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MerQury & MuKo   09.10.2009   Leipzig, Musikalische Komödie
von rls

100000 Menschen sind an diesem Abend in Leipzig auf der Straße, um mit dem Lichtfest des 20. Jahrestages der großen Montagsdemonstration von 1989 zu gedenken, die einer der markanten Punkte in der Geschichte der politischen Wende in der DDR war. Eine erkleckliche Anzahl Menschen bleibt aber dennoch übrig, um den Saal der Musikalischen Komödie zu füllen, wo der zweite Abend des Gastspiels von MerQury auf dem Plan steht. Hinter diesen Namen verbirgt sich - man hat es etymologisch schon vermutet - eine Coverband, die dem Schaffen von Queen als Band und dem Freddie Mercurys als Solokünstler huldigt, während die Solowerke der anderen drei Bandmitglieder, soweit sie dem Rezensenten akustisch bekannt sind, zumindest an diesem Abend nicht im Programm auftauchen. Nun spielen MerQury normalerweise Sologigs als Quintett (man hat die Planstellen noch um einen festen Keyboarder/Pianisten erweitert), wagen diesmal aber das Experiment, die Songs in Klassik-Rock-Kombiversionen umzubasteln, wofür sie sich den Chor und das Orchester der Musikalischen Komödie unter Stefan Diederich dazuholen. Zu Freddies Lebzeiten ist es ja nie zu einer vollwertigen Orchester-Band-Kollaboration gekommen, obwohl die Queen-Songs oftmals Affinitäten zur klassischen Musik aufwiesen (an vorderster Stelle wäre wohl "Bohemian Rhapsody" zu nennen) und sich Freddie mit seinem Soloschaffen noch ein Stück weiter in diese Richtung bewegte.
Das Vorhaben klingt also auf dem Papier hochgradig spannend. Die Ouvertüre, aus verschiedenen Queen-Songthemen zusammengezimmert, bestreitet das Orchester noch im Alleingang, bevor Band und Chor mit "Innuendo" einsetzen - und sofort dafür sorgen, daß die hohen Erwartungen mit einem Schlag vom Pferd fallen, denn dieser Song steht exemplarisch für alle Problemfälle des Abends. Band und Orchester finden spielerisch überhaupt nicht zusammen, was bisweilen in einem wüst-holprigen Durcheinander gipfelt - wenn das ein Einfall der Arrangementfraktion gewesen sein sollte, fällt das Fallbeil über dieser nieder, ansonsten über den Akteuren. Dabei können beide Fraktionen für sich betrachtet durchaus was - das Orchester macht nicht erst seit gestern Musik, und die Band gibt es mittlerweile auch schon 18 Jahre. Viele Parts für sich betrachtet sind keineswegs schlecht, aber man hat selten bis nie das Gefühl, hier werde miteinander gearbeitet statt nebeneinander. So überrascht es nicht, daß die besten Momente der über zweistündigen Show diejenigen sind, in denen eine der beiden Komponenten sowieso stark dominiert: "Barcelona" mit seiner Klassikfärbung (wenngleich man nach dem ersten Choreinsatz, der völlig danebengeht, schon schlimme Befürchtungen hegte) und die erste Zugabe "We Will Rock You", wo die Band mal die Zügel losläßt und richtig losrockt, ohne auf das orchestrale Korsett Rücksicht zu nehmen. Genau dort liegt nämlich der Hase im Pfeffer: Kombinationen aus klassischer und Rockmusik können hochinteressant sein, wenn man die Stärken beider Komponenten miteinander vereinigen kann - hier dagegen wurden die Schwächen zusammengeführt, der statische Charakter der Klassik und die Ungenauigkeit der Rockmusik. Dazu kommen diverse andere Problemfälle: So wie Orchester und Band nie richtig zu einer Einheit zusammenfinden, so gelingt das auch Freddie II (wir bleiben der Einfachheit halber gleich mal bei den Namen der Originale) und dem Chor nicht. Für einige der Solostücke kommt dazu noch Montserrat Caballé auf die Bühne, hier die in ein feurig-spanisches rotes Kleid gehüllte Sandra. Aber auch diese Kombination bleibt zunächst hölzern, und