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Schandmaul, Burn   20.01.2012   Leipzig, Haus Auensee
von rls

Als der Rezensent um 20 Uhr, von Norden kommend, das Haus Auensee auf der Westseite passiert, um zum Eingang an der Südseite zu gelangen, brandet im Haus lauter Jubel auf. Der gilt natürlich nicht ihm, sondern offensichtlich der Tatsache, daß das Hallenlicht erloschen ist und das Konzert beginnt - noch nicht mit Schandmaul, sondern mit dem Supportact Burn. Der entpuppt sich in den sechseinhalb hinteren Songs des Sets, die der Rezensent mitbekommt (der erste halbe geht für die Zeit "Bis zum Eingang und dann in die Halle kommen" drauf), als durchaus fähiges Rockquartett irgendwo im Bereich zwischen U2 und dem aussterbenden angegrungten Rock Marke Creed oder Nickelback. Die stimmliche Ähnlichkeit und auch die im Melodiearrangement ist an einigen Stellen so stark, daß man schon aufpassen nicht, um plötzlich "Sunday bloody sunday" zu singen, wenngleich Burn nicht als Kopisten abgestempelt werden müssen, obwohl sie in der Gesamtbetrachtung nichts wirklich Neues machen. Aber sie haben Ahnung von dem, was sie tun, und schreiben nachvollziehbare Songs, die sie an zwei Stellen sogar zu ausgedehnten Mitsingspielchen ausbauen - als Supportact wohlgemerkt, vor einem Publikum, das vorher kaum jemals schon von ihnen gehört haben dürfte. Aber Leipzig hat gute Laune, singt und klatscht gerne mit, so daß eine gute Stimmung herrscht. "Aline" widmet der Sänger allen Romantikern im Publikum, allerdings läßt der Song dann zwar ein paar entrücktere Gitarrenpassagen und ein gemäßigtes Tempo, jedoch nichts sonderlich Romantisches weiter durchblicken. Im Finale von "Ghost" kratzen Burn dann sogar an Postrockwällen, ohne diese jedoch wirklich aufbauen zu wollen. Die Besetzung besteht klassisch aus zwei Gitarren, Baß und Drums (es singt einer der Gitarristen), allerdings kommen zahlreiche Keyboards und Effekte vom Band, was die Spontaneität natürlich etwas beeinträchtigt und im Falle des einen oder anderen Gezischels auch nicht unbedingt viel zum Gelingen der Songs beiträgt. Dennoch: Material wie "Burn For You" entfaltet einen achtbaren Unterhaltungsfaktor, was auch das Publikum so sieht, und so mancher wird das neue Album "Black Magnolia" durchaus auf seinen Antestzettel übernommen haben.
Aber man ist natürlich wegen Schandmaul gekommen, was entsprechende Sprechchöre während der Umbaupause mehrfach deutlich machen. Die spielen den zweiten Ast ihrer Tour zum 2011er "Traumtänzer"-Album und graben zugleich mal wieder den einen oder anderen länger nicht im Set befindlich gewesenen Track aus, das Ganze auch für Besucher spannend machend, die den ersten Tourteil schon gesehen haben. Bis dahin ist auch das personelle Rätsel schon gelöst: Mancher Anhänger wird sich über die ungewohnte Optik der Violinistin gewundert haben, lange blonde Haare statt der gewohnten mittellangen dunklen. Die Lösung ist einfach: Beide Damen im Schandmaul-Line-up befinden sich im Vermehrungsprozeß, und während Birgit Muggenthaler noch an dessen Anfang steht und zumindest noch einige Zeit mitwirken kann, ist dies Anna Katharina Kränzlein im fortgeschrittenen Stadium nicht mehr möglich. Der Ersatz hört auf den Namen Ally Storch-Hukriede aka Ally The Fiddle und ist beispielsweise anhand ihrer Mitwirkung bei ASP keine Unbekannte