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Landesjugendorchester Sachsen   08.10.2010   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

Das 39. Projekt des Landesjugendorchesters Sachsen bringt eine seltsame, aber originelle Mixtur auf die Bretter: Zwei "deutsche" Brocken werden von nordischen Beiträgen eingerahmt. Das funktioniert in der Endabrechnung erstaunlich gut, und dies nun wieder liegt am hörbaren Enthusiasmus aller Beteiligten, auch wenn da, wie das bei einem jugendlichen Projektorchester nun mal so ist, noch nicht alles so klappt, wie es das dann später bei den Erwachsenen eigentlich sollte (aber, wie man weiß, auch nicht immer tut). Schauen wir mal durchs Programm:
Als archetypisch kann man eigentlich gleich die Situation in der "Finlandia" von Jean Sibelius ansprechen: Der erste Einsatz mißlingt in puncto Homogenität noch etwas, der zweite aber sitzt und mündet in begeistertem Bläserbombast, die Streicher sind sich anfangs auch noch nicht so ganz im Tempo einig, aber sie bekommen das relativ schnell hin, und auch ihre Bombastpassagen sprühen dann vor Begeisterung, während wiederum die Tiefstreicher das Kunststück fertigbringen, in der Passage nach der ersten Wiederkehr der Introphrase originalgetreu zu klingen wie eine vorrückende Panzerarmee, und sich damit schon mal für Schostakowitschs Siebente qualifizieren, falls die mal (vielleicht in einem überregionalen Gemeinschaftsprojekt) gestemmt werden soll. Solche großen Momente wischen dann auch die kleinen Probleme wie die hier deutlich zu hölzern klingenden ruhigen Passagen locker vom Tisch.
Dirigent Michael Helmrath hat das Sibelius-Stück auswendig dirigiert, fürs Violinkonzert von Robert Schumann vertraut er aber doch lieber einem notenbelegten Pult vor sich. Solistin Katharina Haffner, gerade 22 und in Dresden studierend, tut das nicht - sie wagt sich auswendig an dieses zerklüftete Werk, das selbst große Geiger wie Frank Peter Zimmermann meist mit Notenunterstützung spielen, und sie meistert diese Aufgabe mit großer Anstrengung, aber auch mit einer Portion Eleganz, was man ihr beides deutlich ansieht (letztgenanntes eher auf die Modefrage bezogen). Und was sie da zu leisten hat, ist Schwerstarbeit: Im Gegensatz zu Mendelssohn hat Schumann die Solovioline nicht vordergründig virtuos, aber auch alles andere als kantabel gesetzt, oft wird ein zerrissen-schräges Spiel nötig (das, so mag man bemerken, Schumanns Geisteszustand während der Abfassung zu verdeutlichen scheint), hier und da weint die Violine förmlich. Ein konsequentes Miteinander von Solist und Orchester fordert der Komponist nur an wenigen Stellen, aber die (beispielsweise die Dialoge mit der Oboe im ersten Satz) gelingen Haffner und den jeweiligen Partnern hervorragend. Das Orchester kann die Grundnervosität im ersten Satz zwar lange nicht ablegen, aber die butterweichen Horneinsätze weisen schon in die richtige Richtung, und die Solocellistin läßt sich davon im Intro des zweiten Satzes nur zu gern anstecken. Helmrath hält das Tempo über weite Strecken relativ weit unten, muß im zweiten Satz hier und da sogar explizit fordern, damit das Orchester nicht zu schleppend agiert, und bricht nur in den locker groovenden Tanzparts wirkungsvoll aus. Daß die miteinander verbundenen Sätze 2 und 3 sich irgendwann zu ziehen beginnen wie Kaugummi, kann aber auch er nicht verhindern, man registriert noch eine Frühform des Themas, das 100 Jahre später unter dem Liedtitel "Auferstanden aus Ruinen" bekannt werden sollte, und schaltet in den endlosen Windungen dann irgendwann mal ab. Liegt es daran, daß man zwar herzlich, aber auch schnell ermüdend applaudiert und der Solistin trotz grandioser Leistung nur einen Vorhang und damit gar keine Chance einer Zugabe erst gönnt?
