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Serata Italiana   18.07.2010   Leipzig, Peterskirche
von rls

Beim Stichwort "Bologna" reagiert mancher Bildungstheoretiker allergisch (man lese hierzu beispielsweise Konrad Paul Liessmanns "Theorie der Unbildung"), aber dafür können die heutigen Studenten der dortigen Universität natürlich am allerwenigsten. Seit die Frühjahrstournee 2010 das Leipziger Universitätsorchester auch nach Bologna geführt hat, besteht eine enge Zusammenarbeit zwischen den Klangkörpern der hiesigen und der dortigen Universität, und die letztgenannten finden sich an diesem angenehm temperierten Abend in der Leipziger Peterskirche zu einem Konzert ein. Dessen Auftakt bestreitet das Orchester der Universität Bologna noch im Alleingang: Benjamin Brittens "Soirées musicales" op. 9 stehen auf dem Programm, Orchesterfassungen von fünf Klavierstücken Gioacchino Rossinis, die für ein Ballett verwendet wurden, aber auch ein Eigenleben als Orchesterstücke zu führen begannen. Keine sonderlich komplizierten oder extrem tiefgründigen Stücke - aber hübsche, hörbar tanzbasierte Salonmusik, die nur ein Problem aufweist: Die stark ausgeprägte rhythmische Determination kann in der schwierigen Akustik der Peterskirche nicht klar genug herübergebracht werden. So endet das marschartige erste Stück in einem offenen Schützenschwarm statt in preußischem Gleichschritt, während die postromantische Landschaftsmalerei und der sanfte Morgennebel im zweiten Stück durch den leichten klanglichen "Dunst" eher stimmungsmäßig befördert werden. Diese Erscheinungen ziehen sich dann durch die gesamten fünf Sätze, wobei paradoxerweise im letzten der Bombastpart etwas durchhörbarer wird, nachdem die frechen verzerrten Trompeten den Nebel durchschnitten haben und schon im vierten die Hintergrundebene, die aus einem Speedunterbau für großes Geschwelge besteht, erstaunlich deutlich herausgearbeitet worden ist. Und was das Leipziger Universitätsorchester kann, das können die italienischen Freunde auch: Im letzten der Stücke versetzen die Tiefstreicher ihre Instrumente in rotierende Bewegung.
Danach betreten 13 Damen des Bolognaer Universitätschores das Podium und intonieren, begleitet von Enrico Lombardi an der Orgel, Mendelssohns "Veni Domine"-Motette. Auch hier fließen viele Klänge ineinander, was mal von Vor- und mal von Nachteil ist und besonders dem Schlußteil einen beeindruckenden ätherischen Touch verleiht, der einen wirkungsvoll von der gedanklichen Beschäftigung mit der reizvollen Optik etlicher der 13 Damen abhält. Analoges gilt für "Hebe deine Augen auf" aus dem "Elias", von Terzett- auf 13er-Besetzung aufgerüstet und a cappella vorgetragen - die wunderschönen Klangwirkungen kompensieren die kleinen Ausspracheprobleme hier bedenkenlos. In "O beate et benedicta", einem Studienwerk Mendelssohns, tritt die Orgel wieder hinzu. In den sehr hohen "Halleluja"-Passagen klingt der Sopran I zwar etwas zu gequält, aber spätestens die wieder enorm ätherisch-getragene Coda versöhnt mit diesem kleinen Problem.
Im zweiten Teil des Konzertes (zu dem das Publikum witzigerweise mit Schumanns Frühlingssinfonie-Auftakt gerufen wird, wie dies auch im Gewandhaus geschieht - hier in der Peterskirche aber live von einem Posaunisten gespielt) kommen Chor und Orchester dann gemeinsam zum Einsatz: Luigi Cherubinis Requiem steht auf dem Programm, genauer das erste in c-Moll, das zum Gedenken an dem 1793 aufs Schafott geführten französischen König Ludwig XVI. entstand und das sich u.a. auch Beethoven zur Aufführung bei seinem Begräbnis gewünscht hatte. Nach einem leicht eingedüsterten, langsamen, aber nur kurzen Introitus greift Cherubini schnell ins eigentliche Geschehen ein. Das Ohr hat sich mittlerweile offenbar noch besser auf die Verhältnisse in der Kirche eingestellt - auch die bombastischen Passagen, von denen es durchaus etliche gibt, lassen sich strukturell relativ problemlos erschließen, obwohl durch das Miteinander Chor/Orchester die Linienzahl weiter gestiegen ist. Höhepunkt des ersten "richtigen" Satzes (Graduale) ist aber dennoch sein perfekt intonierter düsterer Moriendo-Schluß, dessen Eindruck durch eine gekonnte Wellenbewegung im zweiten Satz (Dies Irae) schnell beiseitegeräumt wird. Höhepunkt hier: Die Männer singen A-cappella-Gregorianik (David Winston verzichtet in dieser Passage auf ein Dirigat und überläßt die Führung dem zentral stehenden Sänger), eine Blechfanfare und ein schicksalhafter Gong beenden diesen Gesang, und danach rasen flirrend-finstere Streicher durch den Raum, die sich zu wildem Bombast steigern - klasse komponiert, klasse umgesetzt und klar hörbar. Ähnlich großartige Ideen gibt es im dritten Satz (Offertorium), während der vierte (Sanctus) eher unauffällig und kurz daherkommt - beide überzeugen aber von der Ausführung her trotzdem. Vom fünften (Pie Jesu) kann man das nicht sagen - das Orchester wird plötzlich nervös, die kammermusikalische Einleitung gerät viel zu faserig, und der Chor muß das mit schönen ätherischen Wirkungen und einer starken Dynamik wieder herausreißen, was ihm auch gelingt, wonach sich das Orchester zu einem starken düsteren Schluß dieses ebenfalls recht kurzen Satzes aufschwingt. Das war's dann aber leider mit der Herrlichkeit - im letzten Satz (Agnus Dei) stimmt zwar die Dynamik anfangs auch noch, aber die langen Töne (z.B. auf "Requiem") beginnen wegzukippen, und der lange ausfadende Schluß gerät unerfreulich spannungsarm. Der laute Applaus in der für einen sommerlichen Grillverdachtsabend gut gefüllten Kirche ist angehörs der starken Momente trotzdem natürlich verdient, wird aber durch den ersten Violinisten als letztes Kuriosum des Abends nach erstaunlich wenig Vorhängen abgewürgt.



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