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Uriah Heep, Nazareth   23.04.2012   Chemnitz, Stadthalle
von rls

Der Rezensent wettet bekanntlich nicht, aber wenn er das tun würde, er hätte wohl nicht gewettet, daß Uriah Heep und Nazareth die Chemnitzer Stadthalle so gut füllen können - an einem Montagabend nämlich und vor dem Hintergrund, daß am nächsten Abend noch ein Gig im nicht weit entfernten Dresden anstand. Die vorderen elf Sitzreihen der Bestuhlung sind ausgebaut worden, so daß es also vorn eine Stehfläche und weiter hinten Sitzplätze gibt, womit auch der schon etwas gebrechlichere Teil der Zielgruppe die Gelegenheit hat, das Konzert zu verfolgen, ohne reichlich drei Stunden stehen zu müssen.
Halbwegs pünktlich erklingt ein ausgedehntes Dudelsackintro, und Nazareth kommen auf die Bühne geschlichen. Viel Bewegung herrscht auf derselben auch für die nächste reichliche Stunde nicht, was freilich kein Problem wäre, hätte man nicht permanent den Eindruck einer gewissen Schwerfälligkeit, einer fehlenden Frische in der Musik. Da hilft selbst der junge Trommler Lee Agnew, Sohn des Bassisten Pete Agnew, nicht, wenngleich er wenigstens den etwa schnelleren Tracks noch so etwas wie Energie injizieren kann. Aber da Nazareth nur mit einem Gitarristen arbeiten, auf Samples oder anderes Füllmaterial mit einer Ausnahme verzichten und auch untereinander bisweilen nicht richtig grooven wollen, obwohl sie in dieser Besetzung auch schon wieder einige Jahre unterwegs sind, entsteht bisweilen eine Art Leere in den Songs. Zudem versucht Dan McCafferty seine unüberhörbaren Schwierigkeiten beim Treffen der Töne mit erhöhtem Kreischfaktor zu kompensieren, was schon in den härteren Songs bisweilen zu nerven droht, in der eigentlich sehr schönen Ballade "Dream On" aber dann im völligen Fiasko endet. Das hatte schon beim "Rock meets Classic"-Projekt anno 2010 nicht richtig funktioniert, konnte dort aber mit furiosen Instrumentalarrangements und Orchesterunterstützung kompensiert werden, die aber an diesem Abend logischerweise ausbleiben. Wenigstens kann man einige mitreißende Momente konstatieren: "Changing Times" etwa klaut zwar überdeutlich bei Led Zeppelin, macht aber sowohl in diesen Passagen als auch im ausgedehnten Hauptsolo eine Menge Hörspaß, und generell überzeugen Nazareth aufgrund McCaffertys Nervfaktor in den Instrumentalpassagen am meisten, wenn sie sich denn musikalisch mal gefunden haben, was mit zunehmender Spieldauer dankenswerterweise immer öfter passiert. "Hair Of The Dog" schließt den regulären Set mit einem netten Effekt ab: McCafferty kommt zum Hauptsolo mit einem Dudelsack auf die Bühne, den er allerdings nicht selber spielt, sondern der von der Gitarre aus mit einer Talkbox angesteuert wird. Drei Zugaben packt die Band noch aus, als letzte "Love Hurts", eine weitere eigentlich sehr schöne Ballade - und kurioserweise zeigt McCafferty hier, ganz am Ende des Sets, daß er das etwas sanftere Fach und die ganzen Zwischentöne doch noch beherrscht, so daß die eigentlich schon vorgefertigte Gesamtmeinung doch noch eine kleine Justierung erfährt. Aber nur eine kleine ...
