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Rock meets Classic   27.01.2010   Dresden, Kulturpalast
von rls

Klassik-Rock-Kombinationen gibt es ja in mannigfacher Zusammensetzung. Im schlechtesten Fall paart man dabei die Statik der Klassik mit der Unpräzision des Rock, das Gegenteil am positiven Ende der Skala ist eine Legierung der Präzision der Klassik mit der Spielfreude des Rock. Die "Rock meets Classic"-Tour schafft dankenswerterweise die zweitgenannte Variante, wird aber unglücklicherweise nicht in pekuniärer Hinsicht dafür belohnt: Während beispielsweise die Kombination MerQury plus Orchester/Chor der Musikalischen Komödie Leipzig im Oktober 2009 vor ausverkauftem (und paradoxerweise begeistertem) Publikum künstlerisch scheiterte, müssen sich die Musiker an diesem Abend mit einer allenfalls zu einem Drittel gefüllten Halle zufriedengeben, die zudem auch erst spät aufzutauen beginnt, wobei freilich die Bestuhlung der Auslebung des Rockfaktors Grenzen setzt. Aber das Problem hatten MerQury plus MuKo auch.
Das "Rock meets Classic"-Konzept besteht zunächst aus drei Zugpferden, die da Dan McCafferty, Bobby Kimball und Lou Gramm heißen und allesamt legendären Rockbands vorstanden bzw. das noch heute tun - als da wären Nazareth, Toto und Foreigner. Diese drei Herren bekommen eine Band dahintergebastelt, die der Einfachheit halber RMC-Band genannt wird und auch zu 50% aus Szenebekanntheiten besteht: Bassist Mat Sinner hält die Zügel in der Hand und hat gleich noch Gitarrist Henny Wolter mit an Bord geholt, mit dem er in seinen eigenen Formationen ja schon länger spielt. Dazu kommen Drummer Martin Schmidt und ein Keyboarder namens Jimmy Kresic. Drei Backingsängerinnen unterstützen die jeweiligen Leadvokalisten (mitunter gesellt sich auch Mat noch zu den Backingvokalisten), und dann wäre da natürlich noch der klassische Aspekt, also das Orchester. Man hat das Bohemian Symphony Orchestra aus Prag unter Dirigent Philipp Maier verpflichtet, allerdings in einer relativ überschaubaren, eher einem Kammerorchester entsprechenden Besetzung und vom Altersdurchschnitt her erstaunlich weit unten liegend. Dan McCafferty geht augenzwinkernd auf diesen Umstand ein, indem er äußert, die Orchestermusiker seien alles seine Kinder, und tatsächlich dürfte vielleicht der eine oder andere der Musiker zu den Klängen gezeugt worden sein, die im ersten Block des ersten Sets erklingen. Den bestreitet (nach einer Orchesterouvertüre mit gelegentlichen Rockeinwürfen) nämlich McCafferty am Leadmikrofon, und zwar mit fünf Nazareth-Klassikern, von denen zwei der Schmuseballadenkategorie zuzuordnen sind, nämlich "Love Hurts" und der Opener "Dream On". Da hört man dann doch deutlich den Zahn der Zeit, wie er an McCaffertys Reibeisenstimme nagt - sie klingt recht bröckelig und deutlich weniger paßgenau als weiland in den Studioversionen. Dafür überzeugen die drei Rocksongs gesanglich umso mehr, vor allem "Hair Of The Dog", das durch ein urlanges Gitarrensolo Wolters gekrönt wird. "Holiday" geht nach einem Orchesterintro ebenfalls in eine treibende Band-Orchester-Mixtur über, und spätestens hier hat einen das Ganze gepackt und läßt einen bis zum Schluß nicht mehr los. Band und Orchester arbeiten miteinander statt nur gleichzeitig, die Abstimmung zwischen Dirigent und Drummer läßt keine Wünsche offen, und vor allem der Enthusiasmus des Orchesters überträgt sich auf den offenen Hörer. Da sprühen die Funken förmlich, wenn der Orchesterpercussionist mitrockt, die Trompeter ihre Instrumente als Mitklatschelemente nutzen oder die vordere Flötistin (ein optisch ausgesprochen ansehnliches Wesen) auf ihrem Stuhl hin und her wackelt, als säße sie auf der Harley Davidson von Joey de Maio. Daß das Orchester bei aller zur Schau gestellter und vermutlich nicht (oder nicht nur) gespielter Begeisterung auch noch punktgenau musiziert (und das ohne Extrabeleuchtung - die Musiker müssen also mit dem oft in schnellster Folge wechselnden bunten Bühnenlicht auskommen!), sollte man nicht zu erwähnen vergessen, und auch die Fraktion, die die Arrangements zusammengebastelt hat, verdient sich ein prinzipielles Lob, ebenso wie übrigens auch der Soundmensch, der ein für diese schwierige Besetzung doch überwiegend erfreulich transparentes Klangbild zaubert, wenngleich man sich an einigen wenigen Stellen doch eine geringfügig andere Gewichtung gewünscht hätte. Aber das ist in diesem Fall mal wieder Jammern auf hohem Niveau, denn das Gesamtbild stimmt. Das Joni-Mitchell-Cover "This Flight Tonight" schließt den Nazareth-Block ab.
