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Lake Of Tears, Deadlock, Lights Finding Ourea   30.12.2011   Glauchau, Alte Spinnerei
von rls

Die seltsame ausgewiesene Konzertbeginnszeit von 19.45 Uhr wird durch die nicht minder seltsame Realzeit 20.15 Uhr ersetzt, als die erste Band des nicht minder seltsam zusammengesetzten Dreierpackages auf die Bühne kommt. Hinter dem seltsamen Bandnamen Lights Finding Ourea verbirgt sich eine nicht minder seltsame Band, die rapartigen Sprechgesang, hymnischen Cleangesang, wildes Gekreisch, hüpfkompatiblen 90er-Crossover, Metalcore, Hardcore und Saxophonsoli verknüpft - und zwar all das in den ersten zwei Minuten des ersten Songs. Seltsamerweise funktioniert diese Mixtur irgendwie auch, wenngleich sie das Publikum hörbar überfordert und nur ein paar besonders freistilig orientierte Figuren wirklich begeistert sind. Wiederum seltsamerweise nimmt die Stilvielfalt im Verlaufe des Sets ab, speziell der rapartige Sprechgesang verschwindet, und als neue Zutat kommen nur noch ein paar doppelläufige Gitarren aus der Maiden-Schule hinzu. Der anfangs grottige Sound, der die meisten instrumentalen Einzelheiten verschluckt, aber seltsamerweise alle drei Gesangsmikros glasklar durchhören läßt, wird im Laufe des Sets spürbar besser, so daß man das Saxophonspiel nicht nur sieht, sondern auch hört; das blasende Wesen ist ansonsten auch noch für die Keyboards verantwortlich, die allerdings bis zum Schluß nur in den Passagen mit niedrigerer Schlagzahl durchhörbar sind und im bandnamensgebenden Instrumental allein aktiv sind, eine seltsame Mixtur aus Ambient, Neuzeitelektronik und Krautrockgewaber produzierend. Das Sextett hinterläßt einen engagierten Eindruck, und schlecht sind Songs wie "Origin" oder "Shadows Of Gore" auch nicht - nur eben etwas seltsam und kaum auf Erstkontakt erschließbar. Der Sänger verteilt reichlich props, u.a. an Deadlock, deren Gitarrist Sebastian die aktuelle LFO-EP produziert hat, was das ansonsten seltsame Erscheinen der Band in diesem Package erklärt, wobei das Jenaer Sextett zumindest in der grundsätzlichen Herangehensweise, die Basis des Metalcore mit mal mehr, mal weniger seltsamen Elementen anzureichern, durchaus mit Deadlock vergleichbar ist. Freunde solcher seltsamer Mixturen sollten Lights Finding Ourea im Auge behalten, allerdings ist deren Zahl an diesem Abend in der recht locker gefüllten Halle eher gering.
Von den beiden Headlinern steigen Deadlock an diesem Abend als erste auf die Bühne, und die vordere Hälfte der Halle füllt sich hauptsächlich mit der Konzertjugend, während die ältere Fraktion an den Seiten und weiter hinten verharrt. Großartige wilde Moshpits, Wälle des Todes oder andere Begleiterscheinungen von Metalcoregigs bekommt man an diesem Abend allerdings nicht zu sehen, wobei Deadlock auch alles andere als eine typische Metalcoreband sind. Vor allem das neue Material erweckt live einen sehr harten Eindruck, die Drums machen häufig Tempo, und Leadgitarrist Sebastian flitzt das Griffbrett in bester Traditionsmetaltradition rauf und runter, was in "We Shall All Bleed" dazu führt, daß das Solo immer länger und länger wird. Auch die Posinglektionen haben die drei zentralen Bandmitglieder gelernt - fast ständig steht zumindest ein Fuß auf den Monitorboxen, und Sebastians neonfarbene Gitarre sticht auch optisch hervor. Wenn der Drummer dann auch noch aussieht wie eine Mixtur aus Mr. Proper und Stehaufmännchen und den einen oder anderen Animationsversuch beisteuert, ist der grundsätzliche Unterhaltungswert schon mal gesichert. Neu-Sänger John hat sich bestens an seine Rolle gewöhnt und liebt offenbar Zahlen und Statistiken: "Ich habe gehört, daß letztens bei Morbid Angel nur 150 Leute hier waren. Eine Schande - da gefällt mir das heute schon viel besser!" oder "Ich find's gut, daß wir so ein gemischtes