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Barn Burner, Druckwelle, Volt Ghosts   19.08.2010   Leipzig, Zorro
von rls

Underground zeichnet sich bisweilen auch dadurch aus, daß drei verschiedene Anfangszeiten des Konzertes kursieren und letztlich keine davon stimmt. 22.30 Uhr ist bereits überschritten, als Volt Ghosts (an einem Wochentag, wohlgemerkt - aber Arbeitsvolk dürfte unter den Besuchern wohl sowieso kaum anwesend gewesen sein) die Bühne entern und einen klassischen crustigen Punkgig auf dieselbe legen. Der gerät anfangs recht monoton und pendelt allenfalls mal zwischen Ufta-Ufta (manchmal) und ganz schnell (meistens), wobei der Drummer spieltechnisch keine schlechte Figur macht. Der Gesang des Gitarristen erinnert in seiner shoutenden Manier eher an die Truppen, die weiland in den Achtzigern den Terminus Metalcore erfanden, und Gitarre und Baß bilden klanglich mehr oder weniger eine Wand, aus der man kaum Einzelheiten herauszuhören vermag - das bessert sich erst gegen Setende etwas. In der zweiten Sethälfte haben Volt Ghosts dann auch die etwas außergewöhnlicheren Stücke ihres Schaffens versteckt - ein ausladendes Midtempoepos mit langem Instrumentalintro und im Hauptteil dann leider auch einem schülerbandkompatiblen Hauptsolo zum einen, den mit klassischen Rock'n'Roll-Elementen aufgepeppten Closer zum anderen. Daß die Roßweiner durchaus einen gewissen Anspruch an sich selbst hegen, vermitteln zudem Songtitel wie "We Will All Be Dead Before They Drop The Bomb", wobei zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Trios bisweilen doch noch eine Lücke klafft. Aber nette, sympathische Ansagen machen das teilweise wieder wett.
Danach beginnt der Abend immer mehr einer Zeitreise zu gleichen. Verantwortlich dafür zeichnen zunächst Druckwelle, die original so klingen wie die eine Hälfte der Bands des kultigen Hellhound-Labels Anfang der Neunziger. Einem kifferdoomigen Intro folgt ein Set mit psychedelisch angehauchtem Doom unter starker Siebziger-Beimengung und überraschenden Schlenkern in Grungegefilde, wenn man mal die Verstärker ausschaltet und halbakustisch zu Werke geht. Das grundsätzlich recht variable Tempo liegt dabei für Doomverhältnisse recht hoch, an manche der Tempowechsel muß man sich durchaus erst gewöhnen. Klangliches Problem freilich auch hier: Der Baß übertönt viel von der Gitarre, wobei man die unkomplizierten, aber netten Leadgitarreneinwürfe schon noch recht gut wahrnehmen kann. Der recht rauh singende Vokalist verzichtet anfangs komplett auf Ansagen, später verlegt er sich auf leises Genuschel, das man am anderen Ende der kleinen alten Fabrikhalle beim besten Willen nicht mehr verstehen kann. Eine vielschichtige epische Halbballade beschließt den Set des thüringischen Quartetts.
Barn Burner machen die Zeitreise dann komplett, so daß man sich komischerweise in einen finsteren Schuppen in Seattle gegen Ende der 80er zurückversetzt fühlt - eine Thrashtruppe entdeckt die Siebziger und erfindet damit den Proto-Grunge, der noch wenig mit dem zu tun hat, was später die Großen dieses Genres daraus machen sollten. Kurzes Drum-Intro, zwei Wendungen - und schon evoziert das kanadische Quartett einen eigenartig polternden Speed Metal mit latenter Kifferattitüde, der den gesamten dreiviertelstündigen Gig in verschiedener Ausprägung dominiert. Das schließt kleine melodische Licks wie gleich als Outro des Openers nicht aus, viele der Poltersongs enthalten auch hymnisch angehauchte Passagen, und nicht mal vor einem Running Wild-Gedächtnisriff machen die Kanadier halt. "The Long Arm Of The Law" gerät schleppender, fast episch, bevor auch hier sich der Speed Metal breitmacht, der definitiv etwas von alten kanadischen Helden wie Anvil oder Exciter hat, aber auch obskurere Einflüsse wie Sacrilege B.C. wahrscheinlich macht - und dann kommt wie gesagt noch dieser gewisse Siebziger-Touch hinzu, wenngleich man den schlecht an Einzelelementen festmachen kann. Die Setlist wird selbstredend durch das Debütalbum "Bangers" dominiert, aber ein neuer Song steht auch drin und verdeutlicht, daß kaum mit einer umfänglichen Stiländerung zu rechnen sein dürfte. Das Quartett erzeugt auf der nicht eben großen Bühne auch einiges an Bewegung, und Sänger/Gitarrist Kevin Keegan (nicht zu verwechseln mit einem nicht gerade unpopulären englischen Fußballer gleichen Namens und daher wohl auch unter Pseudonym K. Keaglesmith agierend) rundet das musikalische Menü mit rauhen, aber gemäßigten Thrash-Vocals ab. Enthusiasten im Publikum (für diese gibt's "Bangers" auch als Vinylpressung am Merchtisch) fordern eine Zugabe ein und bekommen "Beer Today, Bong Tomorrow" vorgesetzt, das zum Kulthit der Truppe avancieren könnte, nicht allein des Titels wegen. Die A-B-A-Struktur des Songs hat man schnell kapiert, läßt sich von diversen psychotischen Einschüben nicht stören und hebt die imaginäre Fahne zum Schwenken im midtempolastigen Teil A.
So endet ein nicht uninteressanter Gig, zu dem noch zwei strukturelle Anmerkungen nötig sind. Erstens versteht sich das Zorro offenbar als Raucherkneipe, was dem Nichtraucher das Erlebnis beschert, nach Verlassen wieder so zu riechen wie in finsteren Zeiten vor dem Nichtraucherschutzgesetz. Zweitens darf das originelle Getränkeangebot zu äußerst fairen Preisen nicht unerwähnt bleiben: In welcher Konzertlocation bekommt man beispielsweise extrem leckeren Stachelbeer-Süßmost aus einer ortsansässigen Kelterei und den auch noch für gerade mal 2 Euro für eine 0,7-Liter-Flasche?



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