Auch Uriah Heep fahren ein ausgedehntes Intro auf, allerdings eines, das man auch als Intro eines Nightwish-Konzertes verwenden könnte. Danach wird allerdings schnell klar, daß die Band zum einen bei ihren bewährten Stärken geblieben ist, zum anderen aber schon bestimmte Schwerpunkte setzt. Im Klartext: Einen derart harten und schnellen Set hätte man von Mick Box und seinen Mitstreitern sicherlich im Vorfeld nicht unbedingt erwartet - aber der junge Drummer Russell Gilbrook hat den alten Herrschaften offenbar einen dritten Frühling injiziert, und im Gegensatz zu Nazareth stehen die anderen Beteiligten seiner Energieleistung nicht nach, allen voran Bernie Shaw, der gesanglich eine Topleistung bietet. Nur Phil Lanzon ist etwas schwierig zu bewerten, da der Soundmensch in einem sonst ausgewogenen Klangbild (das zudem etwas weniger unheilvoll drückend aus den Boxen kommt als das bei Nazareth) die Keyboards vor allem in der ersten Sethälfte etwas zu weit ins Abseits stellt. Aber wenn man den großen Tastendrücker (man erkennt erst beim Schlußbild so richtig, wie groß der ist) mal hört, dann trägt auch er sein Scherflein zu einem spielfreudigen, energiegeladenen und unterhaltsamen Gig bei. "Against The Odds" vom 1995er "Sea Of Light"-Album, einem der stärksten der Band-Spätphase, eröffnet den Reigen, aber auch zwei der drei Beiträge vom neuen Album "Into The Wild" machen Ansprüche geltend, sich vielleicht etwas länger in den Setlisten zu halten: der epische Titeltrack und das flotte "I'm Ready" - der dritte Beitrag, "Nail On The Head", hingegen fällt ein wenig zu plakativ aus und überzeugt nach einmaligem Hören noch nicht wirklich. Ansonsten verzichten Uriah Heep an diesem Abend auf etliche Klassiker und graben dafür ein paar Stücke aus, die man sonst selten von ihnen zu hören bekommt. Dabei machen sie nicht mal vor der Debüt-Ballade "Come Away Melinda" halt, "Traveller In Time" oder "Tales" lassen rare Siebziger-Momente wieder lebendig werden, und daß man vom "Abominog"-Album nun gerade den flotten Albumopener "Too Scared To Run" spielt, ist im Gesamtkontext des Sets natürlich auch programmatisch zu verstehen. Natürlich kommt das Quintett aber ohne diverse "richtige" Klassiker nicht davon, und bereits "Sunrise" an vierter Stelle hängt die Meßlatte so schwindelerregend hoch, daß alles, was noch folgt, Schwierigkeiten hat, das noch zu übertreffen. Aber die Band gibt alles - und das ist enorm viel an diesem Abend, seien es Box' kräftiges Riffing, das dynamische Baßspiel von Trevor Bolder mit seiner Paul-Raymond-Gedächtnisfrisur oder die perfekt sitzenden Satzgesänge. Die epischen Klassiker "Gypsy" und "July Morning" faßt die Band diesmal sogar in einem noch monströseren Epic zusammen, "Lady In Black" beendet den regulären Set, und dann wird's surreal: Mick Box, der einen Teil der Ansagen übernimmt, kündigt als erste Zugabe den ersten Speed-Metal-Song der Welt an, und Bernie Shaw fordert fünf Headbangerinnen zum Entern der Bühne auf. Speed Metal? Uriah Heep? Headbangerinnen? Jawohl, kein Witz. Letztlich stehen dann sieben Damen auf der Bühne, von denen allerdings nur zwei ihre Haarpracht wirklich ausgiebig schütteln, während der Rest zwar auch mitzugrooven versucht, aber ansonsten, um mal einen Kollegen zu zitieren, der den Gig am Folgeabend in Dresden sah (dort neun Personen), der Fraktion "Hausfrau" oder "Mainstreamblondine" zuzurechnen ist. Der allgemeinen Stimmung bei "Free & Easy" tut das natürlich keinen Abbruch, und nach diesem brettharten Feuerwerk fällt selbst ein knarzendes Stück wie "Easy Livin'" fast ein bißchen ab. In dieser Form dürfen uns Uriah Heep jedenfalls gern noch lange ihre Interpretation des Siebziger-Hardrocks nahebringen, während Nazareth sich etwas einfallen lassen müssen ...

Setlist:
Against The Odds
Overload
Traveller In Time
Sunrise
All My Life
I'm Ready
Between Two Worlds
Come Away Melinda
Tales
Too Scared To Run
Nail On The Head
Into The Wild
Gypsy/July Morning
Lady In Black
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Free & Easy
Easy Livin'



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