Nach der Pause kommt der nächste nordische Beitrag: "Musica tenera" des Esten Lepo Sumera, hierzulande eine völlig unbekannte Größe. Das Stück entpuppt sich als höchst merkwürdig strukturiert: Die Streicher bauen mittels Tonrepetitionen simple Dreiklänge, bis das Holz reinfunkt, und diese Strategie wird mit wechselnden Rollen immer mal wiederholt, unterbrochen durch einige spätromantisch anmutende Passagen, die aber auch immer wieder auf das Mittel der Ton- oder zumindest Phrasenrepetition zurückgreifen. Das klingt scheinbar simpel, ist aber bisweilen irre schwer zu spielen (so gerät das Gesäge der 1. Violinen denn auch nicht immer ganz synchron, wobei wie bei jedem anderen Komponisten des 20. Jahrhunderts die Frage offen bleiben muß, ob das möglicherweise gar so geplant war) und klingt schließlich mit sinistrem Geschleife der 1. Violinen im ppp aus, was einem eine Idee von Mahlers 1. Sinfonie ins Gedächtnis zaubert, die auch an anderen Stellen des Werkes offenbar die eine oder andere Spur hinterlassen hat, nur eben sozusagen in postserieller Form.
Bekanntes Terrain betritt man danach mit Mendelssohns Konzertouvertüre "Die Hebriden", und der Dirigent läßt folglich sein Notenpult wieder wegschaffen. Das Intro paart das Violinkonzert des gleichen Komponisten mit Karel Gotts "Babicka", in den Soloparts der Celli liegt an diesem Abend viel Seele und kompensiert das etwas zu trocken agierende Blech und das auch nicht immer sichere Holz, wenngleich sich beide Fraktionen im Verlaufe des Stücks nochmal zu steigern wissen. Die letzte Portion Eleganz können die jungen Musikerinnen und Musiker hier allerdings nicht abrufen, aber wenigstens stimmen sie mit satter Power und Frische versöhnlich.
Als eher kurios geht der letzte Programmpunkt durch: Die erste Peer-Gynt-Suite von Edvard Grieg wird komplett durchgespielt, aus der zweiten dann aber noch "Solvejgs Song" hintendrangehängt. Sinnvoller erschiene es, die erste Suite zu spielen (mit dem Brecher "In The Hall Of The Mountain King" als Closer) und dann ggf. noch Solvejg als Zugabe singen zu lassen - das hätte auch die enorme Konzertlänge einen Tick reduziert, denn die hat hörbar Spuren bei den jungen Musikern hinterlassen: Sowohl beim Holz als auch beim Blech ist die Luft schlicht und einfach raus. Dafür schwingen sich paradoxerweise die Streicher zu ihren besten Leistungen des ganzen Konzertes auf (klammert man mal ein paar fürchterliche Bratschenschnitzer in "Anitra's Dance" aus), und die beseeltesten Momente finden sich wieder mal in der Düsternis und im Aufbau sinistrer Spannung, schon in "Aase's Death" und dann ganz besonders in der extrem lange stehenden Schlußspannung von "Solvejg's Song". Aber auch die Powerseite überzeugt wieder, obwohl in der Bergkönigshalle auch mal gepflegtes Gewusel herrscht, was in bewährter Weise mit immenser Power und jugendlicher Frische kompensiert wird, allen voran von Lisa Kuhnert am ersten Geigenpult, der man wie manch anderem Orchestermitglied den Spaß an der Sache richtig ansieht. Das Publikum hat trotz prinzipieller Fähigkeit zur differenzierten Betrachtung offensichtlich auch solchen, und somit ist das Ziel der Arbeit dieses Orchesters mal wieder auf allen Ebenen erreicht. 2011 wieder? Gern - dann im Frühjahr in einem Gemeinschaftsprojekt mit dem Landesjugendorchester Thüringen.



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