mehr. Die Norddeutsche fügt sich jedenfalls prächtig ins Kollektiv ein, auch wenn der Tonartwechsel zum Refrain von "Auf hoher See" für etwas Verwirrung sorgt und das Intro von "Traumtänzer" vermutlich auch nicht so gemeint war. Aber sonst klappt fast alles, und an Spielfreude und Enthusiasmus mangelt es Ally offensichtlich ebenfalls nicht. Lediglich an ihrer Durchhörbarkeit im zweiten Viertel des Sets hapert es bisweilen etwas: Nach durchaus gutem Start bringt es der Soundmensch nämlich fertig, im besagten zweiten Viertel eine gewisse Verunklärung herbeizuführen, der Allys Geige und erstaunlicherweise auch die Gitarrenriffs zum Opfer fallen, und es dauert etliche Songs, bis am Standort des Rezensenten fünf Meter hinter dem Mischpult wieder ein halbwegs ausbalanciertes Klangbild zu hören ist. Wer dagegen den ganzen Set über etwas schwierig zu verstehen ist, ist Sänger Thomas, aber dank sehr textsicherer Anhänger stellt das kein größeres Problem dar. Das Publikum zeigt sich jedenfalls bester Laune, intoniert immer wieder Sprechchöre, und der Rezensent hat den Vorteil, daß sich die meisten Anwesenden vor dem Mischpult drängen, der Raum dahinter aber eher locker bestanden ist und so ein ausgiebiges Tanzbeinschwingen möglich wird, dem die Band natürlich mit ihrem äußerst tanzbaren, wenngleich durchaus nicht nur stur geradeaus rockenden Mittelaltermetal gerne Vorschub leistet und in "Henkersmahlzeit" (noch so eine Oldieausgrabung) während der "Kalinka"-Einschübe dem Original entsprechend immer schneller wird. Ansonsten wird das Tanzbein am stärksten bei "Traumtänzer" (logisch, oder?) beansprucht, und mit "Walpurgisnacht" beendet ein Klassiker den regulären Set, dem mit "Teufelsweib" als eröffnender Zugabe ein weiterer folgt. Danach wird's surreal: Die eskapistische Hymne "Dein Anblick" singt das Publikum, nachdem die Band die Bühne verlassen hat, minutenlang allein weiter, bis die Band zurückkehrt - man fühlt sich an magische Momente von Blind-Guardian-Gigs erinnert und zugleich irgendwie so entschleunigt, daß es einem schwerfällt, noch dreimal das Tanzbein in Bewegung zu setzen (auf der "Sinnfonie"-Livescheibe stand "Dein Anblick" ganz am Ende des Sets). Mit der nächsten Hymne (leider nicht "Prinzessin", sondern "Willst Du?") endet der Gig theoretisch, während praktisch in traditioneller Weise noch das A-Cappella-Stück "Es war so schön", praktisch als "Reisesegen", angehängt wird, bevor sich Thomas endgültig verabschiedet. Die Surrealität geht aber noch weiter: Der Soundmensch wirft als Konservenmusik Nina Hagens "Du hast den Farbfilm vergessen" ein, und während einige der Besucher die vordere Hallenhälfte verlassen und dem Ausgang zustreben, nutzen andere, die die Feierstimmung noch ein wenig ausdehnen wollen, den freiwerdenden Platz für eine zünftige Polonaise, bevor der Spaß endgültig vorbei ist. Prima Gig!

Setlist Schandmaul:
Intro
Auf hoher See
Herren der Winde
Hexeneinmaleins
Narrenkönig
Wolfsmensch
Assassine
Geas Traum
Bis zum Morgengrauen
Die goldene Kette
Vogelfrei
Lichtblick
Pakt
Henkersmahlzeit
Gebt Acht!
Traumtänzer
Walpurgisnacht
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Teufelsweib
Dein Anblick
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Sturmnacht
Drachentöter
Trinklied
Willst Du?
Outro (Es war so schön)



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