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Nemo, Good Mourning   26.01.2007   Jena, F-Haus
von rls

Hatte der Nemo-Debütgig im Juni 2006 noch in einer schönen lauen Sommernacht stattgefunden, folgte der zweite Gig an gleicher Stelle im Winter, was die Anreise aus größeren Entfernungen aufgrund diverser Schneeverwehungen streckenweise zum Abenteuer machte. Ganz gefüllt war das F-Haus diesmal also nicht, aber trotzdem so voll, daß man im Gegensatz zum ursprünglichen Plan die Emporen doch noch öffnen mußte, was im unteren Terrain dann die angespannte Raumsituation ein wenig lockerte.
Mit etwa einer Viertelstunde Verspätung legten Good Mourning los. Die thüringische Truppe spielte eine Art von anachronistischem Indierock, verweigerte sich also konsequent jedweden von den Zeitgeistpostillen von Intro bis Spex ausgerufenen Trends des letzten Jahrzehnts und machte statt dessen lieber ein Bewerbungsschreiben für SubPop fertig, wenngleich man die Krachigkeit vieler potentieller Labelkollegen nicht reproduzieren wollte, was bisweilen schade war, denn Good Mourning fielen noch zu oft ins Songwriting-Schema F mit lauten Zwischenspielen und Refrains unterbrochen durch halbakustische Strophen zurück, schafften es aber auch nicht so richtig, durch konsequentes Züchten von Ohrwürmern aufzufallen, wenngleich der eine deutschsprachige Song, dessen Titel mir gerade entfallen ist, durchaus Hymnenpotential offerierte (und auch ein ganz klein wenig moderner tönte, denn man glaubte in mancher Harmonie dann doch eine gewisse Truppe namens - Überraschung - Evanescence herauszuhören, was in diesem Kontext richtig gut paßte). Aber gerade ein Song wie "We Go Insane" hätte nach dem einleitenden, für Good Mourning-Verhältnisse äußerst sperrigen Part, der das per Ansage verbriefte und im Titel angedeutete Thema des Songs gut verdeutlichte, einen experimentelleren Fortgang gebraucht und eben keinen Rückfall ins erwähnte Schema F. Positiv herauszuheben bliebe die noch nicht weltbewegende, aber gute Stimme der Sängerin, der allerdings die Souveränität in der Publikumskommunikation noch etwas gebrach. Ordentliche Dreiviertelstunde einer Band, aus der noch was werden könnte.
Nemo machten es sich nicht allzu einfach, indem sie etwa einfach den Debütgig kopiert hätten - andererseits dürfte natürlich auch niemand erwartet haben, daß sie vom Grundkonzept des besetzungstechnisch erweiterten Coverns von Nightwish und Evanescence, über das man sich am einfachsten in der Rezension des Debütgigs informieren kann, mir damit hier eine Repetition ersparend, abgerückt wären. Aber ein paar Veränderungen gab es doch zu konstatieren. Zum einen hatte sich die klassische Besetzung verändert, sowohl im über weite Strecken umgekrempelten Chor als auch unter den Klassikmusikern - so war beispielsweise der Violinsolist vom letzten Mal nicht mehr dabei, was zwangsweise zu diversen Umarrangements führte. Zum zweiten war die Setlist nicht nur reihenfolgeseitig umgekrempelt (mit Nightwishs relativ unbekanntem "10th Man Down" zu beginnen muß man sich auch erstmal trauen ...), sondern auch in zwei Punkten verändert worden, so daß sich eine weitere "Vernightwishisierung" ergab, denn Evanescences "Hello" und "Anywhere" waren durch Nightwishs "Ever Dream" und "Sleeping Sun" ersetzt worden, was offensichtlich aber weder das Publikum noch den Rezensenten (welchselbiger sowieso die größere Affinität zu Nightwish hegt) entscheidend störte. Zum dritten schließlich gab es auch soundseitig einige Unterschiede zu vermelden, wobei der Rezensent diesmal den ganzen Nemo-Gig über ca. in Reihe 7 stand, auf den Versuch der Ergründung der Beschallungsverhältnisse an verschiedenen Orten also verzichtete (die diversen Stimmen nach dem Gig brachten wie schon beim Debütgig recht unterschiedliche, allerdings diesmal zumeist positive