Der zweite Block gehört Songmaterial von Toto, und Bobby Kimball spielt im Gegensatz zum bedächtig wirkenden McCafferty sein Entertainmenttalent aus - er rennt über die Bühne, schleppt den Mikrofonständer durch die Gegend und sitzt auch phasenweise an einem zweiten Klavier, das allerdings akustisch gegen das Hauptkeyboard nur selten eine Chance hat. Leider hat der Zahn der Zeit an Kimballs Stimme noch stärker genagt. Das hört man schon in den Ansagen, nach denen man ihm gerne Kreide zu essen geben würde. Die leisen Passagen, von denen es im Set etliche gibt, brechen fast völlig weg, und auch in den lauteren trifft er nicht immer die anvisierten Töne. Was er noch kann, zeigt er in "I Will Remember", wo er von der Stimmfärbung her übrigens fast an Freddie Mercury erinnert - das nahtlos anschließende "I'll Be Over You" hingegen setzt er ziemlich gegen den Baum, von dem ihn nur die Backingsängerinnen rettend abkratzen können. Überhaupt profitiert Kimball von einer ganzen Legion an Rettern, die den Toto-Block dann doch noch zum Erlebnis machen: Der Keyboarder versieht "Rosanna" mit zwei ausladenden Solopassagen, aus "I Will Remember" zaubert das Orchester eine träumerische Halbballade, in "I'll Be Over You" winken die Bläser mit Leuchtstäben, im abschließenden "Hold The Line" holt Sinner mit seinen Backingvocals im Refrain die Kastanien aus dem Feuer, und der Höhepunkt des Sets ist bereits zuvor mit "Africa" erreicht: Das Orchester springt auf, einige haben Rasseln und andere Percussioninstrumente in der Hand, alle ahmen Tierlaute nach, Schmidt spielt ein kurzes, aber effektives Drumsolo, und die Backingsängerinnen ziehen Kimball stimmlich wieder durch den Sumpf.
Nach der Pause dürfen die drei Backingsängerinnen in "Alone" von Heart zunächst auch als Leadstimmen heran, wobei sich besonders die langhaarige Platinblondine (ist das Amanda Somerville?) exzellent schlägt - sie ist headbangenderweise auch ansonsten ein Bühnenaktivposten. Danach erklingt erneut eine Orchesterouvertüre, in deren powervollen Schluß u.a. das Hauptthema von "Urgent" eingewoben worden ist - eine perfekte Vorbereitung auf den Foreigner-Block. Lou Gramm, einstmals eher schlank, hatte in den späten Neunzigern einen schweren und langwierigen Kampf gegen den Krebs zu bestehen, den er gewonnen hat - auch seine Stimme hat nicht mehr ganz die Klarheit und Energie wie früher, aber der jetzt eher rundliche Sänger bietet trotzdem eine sehr starke Leistung und darf sich den imaginären Pokal "Gewinner des Abends" ins heimische Regal stellen. Der Foreigner-Block wird zum größten Erlebnis des Konzerts, schon beginnend mit "Cold As Ice", dem die Arrangementfraktion eine kleine Frischzellenkur verschrieben hat: Das Blech knarzt von hinten, die Rhythmusfraktion legt aber einen coolen bigbandartigen Beat hin. Im völligen Kontrast dazu liegt über "Waiting For A Girl Like You" eine fast überirdische Ruhe, in die sich Gramm mit seiner gedeckt-warmen Intonationsweise gekonnt einpaßt und nur die erwähnte Flötistin einen Tick zu unruhig agiert. Dann brechen alle Dämme bei "Juke Box Hero", und der Orchesterpercussionist beginnt mit seinen Schlegeln zu jonglieren. Kann es noch besser werden? Ja: Bei "Dirty White Boy" gelingt das Kunststück, den Song besser zu machen als das Original - der etwas angezogene Grundbeat und das fette Orchesterarrangement verleihen dem Song, an dessen Original man sein Alter doch mittlerweile deutlich merkt, ganz ungeahnte neue Qualitäten. Da kommt nicht mal das den Foreigner-Block abschließende "I Want To Know What Love Is" mit, das vielleicht einen Tick langsamer und leiser noch stärkere Reize entfaltet hätte, aber auch so nicht schlecht und beileibe für eine eskapistische Reise zur Flötistin oder zu wem auch immer gut genug geeignet ist.
Das kann es natürlich noch nicht gewesen sein, und mit stehenden Ovationen fordert das Publikum Zugaben ein. Erwartungsgemäß erklingt erneut eine Orchesterouvertüre, bevor alle drei Sänger gemeinsam den Schlußpunkt setzen, nämlich mit einem Medley aus je einer der Originalbandkompositionen, wobei allerdings trotzdem jeweils nur einer singt und die anderen perkussiv arbeiten. Das äußerst flotte "Razamanaz" und das schleppende, aber trotzdem zupackende "Hot Blooded" überzeugen hier am meisten (dazwischen lagert "I'll Supply The Love") und entlassen das Publikum nach reichlich zwei Stunden Nettospielzeit hinaus in den mittlerweile ausgebrochenen Schneesturm, der die 100 Kilometer Heimfahrt etwas abenteuerlich macht.



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