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Nemo, Solorot   14.01.2011   Jena, F-Haus
von rls

Der Januar-Gig von Nemo im F-Haus schent zur Tradition werden zu wollen, und es bleibt zu hoffen, daß auch das Publikum sich das als festen Jahresplanpunkt einträgt. Paradox nämlich an diesem Abend: Die Januargigs 2007 und 2010 fanden an Tagen statt, an denen Schneefälle die Anreiselogistik deutlich erschwerten, während der Januargig 2011 an einem Tag anberaumt wurde, der draußen fast Frühlingsstimmung aufkommen ließ, aber nicht nur die restlichen Schneehaufen, sondern auch die Besucherzahl etwas abschmelzen ließ. Sollte die Zielgruppe etwa schon die Grillsaison eröffnet haben?
Wie auch immer - Solorot stiegen pünktlich auf die Bretter und führten mit dem Intro die unkundigen Besucher (was das Gros gewesen sein dürfte) erstmal in die Irre: Den Set über erklang nämlich kein Elektrorock, sondern erdiger Deutschrock mit Metalschlagseite und gewissem Düstertouch, zumal der Schlagzeuger mit einer Ausnahme nicht über gehobenes Midtempo hinauszugehen geruhte und einen eher schleppenden, aber nicht monoton wirkenden Groove präferierte. Witzigerweise hatte der Rezensent auf der Fahrt nach Jena Ozzy Osbournes "Ozzmosis"-Album im Autoradio, und Zakk Wyldes zwischen Tradition und Moderne pendelnde Gitarrenarbeit fand sich in ähnlicher Form auch bei den beiden Solorot-Gitarristen wieder. Der Sänger wiederum artikulierte sich in einer Art rauhem Sprechgesang, kippte allerdings dankenswerterweise nur selten in ein rappendes Idiom ab, sondern blieb bei einer Art Shouting, was zum relativ kantigen Unterbau auch gut paßte, zumal einige melodischere Einwürfe für Klangvielfalt sorgten. Er blieb konsequent bei der deutschen Sprache und wußte sich lyrisch deutlich eleganter um mancherlei Klippe der deutschen Sprache herumzumanövrieren als sein Kollege von Dementi ein Jahr zuvor in gleicher Position. Den durchaus ernsthaften Charakter der Musik lockerte er zudem mit einigen flockigen Ansagen auf, wobei Leadgitarristen-Bashing sein Lieblingssport war - der Leadgitarrist lieferte ihm allerdings auch genügend Steilvorlagen, sei es mit seiner mitgeschleppten Gitarrensammlung oder der Tatsache, daß er beim Songanfang auch schon mal festgestellt hatte, jetzt doch die verkehrte Gitarre erwischt zu haben. So war ein gewisser Unterhaltungswert auch ohne große Bühnenaction sichergestellt - bis auf den Bassisten entpuppte sich der Rest des Quintetts als der Sorte Standmetaller zugehörig. Aber musikalisch gab's für Freunde dieses Genres wenig zu meckern, allenfalls den Sound hätte man sich bei den Saiteninstrumenten manchmal noch ein wenig differenzierter gewünscht, obwohl das Klangbild für den schwierig zu beschallenden Saal generell nicht schlecht war. Freunde von Bands wie Krieger sollten die Thüringer jedenfalls mal anchecken, und Freunde von Led Zeppelin erlebten im vierten Song ein Wechselbad der Gefühle: "Kashmir" wurde angesagt - eine Coverversion? Nein, erkannte man schnell - bis die erste Hälfte des Hauptsolos aber dann doch vom Hauptthema des Zep-Klassikers bestritten wurde. Witzige Idee!
Grundsätzliche konzeptionelle Änderungen wie zwischen den letzten beiden Nemo-Gigs, die der Rezensent gesehen hatte, waren diesmal nicht auf der Tagesordnung gewesen - oder doch? In der Nachbetrachtung jedenfalls bemerkt man, daß die Verschiebung von "Wishmaster" vom Zugabenblock auf die Openerposition programmatisch zu verstehen war: Der Set fiel insgesamt deutlich speedlastiger und härter aus, und das nicht allein aufgrund des Verzichts auf "Angels Fall First" und erstaunlicherweise auch "My Immortal" (das durch das etwas druckvollere "Lithium" ersetzt wurde). Nun wirft diese Strategie beim bekannten Nemo-Konzept, Songs von Nightwish und Evanescence mit Band plus bis zu fünf Gesangsstimmen plus Kammermusikfraktion plus weitere Instrumente zu interpretieren, erfahrungsgemäß noch mehr Soundprobleme auf, da allein eine erhöhte Drumschlagzahl gewöhnlich schon reicht, um manch anderes Instrument zuzudecken. So hätte der Rezensent im Vorfeld wetten können, daß "Dark Chest Of Wonders" ohne akustisch hörbare Streicher auskommen müßte - aber er hätte die Wette verloren! Zwar knisterte