Meinungen zum Ausdruck). Eine grundsätzliche positive Verschiebung ließ sich auf jeden Fall bestätigen (wengleich Doublebassdrums in so einer Konstellation immer gefährlich sind ...), denn diesmal waren ab Song 3 ("Bare Grace Misery") die Streicher deutlich besser zu hören, und zwar nicht nur wenn sie solierten, sondern auch wenn sie gemeinsam mit dem Keyboard oder auch eigenständig Klangteppiche legten. Gleiches galt für den Chor, der zwar immer noch relativ weit im Schallhintergrund stand, dessen Solistin die Zweitstimmenausführung für Leadsängerin Astrid aber ganz hervorragend erledigte. Durchs akustische Sieb fielen diesmal im Prinzip nur die Flötistin, der Hornist und - eine kleine negative Überraschung - auch der größte Originalitätsfaktor von Nemo, nämlich Tinas Dudelsack, den man in "Come Cover Me" noch halbwegs gut vernehmen konnte, in "Over The Hills And Far Away" aber fast überhaupt nicht mehr und in "Sleeping Sun" in bisweilen komisch abgehackter und schwankender Weise, was die träumerische Atmosphäre dieser letzten Zugabe nur bedingt förderte. Nicht ganz hundertprozentig in Form war auch Sängerin Astrid - das allerdings bemerkte man lediglich zwischen den Songs, wenn die Lockerheit und der Enthusiamus in der Publikumskommunikation etwas hinter dem Debütgig zurückblieben; rein sanglich meisterte sie ihre wahrlich nicht anspruchslosen Passagen aber erneut in bewundernswerter Weise und war zudem diesmal auch akustisch pausenlos gut vernehmbar. Ob die Textvariation in "Nemo" geplant war oder nicht, muß offen bleiben (es gab auch noch ein paar weitere ...), und die Prognose des Rezensenten vor dem Gig sollte sich ebenfalls bewahrheiten: "Wenn auch spielerisch einiges schiefgeht - 'The Kinslayer' wird diesmal klappen." Das eskapistische Potential mancher Songs entsprach der Leistung vom Debütgig ("Nemo"), bei anderen konnte es diesmal nicht ganz reproduziert werden ("Angels Fall First", diesmal mit zu blechernen Drumbeats am Ende; "My Immortal", mit einem vergleichsweise "dunklen" Klaviersound dargeboten, der sich, wenn man das Original im Ohr hatte, diesmal leicht mit dessen hellerem Ton biß), auch "Haunted" kam an diesem Abend irgendwie schwerfälliger rüber. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau, denn der rein netto wieder etwa zweistündige Gig (der dem Rezensenten übrigens kürzer vorkam als damals der erste, was sich bei einem vergleichenden Blick auf die Setlists allerdings nicht in diesem Umfang bestätigen ließ) machte alles in allem jede Menge Spaß (zumal man diesmal auch von unpassenden Moshpits verschont blieb - allerdings führte die erwähnte leicht schwankende Kommunikationsqualität auch zu diverser struktureller Unklarheit am Setende, was denn nun Zugabe und was Setbestandteil war, und umgekehrt reichte der Publikumsenthusiasmus diesmal auch nicht für eine weitere außerplanmäßige Zugabe aus) und ließ zwar nach wie vor den Wunsch nach einer Umsetzung von "Ghost Love Score" offen - aber man muß sich für die Zukunft ja auch noch Ziele offenhalten. So bleibt der Rezensent gespannt auf die weiteren Taten von Nemo, vielleicht auch mal außerhalb von Jena - daß das Projekt auch außerhalb des Heimpublikums bestehen kann, sollte außer Frage stehen. www.nemo-band.com hält den Interessenten über anstehende Termine auf dem laufenden.

Setlist:
10th Man Down
She Is My Sin
Bare Grace Misery
Everybody's Fool
Even In Death
Come Cover Me
End Of All Hope
The Kinslayer
Taking Over Me
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Haunted
Ocean Soul
Bless The Child
Angels Fall First
Ever Dream
My Immortal
Over The Hills And Far Away
Slaying The Dreamer
Wishmaster
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Nemo
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Sleeping Sun



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