Nachtgeschrei, Silent Poem 18.12.2010 Gera, Sächsischer Bahnhof von rls
Bei einem Mittelaltermetalgig fällt die Idee des Soundmenschen, als Pausenmusik die jüngste Schandmaul-Livescheibe einzulegen, natürlich unter "erstklassige Zielgruppenbedienung", zumal Silent Poem auch noch klingen wie eine etwas abgespeckte Fassung von Schandmaul, ohne Drehleier, aber mit Geige elektrischer Bauart, die Baßgitarre allerdings auch gleich noch durch einen elektrischen Kontrabaß ersetzend, den man freilich akustisch kaum wahrzunehmen in der Lage ist: Der Gesamtsound ist in angenehmer Lautstärke gehalten, aber etwas unausgewogen, da vor allem die Schlagzeugerin akustisch doch etwas zu weit im Vordergrund steht, wohin man sie wiederum physisch aus optischen Gründen gerne geholt hätte. Von ihren Backingvocals bleibt allerdings auch kaum mehr als eine Ahnung und so mancherlei kompositorische Idee etwas verschleiert. Daß letztgenannte durchaus vorhanden sind, ist aber deutlich wahrzunehmen, und wenn man den alten Song "Geistesblitz" und den neuen, noch gar nicht konserviert erhältlichen "Dr. Kosmos" (das soll der Titeltrack der nächsten Scheibe werden) vergleicht, fällt auf, daß das Quartett schon früh seinen Stil gefunden hatte und diesen jetzt nur noch schrittweise verfeinert, wozu auch noch eine etwas bessere Abstimmung der Gesangspassagen im hinteren Teil von "Dr. Kosmos" gehören dürfte, die an diesem Abend noch etwas schräg klingen. "Mitternachtsgesellschaft" übernimmt im Intro den Rhythmus von Deichkinds "Remmi Demmi", entfaltet seinen Wortwitz aber nur begrenzt, da die Leadvocals des Kontrabassisten akustisch bisweilen auch etwas untergehen. Selbiger Mensch erweist sich in puncto Unterhaltungswert allerdings als Haupttrumpf der Band: Zunächst tritt er in einem langen grünen Bademantel und mit Heinz-Rudolf-Kunze-trifft-Nana-Mouskouri-Gedächtnisbrille an, weist darauf hin, daß das Pflegepersonal seines Heimes in Coswig bei Dresden ihn und seine Bandkollegen dankenswerterweise mal rausgelassen habe, und versteigt sich schließlich in immer absurdere Ansageinhalte, was Lachstürme im Publikum hervorruft - ein liebenswerter Chaot sozusagen. Auch die zwei Coverversionen des Sets treffen ins Schwarze: zunächst ein irisches Traditional mit sehr hoher bpm-Zahl, das das Publikum zu Tanzbewegungen animiert, dann eine originelle Version von Joachim Witts "Der goldene Reiter", eingeleitet von der Ansage, man sei sehr geehrt, daß Witt einen Song über ein in Dresden stehendes Kulturdenkmal geschrieben habe. Ein für Supportverhältnisse recht langer und äußerst unterhaltsamer Gig endet damit, daß die Zugabe kurzerhand schon in den Set integriert wird, und danach kommt es zu einer surreal anmutenden Szene: Die Band beginnt ihre Instrumente abzubauen, der Soundmensch schaltet die Schandmaul-Scheibe wieder ein, wo der gerade laufende Song nach wenigen Sekunden endet und in lauten Jubel Tausender Schandmaul-Fans mündet - der Sänger wendet sich daraufhin noch einmal zum Publikum in Gera und dankt ergriffen für den lauten Applaus ...
|