die Anlage in "She Is My Sin" und in "Over The Hills And Far Away", als stünde sie kurz vor dem Zusammenbruch, aber die Soundfraktion bekam dieses Problem schnell wieder in den Griff und zauberte im Rest des Sets das beste, transparenteste Klanggewand, das der Rezensent an dieser Stelle bisher von der Band gehört hat. Freilich offenbarten sich immer noch ein paar Baustellen: Die Querflöte blieb bis kurz vor Setende weitgehend unhörbar, passagenweise gingen die Streicher dann doch wieder baden, und Jan-Markus' neue Errungenschaft, eine Violinzither, stand aus Publikumssicht auch nur als dunkler Kasten ohne klangliche Zuordenbarkeit auf der Bühne. Aber ansonsten gab's klanglicherseits wenig zu meckern (zumindest aus der Position des Rezensenten etwa in der 6. Reihe aus betrachtet - an anderen Stellen der Halle kann das durchaus anders gewesen sein), und besonders die Gesangseinstellungen präsentierten die Doppelspitze Tarja, ähm, Lucy und Anette, ähm, Ellie im gebührenden Glanzlicht. Freilich ging auch da mal was schief, etwa im Schlußteil von "Ghost Love Score", als die beiden Damen längere Zeit in einer anderen als der angedachten Tonlage sangen, was Lucy dann irgendwann mal merkte und umzuschwenken versuchte. Einziges Verteilungsproblem stellte diesmal "Nemo" dar - wenn Lucy hier eine Oberstimme über Ellies Leadgesang legt, darf sie eigentlich nicht in den Vordergrund gemischt sein. Ansonsten aber eine tadelsfreie Leistung der beiden Frontladys - und auch Jan-Markus darf sich eine gehörige Steigerung gutschreiben lassen, was seine Interpretation von "The Islander" angeht, die deutlich sicherer und ausdrucksstärker wirkte als noch vor Jahresfrist. Zudem haben Nemo noch einen Trumpf aus dem Ärmel gezogen: "Wish I Had An Angel" kam neu in den Set, und hier schanzte man die im Original recht fies kreischende Stimme Marco Hietalas kurzerhand Keyboarder Christian zu - der gibt bei der AC/DC-Coverband Crayfish immerhin einen brauchbaren Bon Scott bzw. Brian Johnson ab, und er erwies sich für diese neue Stimmrolle hier als perfekte Wahl, auch wenn das Intro abstimmungsseitig zweimal nicht klappte. Die erwähnte Sethärtung brachte neben diesem Song und "Dark Chest Of Wonders" auch das flotte "Last Of The Wilds" (mit unwiderstehlichem Tanzbeinzucken nicht nur im Publikum) und gar "Slaying The Dreamer" ins Programm, wobei letztgenanntes das Kunststück Nightwishs, den in der Studioversion arg konstruiert klingenden Song live lebendiger darzubieten, zu reproduzieren wußte. Deutlich ausgeweitet wurde die Rolle Tinas mit ihrer Sackpfeife - das ließ in "Over The Hills And Far Away" (wegen der erwähnten Soundaussetzer) und "Call Me When You're Sober" (hier konzeptionell bedingt) noch Wünsche offen, aber die Umwandlung von "Come Cover Me" von einem eher unauffälligen Mitläufer im Nightwish-Repertoire hin zu einem reizvollen Glanzlicht in der Nemo-Fassung gelang erneut, auch die extrem stimmungsvolle letzte Zugabe "Sleeping Sun" gewann durch dieses Instrument enorm an Wirkung, und "Last Of The Wilds" überzeugte mit dieser Anreicherung ebenfalls ohne Wenn und Aber. Dazu dann noch ein bißchen Feuer in gespuckter Form oder als Feuersäule und eine deutlich stringentere Setkonzeption, vor allem mit straffen Abläufen - fertig waren zwei Stunden allerbeste Unterhaltung, zudem vor einem trotz nicht ultimativen Füllstandes äußerst feierfreudigen Publikum, dem enthusiastischsten, das der Rezensent bei den bisher vier Nemo-Gigs an dieser Stelle bisher erlebt hat. Und auch er selbst, sonst eher der ruhigen Beobachterfraktion zugehörig, verwandelte sich wieder mal in ein wild tanzbeinschwingendes und headbangendes Wesen - eine Metamorphose, die heute nicht mehr allzuviele Bands bewirken können. Fein! www.nemo-band.com informiert die Nichtdabeigewesenen über die nächsten Nachholmöglichkeiten.

Setlist Nemo:
Intro
Wishmaster
She Is My Sin
Going Under
Come Cover Me
Whisper
Dark Chest Of Wonders
Amaranth
Slaying The Dreamer
Nemo
Lithium
Call Me When You're Sober
Over The Hills And Far Away
The Islander
Last Of The Wilds
The Kinslayer
Wish I Had An Angel
Bring Me To Life
Ever Dream
---
Ghost Love Score
Sleeping Sun



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