www.Crossover-agm.de
Totenmond, Doom Division, Eisenvater   03.09.2010   Leipzig, Moritzbastei
von rls

Als undergroundorientierte Konzertreihe auf eine dreistellige Anzahl von Veranstaltungen zu kommen muß man auch erstmal schaffen. Die kultige Leipziger Serie "Heavy Metal - Nix im Scheddel" hat sich nicht unterkriegen lassen (auch von solchen Widrigkeiten wie dem unerwarteten Tod von Chefdenker Ringo anno 2007 nicht) und darf sich seit diesem Freitag in den Club der Hunderter einreihen. Wer freilich die Idee hatte, als Jubiläumskonzert nun ausgerechnet einen Doomgig zu veranstalten, darf sich einen etwas schrägen Humor gutschreiben lassen - ein Zaunpfahlwink bezüglich eines baldigen Ablebens des Jubilars steckt hoffentlich nicht dahinter. www.scheddel.de hält den Interessenten über die nächsten Termine auf dem laufenden.
Massenware ist der Doom bekanntlich nicht und der von Eisenvater schon gar nicht - so bleibt im hinteren Bereich der großen Veranstaltungstonne der Moritzbastei schon das eine oder andere Plätzchen leer bzw. leert sich während des dreiviertelstündigen Gigs. Nicht daß der etwa schlecht gewesen wäre, nein - aber mancher Hörer fühlt sich von dem wüsten Soundgebräu offensichtlich doch etwas überfordert. Selbiges dringt allerdings glasklar und nur einen ganz kleinen Tick zu laut aus den Boxen und läßt u.a. Versatzstücke aus Doom, Hardcore und noch diversen anderen extremeren Subgenres erkennen, die allerdings durchaus organisch in Songs gegossen werden, wenngleich die vollständige Erschließung des Materials für Neuhörer durchaus eine Herausforderung darstellt. In der ersten Aktivitätsphase der Band, selbst in den "Anything goes"-Neunzigern, war das Verstörpotential freilich noch deutlich höher als heutzutage, wo Bands wie Neurosis schon fast allgemein anerkanntes Kulturgut in der Szene sind und die ganzen Mathcorebands längst andere Komplexitätsstandards gesetzt haben. Zu sehen ist das Quartett auf der Bühne aufgrund immensen Nebeleinsatzes übrigens nur selten; der mittlere Gitarrist, der auch die seltenen Vocaleinwürfe übernimmt (ohrenscheinlich mal Englisch, mal Deutsch), entpuppt sich optisch als eine Mixtur aus Heinz Rudolf Kunze und Toxic Smile-/Stern Combo Meißen-/Krause Duo-Frontmann Larry B. und legt in seinen wenigen Ansagen einen knochentrockenen Humor an den Tag, wobei "Der nächste Song handelt vom ... (es folgt jeweils noch ein Wort)" zum Standardspruch avanciert, aber kaum hundertprozentig ernstzunehmen gewesen sein dürfte. Immerhin beinhaltet der Song übers Wetter fast zurückhaltend zu nennende halbakustische Passagen und geht im Eisenvater-Kontext schon fast als kommerziell durch, das Level an rauher Energie zwar haltend, aber etwas aufpolierend. Der vorletzte Track mit seinen extrem langsamen Passagen, die in ihrer Bauart wie in ihrer Intensität dem älteren Teil des Publikums wohlige Erinnerungen an die US-Legende Winter bescheren, rückt das Weltbild auch der antikommerziell eingestellten Fraktion im Publikum wieder gerade.
