenlärm wieder etwas zu weit in die Breite ausfächert. Erst der zweite trifft den Hörer mit einer Breitseite, und auch im folgenden bleibt der Energietransport OK. Auch die Kontraststrategie ist wieder da: Die Pianissimi sind wirklich pianissimo, während die Kontrabässe auch von ganz hinten noch jede Menge Unheil akustisch androhen; eine Steigerung zum Satzschluß hin ist aber nicht mehr drin.
Daß man natürlich nicht jedes Stück Beethoven-Musik beschleunigen muß, zeigt das Allegretto. Der Tiefstreicherchoral wäre in schnellerem Tempo jedenfalls weniger eindrucksvoll gewesen, auch mit den Steigerungsstufen in Richtung des Finsterbombasts wär's wohl schwieriger geworden. Das lange Lavieren ermüdet dann beim Zuhören aber doch, zumal Poschner diesmal die dynamischen Kontraste nicht ausreizt - aber das schleppende Tempo im Satzfinale hat was.
Von Höchstgeschwindigkeit hält sich auch das Scherzo fern: Poschner nimmt es flott, aber eben nicht jagend, und das unterstreicht den lockeren Charakter perfekt. Dafür bindet er dem Trio ein Gewicht ans Bein und läßt es bleischwer schleppen, bevor die Last beim Übergang in die Scherzo-Wiederholung schlagartig abgeworfen wird und sich das Eingangsszenario wiederholt. Die fünf Schlußtöne geraten dabei nicht sehr markig ...
... das fast attacca angeschlossene und mit Allegro con brio überschriebene Finale dafür aber umso stärker, wobei die Hörner alles geben, was nicht wenig ist. Poschner läßt hier nun doch noch etwas beschleunigen, schafft gemeinsam mit dem Orchester aber das große Kunststück, die mechanisch-motorische Präzision mit Gefühl anzureichern. Jedenfalls herrscht jede Menge akustisches Getümmel und exakte Wildheit, und wer schon befürchtete, die Dynamikkurve könne wie in vielen ähnlichen Fällen nicht mehr nach oben zeigen, den belehrt Poschner eines besseren, indem er aus dem Orchester doch noch eine kleine Reserve herauswringt. Das führt zu hochgradiger Begeisterung beim Publikum, welches die Raserei des Satzschlusses in sofortige Bravorufe umleitet und alle Beteiligten mit langem und intensivem Applaus belohnt, wobei die Flöten und erstaunlicherweise auch der Pauker den größten Einzelapplaus erhalten. Das Fazit gleicht dem oben schon einmal genannten: Fein!



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