als Montserrat II und Freddie II gegen Ende des zweiten gemeinsamen Songs endlich eine Beziehung zueinander aufgebaut haben, wird diese durch die Pause unterbrochen und kann danach nur mit Mühe wieder revitalisiert werden. Freddie II ist sowieso ein Fall für sich: Er sieht aus wie Freddie, das ist richtig. Er hat auch eine Stimme, die von der Färbung her derjenigen von Freddie stark ähnelt, auch das ist richtig. Aber er erreicht Freddies Klasse nie, weder bei der Bühnenpräsenz noch stimmlich. Freddie war da und beherrschte die Bühne - Freddie II ist nur da. Und manche Gesangspassagen erwecken eher das Gefühl, hier stünde eine Parodie auf Freddie auf der Bühne und keine Hommage an ihn. Die fürchterlich nach hinten abklappenden Zeilenenden im Refrain von "The Show Must Go On" sind der Gipfel dieses Eisberges, und wenn man die hohen Passagen in "Pain Is So Close To Pleasure" nicht richtig hinbekommt (sondern nur gekünstelt-beckmesserisch), dann kann man den Song halt nicht ins Programm aufnehmen. Queen haben genug großartige Songs geschrieben, aus denen man wählen kann, und da in dem Programm dieses Abends sowieso ein breiter Block Freddies Soloaktivitäten gehört, bleiben unterm Strich gar nicht mehr so viele Setpositionen zu besetzen, wobei der Fokus auf den späteren Achtziger-Werken liegt. Komischerweise beginnen die stimmlichen Schwächen von Freddie II im zweiten Setteil immer weniger aufzufallen, weil der Sound immer schlechter wird. Von einer ordentlichen Ausbalancierung kann schon im ersten Teil keine Rede sein - die Drums sind grundsätzlich zu laut, und durch den im ersten Teil akustisch praktisch nicht wahrnehmbaren Baß und die während der ganzen Aufführung nur bei "We Will Rock You" hörbaren Rhythmusgitarren entsteht ein seltsam-schräges Klangbild. Im zweiten Setteil ist der Baß da, aber der Gesang (der Leadgesang!) wandert immer weiter in den Klanghintergrund, und das Orchester, allen voran die Trompetenfraktion, beginnt die Band akustisch immer weiter zuzudecken. An manchen Stellen wünscht man sich freilich, eine solche Decke wäre vorhanden gewesen und hätte etwa den schaurig schrägen Eröffnungschoralsatz von May II und Deacon II in "Bohemian Rhapsody" gnädig verschwinden lassen. Deacon II mit seiner Bühnenpräsenz als Kreuzung aus Kraftwerk-Roboter, Rammstein-Kandidat und Metalcore-Unruhestifter ist sowieso noch so ein Fall für sich, die Praxis von Freddie II, den ersten Setteil mit angeklebtem Schnurrbart zu bestreiten, den Soloteil und den Queen-Schlußteil dann aber ohne, darf zumindest hinterfragt werden, und May II leistet sich in seiner zweiten Ansage die größte Peinlichkeit des Abends, als er die bevorstehende Queen-Party in Dresden ankündigt und erwähnt, daß sich der Keyboarder/Pianist besonders auf die Dresdner Kapellknaben freue - mehrsekündiges betretenes Schweigen breitet sich im Saal aus, bevor schnell und holpernd die Erklärung nachgeschickt wird, daß er früher selber dort dabeigewesen sei.
Bis auf die letztbeschriebene Szene stört sich das Publikum an allen anderen Problemfällen allerdings nicht und feiert besonders den Schlußteil des Auftritts ab, als gäbe es kein Morgen, so daß der reguläre Setcloser "We Are The Champions" nach den wohl planmäßigen Zugaben "We Will Rock You" und "Pain Is So Close To Pleasure" noch einmal wiederholt werden muß. Aber selten traf ein Songtitel so ins Schwarze wie der letztgenannte. Publikumsreaktionen und wahrscheinlicher pekuniärer Erfolg hin oder her - Freddie dürfte sich im Grabe herumgedreht haben, und das Experiment muß, wenn man diesen Abend als Maßstab nimmt, als künstlerisch gescheitert betrachtet werden.



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