Nach einem langen Soundcheck betreten fünf Kurzhaarige namens Doom Division die Bühne und schleudern in immenser Lautstärke bei aber immer noch ziemlich klarem Soundbild den Geburtstagsgästen eine andere, aber prinzipiell verwandte Sorte Doom entgegen. Die Ansage irgendwann mitten im Set, man käme aus "Stuttgart, Louisiana", wäre eigentlich gar nicht mehr notwendig gewesen, denn an zweiter Position in der Setlist (zählt man das "Godzilla" entlehnte und kaum hörbare Intro nicht mit) covert die Truppe "Broken Glass", einen der wohl besten und aufgrund seiner Plazierung auf einem frühen RockHard-Sampler auch bekanntesten Songs von Crowbar, in einer überzeugenden und mitreißenden, nahe am Original bleibenden, aber ein paar feinfühlige Variationen einbastelnden Fassung und gewinnt damit nicht nur viele Herzen des Publikums im Sturm, sondern macht auch stilistisch alles klar: Doom mit starker Hardcore-Prägung ist angesagt, wobei das sumpfig-bluesige Feeling etwas in den Hintergrund tritt und sich eigentlich nur im reichlich schrägen Mundharmonika-Solo in "Train Rolls On" stärker Bahn bricht. Ähnlich wie Crowbar agieren auch Doom Division durchaus tempovariabel, im Direktvergleich klingt der DD-Sänger allerdings deutlich weniger gequält als Kirk Windstein, ohne freilich etwas an Rauhigkeit einzubüßen, was DD möglicherweise einige Anhänger bescheren könnte, die zwar die instrumentale Komponente von Crowbar mögen, bei Windsteins Gesang aber immer die Rufnummer der nächsten Apotheke ins Gedächtnis gebeamt bekommen. Das Energielevel liegt jedenfalls durchgängig hoch, zu den etwas geradlinigeren Midtempopassagen in "Destroy" oder "My Hardest Walk" schwingt die linke hintere Ecke des Saales fast geschlossen das Tanzbein, und "Lowlife" entpuppt sich als die Stilmittel der Band fast allumfassend vorstellend: Der Song beginnt mit trockenen schnellen Hardcorestakkati, wird dann über mehrere Zwischenstufen und Schleifen immer langsamer und endet in purer Kriechgeschwindigkeits-Verzweiflung kurz vorm Stillstand. "Fast allumfassend", weil der Setcloser "Bury Me In Smoke" plötzlich noch zwei "richtige" Gitarrensoli auffährt, die es vorher im ganzen Set nicht gab. Sehr starker Gig, vom Sänger noch mit ein paar sympathischen Ansagen aufgelockert.
Setlist Doom Division:
Intro (Godzilla)
Weight Of The World
Broken Glass
Golden
Poor Concrete
Lowlife
Destroy
Nothing Left To Loose
Train Rolls On
My Hardest Walk
Bury Me In Smoke
Outro
Seit 15 Jahren sei er Totenmond-Fan, habe aber die Band noch nie live gesehen, meinte der Doom Division-Sänger in einer seiner Ansagen - das sei an diesem Abend also das erste Mal. Die Frage ist freilich, wie gut er den Gig in Erinnerung behalten wird, denn da gibt es ein großes Problem: den Sound. Der entspricht ungefähr dem, was eine norwegische Kaputtnik-Black Metal-Band mit Mitteilungsbedürfnis und geltungsbedürftigem Schlagzeuger anstrebt, und geht als völliges Kuriosum durch: Ein glasklar abgemischtes Schlagzeug liegt hinter, nein, vor einem übel verzerrten, dröhnenden Teppich der Saiteninstrumente, der anfangs so gut wie keine Feinheiten, nicht mal Riffs oder ähnliche Grundstrukturen, erkennen läßt, was sich zum Ende des Gigs hin nur unwesentlich bessert. Darüber liegt dann wieder klar abgemischt der Gesang, bei dem man Teile des Textgutes nur aufgrund von Pazzers harschem Gesangsstil nicht versteht, wobei das bei manchen Aussagen durchaus als Vorteil zu werten ist. Von diesem seltsamen Gebräu serviert die Band dem teilweise begeistert feiernden, teilweise enttäuscht abwandernden Publikum weit über eine Stunde (zwischendurch wird mehrfach noch etwas anderes serviert, nämlich Geburtstagswodka). Das lange instrumentale Intro entwickelt sich vom schleichenden Doom hin zu wildem Poltermetalpunk, und in diesem Spektrum liegt auch das ganze Material, wobei zu Beginn zweimal Speedpunk von einem Doomschleicher gefolgt wird und auch "Achtung Panzer" an vierter Setposition zunächst schleichend beginnt, bevor es dann aber in die dritte Hauptgeschwindigkeit des Sets verfällt, nämlich ein fast groovig zu nennendes Midtempo, zu dem man wiederum das Tanzbein schwingen könnte. Von der Setlist her spielen sich Totenmond quer durch ihr Repertoire, vergessen selbst ihre Demotage nicht ("Die Schlacht" bildet die zweite und letzte Zugabe, wobei der Song aber auch nochmal auf dem "Lichtbringer"-Debütalbum auftauchte) und lassen auch ihr Punkcoveralbum nicht unberücksichtigt. Das mehrfach aus dem Publikum geforderte "Polizei SA/SS" (Slime) erklingt zwar nicht, aber "Macht kaputt, was euch kaputt macht" (Ton Steine Scherben) als erste Zugabe versöhnt selbst die hartgesottensten Hausbesetzer im Publikum, denen auch die Soundverhältnisse reichlich egal sind - dem Rezensenten sind sie das nicht so ganz, und "Fleischwald" hätte er sich auch noch in der Setlist gewünscht. Vielleicht haben sie es ja auch gespielt, und er hat es soundbedingt nur nicht erkannt ...



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver