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Junges Sinfonieorchester Dresden   08.01.2011   Dresden, Hochschule für Musik
von rls

Das Junge Sinfonieorchester gehört organisatorisch zum Landesgymnasium für Musik, aus dessen Schülern es sich rekrutiert. Das macht eine kontinuierliche Arbeit gleichermaßen möglich wie problematisch, da einerseits fixierte Strukturen zur Verfügung stehen, andererseits aber die Musiker alters- und ausbildungsbedingt permanent wechseln und man sich schon etwas einfallen lassen muß, wenn mal wieder Dutzende Cellisten, aber kein Kontrabassist vor der Tür stehen, während sich drei Jahre später das Verhältnis umgekehrt hat. Im Vergleich zu Projektorchestern wie dem Landesjugendorchester hat das Junge Sinfonieorchester den Vorteil, daß es nicht auf begrenzte Probenphasen beschränkt ist, sondern etwas längerfristig arbeiten kann, und das macht den kleinen Nachteil, daß dadurch auch die übergreifende Befruchtung durch andersgeartete Herangehensweisen entfällt, problemlos wett.
Nun steht also das Jahreskonzert des Orchesters auf dem Programm, und zwar im neuen Konzertsaal der Dresdner Musikhochschule, der freilich etwas gewöhnungsbedürftig ist. Die weiße Farbgebung hinterläßt bei manchem Besucher einen sterilen Eindruck, die Wegeerschließung im Parkett ist bei Vollbestuhlung etwas umständlich, und dann wäre da noch das Wichtigste: die klanglichen Verhältnisse. Die gelten vor allem bei größeren Besetzungen als nicht einfach zu managen, und das bekommt man in Modest Mussorgskis "Eine Nacht auf dem kahlen Berge" auch eindrucksvoll demonstriert: Während das Tiefblech sich ordentlich Gehör verschafft, gelingt den Tiefstreichern das überhaupt nicht, während die Hörner wie abgekapselt vom Rest wirken, die anderen Streicher sich so durchlavieren und ein relativ dumpfes Gesamtklangbild entsteht, für das man einige Zeit braucht, bis man es mit den analytischen Ohr durchdrungen hat und weiß, wo man man etwas genauer hinhören muß. Jedenfalls haben die jungen Musiker hörbar Spaß bei der Sache und legen viel Power ins Spiel, agieren hier und da aber etwas zu nervös, z.B. in der Glockenpassage vorm Schluß, wo der klar und deutlich dirigierende Tilo Schmalenberg einen Moment braucht, bis er wieder Ruhe reinbringt. Aber selbst der zu harte Schlußton trübt die Freude über eine anhörenswerte Aufführung nicht entscheidend.
Für die nächsten beiden Programmpunkte räumt Schmalenberg seinen Platz für den Dirigierstudenten Lennart Dohms, aber in künstlerischer Hinsicht bemerkt man den Wechsel kaum. Zunächst spielt die Cellistin Sophia Dimitrow (Klasse 12) zwei Stücke von Antonín Dvorák. In "Waldesruhe" dauert es ein wenig, bis das Orchester nicht nur einen leisen Teppich unter das Cellospiel legt, sondern auch die Feinabstimmung mit der Solistin richtig sitzt. Die von den jungen Musikern erzeugte Atmosphäre paßt jedenfalls, und mit fortschreitender Spielzeit macht sich titelgemäß tatsächlich eine große Ruhe breit, die auch nicht jedes Erwachsenenorchester so hinbekommt. Den nötigen Kontrapunkt setzen die teils vorwitzigen Flöten, und der butterweiche Ausklang läßt den Kenner mit der Zunge schnalzen. Paradoxerweise zeigt sich beim folgenden Rondo für Violoncello und Orchester das entgegengesetzte Bild. Dohms läßt ein durchaus flottes Grundtempo ansetzen, das den romantischen Charakter nicht zerstört, und bekommt mit den locker groovenden Hochgeschwindigkeitsparts im Mittelteil einen Sonderpreis für Eleganz - aber hier kann die Hochform nicht bis zum Schluß gehalten werden, in dem vor allem die Violinen viel zu nervös agieren. Dafür kann die in ein weinrotes Kleid gehüllte Solistin natürlich nichts - sie liefert eine solide emotionsgefärbte Leistung ab.
Introduktion und Rondo capriccioso op. 28 von Camille Saint-Saëns sind ein beliebtes Paradestück für Violinisten - eine mutige Wahl also von Lisa Kuhnert (Klasse 12), sich hier heranzuwagen. Aber die Konzertmeisterin des Landesjugendorchesters entledigt sich der Aufgabe mit Bravour: Schon beim zweiten Ton des langsamen Intros läuft einem der erste wohlige Schauer über den Rücken; vor der Wiederholung noch eine kurze Blickabstimmung zwischen Solistin und Dirigent, und dann kommt der Stein endgültig ins Rollen. Was da an Intensität im Spiel der Solistin liegt, gibt zu großen Hoffnungen Anlaß, und sie schüttelt die nötige Power mit einer Lockerheit aus dem nicht vorhandenen Ärmel ihres rotvioletten Kleides, die einen zum Staunen bringt. Auch den fast zigeunerhaften Touch mancher Teile des Rondos bringt sie herüber, als sei sie die Urenkelin von Pablo de Sarasate, der weiland die Uraufführung spielte. Nur der Übergang ins Orchestertutti holpert einen Tick zu angestrengt über die Straße, aber auch er gelingt bei seiner Wiederholung flüssiger, und von da an läuft alles wie am sprichwörtlichen Schnürchen. Interessant übrigens, mal die intensive Beinarbeit Lisa Kuhnerts zu studieren (wann rückt sie, wann schwebt sie förmlich) und dann später am Abend mit der deutlich statischeren Vadim Repins in der Semperoper zu vergleichen ... Lautstarke Begeisterung kommt von den Rängen, aber die Solisten haben offensichtlich keine Zugaben vorbereitet.
Nach der Pause gibt es ein Experiment: Es erklingen Auszüge aus der Ballettmusik "Prometheus" von Ludwig van Beethoven, zwischen denen jeweils literarische Abhandlungen über die Figur des Feuerdiebes und Menschheitserleuchters rezitiert werden. Das reicht thematisch vom klassischen griechischen Drama aus der Feder Aischylos' über den reichlich vertretenen Johann Gottfried Herder bis hin zu Albert Camus, wobei sich die Textauswahl auf Philosophie und Psychologie beschränkt, kulturgeschichtliche Aspekte aber außen vor läßt (daß keine alpinistischen Texte vorkommen würden, war abzusehen, wenngleich sich auch hier interessante Aspekte böten, denn der Befreier Herakles muß schon ein versierter Kletterer gewesen sein, um die Felsen rings um den Kasbek zu ersteigen, an die Prometheus vom zornigen Zeus als Strafe für seinen Feuerdiebstahl gekettet worden war). Jessica Graeber vom Landesgymnasium für Musik sowie die beiden Hochschulstudenten Henrik Marthold und Felix Seibert wirken als Sprecher, wobei der Einleitungstext (der im Gegensatz zu den anderen nicht im Programmhefteinleger abgedruckt wurde) auch noch elektronisch verzerrt wird, während die anderen dann mit Normalstimme erklingen. Obwohl das Orchester hier ähnlich groß besetzt ist wie bei Mussorgski und auch mancherlei powernde Passagen auf dem Plan stehen, stellen sich paradoxerweise deutlich transparentere Klangverhältnisse ein als zu Beginn. Die Tanzbilder des Balletts kann man, so man eine Affinität zu dieser Kunstform hegt, also problemlos vor dem eigenen geistigen Auge erstehen lassen, das Orchester bietet mal wieder ein klein wenig Schatten (etwa das zu trockene Flötensolo im Satz zwischen den Hoffmann- und Shelly-Texten) zu einer guten Dosis Licht (das singende Cellosolo an gleicher Stelle!), das Powermanagement am Schluß bekommt der wieder ans Pult zurückgekehrte Tilo Schmalenberg mit feinem Händchen für Dynamikschichtung hin, und so ist auch hier der Applaus des gut besetzten Saales gleichermaßen herzlich wie berechtigt. Über weitere Aktivitäten hält www.landesmusikgymnasium.de den Interessenten auf dem laufenden.



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