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Nemo, Dementi   08.01.2010   Jena, F-Haus
von rls

26.1.2007: Nemo spielen ihren zweiten Gig nach der Formierung der Band - selbiger steigt im F-Haus zu Jena, ist richtig gut, während draußen Schnee fällt und die An- und besonders die Abreise stellenweise etwas abenteuerlich macht. 8.1.2010: Nemo spielen ihren zweiten Gig nach der Neuformierung der Band - selbiger steigt im F-Haus zu Jena, ist richtig gut, während draußen Schnee fällt und die An- und besonders die Abreise vor allem der aus Richtung Osten gekommenen Besucher stellenweise etwas abenteuerlich macht.
Damit wären die Grunddaten genannt, aber etwas ausführlicher darf's dann doch noch sein. Das F-Haus füllt sich diesmal nur langsam (beim Beginn des Nemo-Gigs ist dann aber doch ein sehr ordentlicher Füllstand erreicht), und Dementi steigen eine halbe Stunde nach dem eigentlich gedachten Showbeginn auf die Bühne. Das Quartett spielt eine eigentümliche Sorte Gothic Rock, für die dem Rezensenten etwas die Vergleiche fehlen. Die Keyboards und sonstigen Effekte kommen vom Band, von den Gitarren hört man relativ wenig (und wenn, dann wenig Differenziertes), Baß, Drums und Leadgesang sind klar zu vernehmen, lassen aber wenig Begeisterung aufkommen und motivieren das Auditorium allenfalls zu Höflichkeitsapplaus. Der Gitarrist wirkt, als sei er gefriergetrocknet gewesen und noch nicht wieder richtig reanimiert, der Bassist verrenkt sich zwar motiviert, mutet aber trotzdem irgendwie komisch an, der Drummer tut hinten im Plexiglaskäfig das, wofür er da ist, und so bleibt die Eindruckserzeugung praktisch allein beim zeitweise auch gitarrespielenden Sänger hängen. Der hat eine angerauhte, leicht martialisch wirkende Stimme, mit der er die angerauhten, leicht martialisch wirkenden deutschen Texte herüberbringt (die Analytiker in der Reihe hinter dem Rezensenten stellen sarkastisch, aber korrekt fest: "Text und Stimme passen durchaus zusammen"), die einige gute Ideen beinhalten, sich aber bisweilen auch nur in monotonen Repetitionen erschöpfen (die Weisheit "Ich bin ein Hengst" auf die Frage "Ist es ein Hengst?" in "Das letzte Pferd" etwa kapiert man schon deutlich früher, als die wiederholte Einbleuung assoziieren würde) und die Analytikerfraktion zu der Aussage bewegen: "Wenn er englisch singen würde, könnte ich das ja ausblenden, aber ...". Paradoxerweise scheinen es den Ansagen gemäß (der Rezensent kennt keines der drei Alben der Band) eher die älteren Songs gewesen zu sein, die mit gelegentlichen interessanten Wendungen ein bißchen Leben ins songwriterische Einerlei bringen, auch die Idee, einen Song mit Cello untermalen zu lassen (das Intro läßt eine Ballade vermuten, aber irgendwie landet alles doch wieder im gewohnten angedüsterten Midtempogestampfe), geht zumindest als Versuch in die richtige Richtung durch. Dennoch zieht sich der Set aufgrund des angesprochenen Einerlei wie Kaugummi in die Länge, und das geschmackssichere Publikum verzichtet auf Zugabeforderungen.
Das Grundkonzept von Nemo ist auch nach der Neuformierung identisch geblieben: Man spielt Songs von Nightwish und Evanescence in modifizierten Arrangements. Aber es hat ein paar Veränderungen gegeben, hauptsächlich im Gesangsbereich. Der Chor wurde aufgelöst, lediglich David und Jan-Markus sind für männliche Stimmbeiträge verblieben und steuern noch ein paar weitere Instrumente wie Flöte und Regenrohr bei. Die weibliche Gesangsfraktion wird nun ausschließlich von den Leadstimmen bestritten - ja, richtig gelesen, den Leadstimmen: Nemo haben in der neuen Besetzung eine Doppelspitze, und dieser aus der Not geborene Einfall entpuppt sich als Geniestreich. Man stelle sich vor, Nightwish hätten Tarja Turunen nicht gefeuert, sondern ihr Anette Olzon zur Seite gestellt - genau dieses Konzept verwirklichen Nemo, und sie haben mit Tarja aka Lucy und Anette aka Ellie auch zwei erstklassige Stimmen am Start, welche Ex-Sängerin Astrid nicht nur ersetzen, sondern durch ihre unterschiedlichen Herangehensweisen ganz neue Möglichkeiten bieten. Und die nutzt die vielköpfige Truppe auch konsequent. Der Fokus des Sets liegt zwar weiter bei Nightwish, allerdings stehen diesmal acht Evanescence-Songs im Set, drei mehr als 2007 und meist