Publikum hier haben, auch vom Alter her, in dieser Stadt mit einem Durchschnittsalter von 52 Jahren." Gesanglich überzeugt er ebenso wie die wieder mal bezaubernd aussehende Sabine, die nach anfänglichen Soundproblemen im Laufe des Gigs auch in den härter unterlegten Passagen deutlich hörbar ist und speziell in "Awakened By Sirens" der Titelrolle wieder mal alle Ehre macht. "State Of Decay" bewältigt sie gesanglich auch ohne männlichen Sidekick, und das kommerzielle Potential dieses Songs ist natürlich nicht im Verborgenen geblieben. Ihr Meisterstück allerdings ist neben "Awakened By Sirens" die fragile Klavierballade "Paranoia Extravaganza", in der sie dem Hörer den einen oder anderen Schauer über den Rücken zaubert. Ansonsten kommt natürlich das neue Album "Bizarre World" zu seinem Recht, während Deadlock ihre absonderlichen technoziden Vorlieben eher in den letzten Songs bündeln. "Martyr To Science" gibt's als Zugabe, Sabine gönnt sich mit der Gitarrenfraktion noch ein posierendes Luftgitarreschwenken aus der Judas-Priest-Schule, und Deadlock haben zumindest bei der vorderen Hallenhälfte endgültig gewonnen.
Die Mehrheit der Zuschauer ist allerdings, wie sich nach der erneut erfreulich kurzen Umbaupause zeigt, wegen Lake Of Tears da: Der Bereich zwischen Bühne und Mischpult füllt sich stärker, während einige jüngere Zuschauer noch vor dem LOT-Gig oder während diesem abwandern. Gut, man muß die eigentümliche Musik der Schweden zwischen Düstermetal, Altrock, Psychedelic und Stonerrock schon mögen und vor allem mit einer sehr basischen Inszenierung der Songs, die mit der Herangehensweise von Deadlock doch kaum kompatibel ist, zurechtkommen, aber wenn man dazu in der Lage ist, dann entrollt sich wiederum ein Panoptikum der guten Einfälle trotz eher begrenzter Variationsbreite zumindest der live umsetzbaren Songs. Das schwedische Quartett spielt sich kreuz und quer durch seine acht Alben, wobei der Sinn des Publikums offenbar vor allem nach altem Stoff steht. Track 4 sagt Daniel Brennare beispielsweise folgendermaßen an: "This is some old stuff from the [Kunstpause] 'Headstones' album ..." - der Rest geht in einem Jubelschrei des Publikums unter, und es erklingt "Raven Land", der düsterste und auch beste Song des ganzen Gigs, wie man eine reichliche Stunde später feststellen wird. Bis dahin haben der gut bei Stimme und Laune befindliche Brennare und seine drei Spießgesellen bei durchaus guten Soundverhältnissen ihr neues Album "Illwill" vorgestellt, aber zur Freude der Altanhänger selbst ihr Debütalbum "Greater Art" nicht vergessen: "As Daylight Yields" findet sich nicht nur als neueingespielter Bonustrack auf "Illwill", sondern auch im Liveset wieder, und Hits aus dem letzten Jahrtausend wie "Sweetwater" hört man natürlich auch immer wieder gern. Lake Of Tears agieren als Quartett ohne Keyboarder; die wenigen Songs, in denen Keyboards oder andere Instrumente tragende Rollen spielen, werden also mit Konservenklängen unterfüttert. Auf die live schwer adäquat umsetzbaren Meisterwerke "Forever Autumn" und "To Blossom Blue" verzichtet man gleich ganz, aber es gibt auf dem "Forever Autumn"-Album (der unbestrittene Höhepunkt im Backkatalog, obwohl oder auch gerade weil ein wenig stilistisch ausreißend) natürlich auch livetauglichere Tracks, und der Rezensent freut sich dementsprechend besonders über "Demon You (Lily Anne)" im Hauptset und "So Fell Autumn Rain" als erste von zwei Zugaben. Nach der zweiten verschwinden Lake Of Tears eher kommentarlos von der Bühne, die Pausenmusik wird eingeschaltet, aber die Leute vor der Bühne wollen noch nicht gehen und erheben in Abständen immer wieder Zugabeforderungen, denen die Schweden aber nicht mehr Folge leisten. Trotzdem ein interessanter Gig und ein starker Ausklang des Konzertjahres 2011!



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