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Rotfront   26.04.2011   Leipzig, Absturz
von rls

Die Konstellation mutet auf den ersten Blick kurios an: Rotfront bringen Mitte Mai 2011 ihr zweites Album namens "VisaFree" heraus - die Tour zum Album aber startet schon Mitte April, ergo zu einem Zeitpunkt, als die geneigte Anhängerschaft nur das Material des Debütalbums kennt und vielleicht noch das Appetizermedley des zweiten Albums, das bereits vorab bei Myspace zu hören ist. Der Rezensent gehört zwar zu den wenigen Privilegierten, die bereits vor dem Gig ein Presseexemplar des neuen Albums vorliegen haben, aber er beschließt, es trotzdem vorher nicht zu hören, um den gleichen Erkenntnisstand wie das Publikum zu haben, das an diesem Dienstag nach Ostern in eher übersichtlicher Kopfzahl in den auf dem alten Feinkost-Gelände gelegenen Club Absturz strömt, was freilich auch Vorteile hat: Tanzbeinschwingende Aktivitäten sind beim Füllstand einer Sardinenbüchse bekanntlich eher schwierig - und gerade auf solche kommt es bei einem Rotfront-Gig natürlich besonders an, wie die ersten Reihen beweisen. Da ist es auch fast egal, ob man denn nun das neue Material schon kennt oder noch nicht - "fast" deshalb, weil Rotfront auch in den neuen Songs einige Breaks versteckt haben, die einen beim Tanzbeinschwingen schon mal gehörig aus dem Rhythmus bringen können, wenn man etwa gerade beschlossen hat, sich bei dem hübschen großen schlanken dunkelhaarigen weiblichen Wesen 50 cm weiter rechts unterzuhaken und wilde Fruchtbarkeitstänze zu vollführen, die Band aber plötzlich in einen entspannten Reggaepart umschaltet. Und stilistische Bocksprünge vollführt das Oktett auf der Bühne nach wie vor oft und gern, wenngleich eine gewisse grundsätzliche Tanzbarkeit durchgängig erhalten bleibt und zudem durch die komplette Liveumsetzung ohne Konservenunterstützung automatisch ein etwas, sagen wir, puristischerer Ausdruck zustandekommt, der Puristen wie dem Rezensenten, die auch ohne elektronisch verfremdete Vocals, Drumcomputer und Synthiebässe weiterleben können, natürlich sehr entgegenkommt. Nein, hier stehen acht hart arbeitende Menschen auf der Bühne, neben den beiden Bandköpfen Yuriy (v, g) und Simon (v, b) noch ein Drummer (der sogar ein Solo einwerfen darf), eine dreiköpfige Bläserfraktion und zwei zusätzliche Sänger: die bezaubernde Dorka und der aus der HipHop-Szene stammende Mad Milian, der sich zum Wohlwollen des Rezensenten weniger im klassischen rappenden Idiom, sondern eher in einer Art fast hardcorekompatiblem Shouten äußert und in der zweiten Zugabe "Mama" sogar zum Stagediver wird. In zwei Programmblöcken plus drei Zugabensongs mit summiert etwa zwei Stunden Dauer spielen Rotfront im Prinzip das komplette neue Album durch, wobei der zweite Block mit einigen Songs eröffnet wird, in denen Simon mit rauhem Ungarisch als Leadsänger eingebunden ist, was auf den ersten Hör einen eigentümlichen Eindruck hinterläßt und auf Konserve noch einmal genauer analysiert werden muß. Dazu gesellen sich natürlich die Highlights des "Emigrantski Raggamuffin"-Debütalbums - den "Sovietoblaster" kriegt man auch anderthalb Wochen nach dem Konzert noch nicht wieder aus dem Gedächtnis raus, und das originelle Deichkind-Cover "Remmidemmi" bildet den umjubelten Schluß des regulären Sets und läßt nicht nur bei dem erwähnten hübschen großen schlanken dunkelhaarigen weiblichen Wesen 50 cm weiter rechts fast sämtliche Dämme brechen, wobei die tanzbeinschwingenden Aktivitäten hier gekonnt verdecken, daß man den Song durchaus auch schon mal flüssiger gehört hat (sowohl in der Studiofassung als auch beispielsweise in der Livefassung von Panos, wenngleich in letzterer auch nicht durchgängig). Die Reprise von "VisaFree" schließt den Gig endgültig ab und entläßt ein gutgelauntes Publikum hinaus in die Nacht.

Setlist:
VisaFree
Immigrant Radio
B-Style
Devil
James Bondski
Sovietoblaster
Berlin - Barcelona
Real Berlin Wedding
Sigaretta
Gay, Gypsy And Jew
Money Money Money
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Czöváz
Kotschma
Cosmos
Eins, Zwei
Vodka & Garlic
Revolution Disco
No Sleep Till Berlin
In Love With A Robber
Emigrantski Raggamuffin
Remmidemmi
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Live Is Life
Mama
VisaFree Reprise



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