blockweise angeordnet. Mit "Whisper" geht es nach dem orchestralen Intro zwar etwas schwerfällig los, aber spätestens "Bless The Child" versetzt das Publikum trotz noch etwas schwieriger Soundverhältnisse in die gebotene Feierstimmung, die auch bis zum Ende des zweistündigen Sets nicht mehr abreißen soll. Bis klanglich alles ausbalanciert ist, vergeht ein reichliches Drittel des Sets - das ist bei der enormen Schwierigkeit, die Instrumentenvielfalt abzumischen, kein größeres Wunder, und paradoxerweise markiert das reduzierte "The Islander" an Setposition 8 den Wendepunkt - als es danach mit "She Is My Sin" wieder zupackend zur Sache geht, sind die wohl idealen Einstellungen (zumindest die, die sich für den Standplatz des Rezensenten in Reihe 6 als ideal erweisen) gefunden. Vor allem die Streicher, die man vorher nur in Passagen ohne oder mit nur wenig Bandunterbau durchhören konnte, sind jetzt deutlich besser zu vernehmen (wobei man allerdings auch einige wenige schmerzhafte Mißverständnisse innerhalb der Streicherfraktion umso besser hört), nachdem besonders "Over The Hills And Far Away", mit Setposition 5 ungewöhnlich früh plaziert, aufgrund des nur partiellen Vernehmenkönnens von Patricias Geigensolo und auch Tinas Dudelsack, äh, Entschuldigung, Sackpfeife etwas von seinem Reiz verloren hat. Dafür hört man die Sackpfeife in "Come Cover Me" und "Sleeping Sun" gut genug, um ihren tragenden Charakter für die Nemo-Arrangements dieser Songs zu erkennen. Von der Arrangementseite her gibt es eigentlich nur zwei größere Problemfälle: Erstens klingt der Chorsatz in "Wishmaster" in der Passage ab "Wishmaster/Crusade for Your will" zumindest an diesem Abend wohl ungewollt schräg, und zweitens funktioniert "My Immortal" in der Doppelspitzenvariante irgendwie überhaupt nicht - ob das rational begründbar ist, kann der Rezensent momentan noch nicht sagen, dafür ist mehrmaliges Hören notwendig.
Der größte Teil des Sets, der übrigens nicht geteilt, sondern am Stück gespielt wird, jedenfalls paßt und macht Laune, auch wenn das Eskapismuspotential von "Angels Fall First" schon mal höher war, man auch an der lückenlosen Dramaturgie (es entstehen ein paar Pausen, etwa wenn Kerzen zu entzünden sind) hier und da noch ein wenig feilen muß und die Lautstärkeeinstellungen der beiden Frontmikrofone bis zum Schluß eine Herausforderung für den Soundmenschen bleiben. Die Zeit seit der letzten Aktivitätsphase haben Nemo jedenfalls für zahlreiche Neueinstudierungen genutzt - von den acht Evanescence-Songs sind gleich fünf neu im Programm, und auch bei Nightwish setzt man zwar weiterhin auf die Mixtur aus Populärem ("Nemo", mit Setposition 7 ebenfalls sehr früh plaziert) und selten Gehörtem ("10th Man Down" hält sich immer noch im Set - gute schauspielerische Umsetzung des Marschcharakters im Mittelteil!), hat aber drei Neulinge dabei: "Amaranth" und "The Islander" (das noch ein paar Reserven beim hier Leadvocals singenden Jan-Markus erkennen läßt - als Rauhbein oder Düsterflüsterer bzw. Deklamateur macht er eine bessere Figur) stammen vom 2007er Nightwish-Album "Dark Passion Play", und einen Sonderpunkt verdient sich die Band, indem sie den Wunsch des Rezensenten aus den beiden letzten Nemo-Reviews umgesetzt und das Mammutwerk "Ghost Love Score" inszeniert hat. Das bildet die erste Zugabe und überzeugt mit seinen Ideen, den zentralen Orchesterpart auf die Streicher zu übertragen, fast ohne Wenn und Aber ("fast" nur deswegen, weil man die Stelle halt anders im Gedächtnis hat - hier wird zweifellos schnell ein Gewöhnungseffekt eintreten). Zwei Zugaben später endet ein starker, von Ellie und Lucy nach leichten Auftauschwierigkeiten auch souverän moderierter Klassik-Rock-Gig, der Nemo hoffentlich den Weg in eine glänzende Zukunft weist. www.nemo-band.com hält den Interessenten über die weiteren Schritte auf dem laufenden.

Setlist Nemo:
Intro
Whisper
Bless The Child
Everybody's Fool
Amaranth
Over The Hills And Far Away
Angels Fall First
Nemo
The Islander
She Is My Sin
Going Under
Call Me When You're Sober
Come Cover Me
End Of All Hope
10th Man Down
Ever Dream
My Immortal
Haunted
Bring Me To Life
The Kinslayer
---
Ghost Love Score
Wishmaster
Sleeping Sun



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