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The BossHoss   03.03.2010   Leipzig, Gewandhaus
von rls

The BossHoss aus Berlin (aus Berlin!) hatten mit ihren frühen Alben das Kunststück geschafft, die Verknüpfung zwischen Rock und Country zu einem kommerziellen Höhepunkt zu führen, aufbauend auf der Pionierarbeit, die etwa ihre legendären Stadtgenossen The Waltons in den Jahrzehnten zuvor geleistet hatten. Anfangs noch auf Pop- und Rocksongs im gecoverten Countrygewand fokussiert, setzte bald eine Entwicklung hin zur Steigerung des Eigenkompositionsanteils ein, der mittlerweile albentechnisch auf 100% geklettert ist (also auf ein Niveau, das die eine ähnliche Entwicklung, allerdings in langsamerem Tempo, durchmachenden J.B.O. noch nicht erreicht haben, vielleicht auch gar nicht erreichen wollen). Anno 2008 setzte das Septett dann eine ganz andere Idee um: Unter dem Titel "Low Voltage" entstand ein Akustikprogramm mit Band plus Bläsergruppe plus Streicher, und ebenjene Besetzung, die man ab April 2010 auch versilbert nach Hause tragen kann, stand bzw. saß an diesem Abend im sehr gut gefüllten Leipziger Gewandhaus auf der Bühne. Ein riesiges Backdrop hing vor der Orgelempore, die Bühne war mit Stehlampen dekoriert, Drummer Sir Frank Doe war nach hinten durch einen Plexiglaskäfig abgeschirmt, vier weitere Bandmitglieder nahmen auf normalen Stühlen Platz, während die beiden Bandköpfe/Sänger Boss Burns und Hoss Power (letzterer zugleich Gitarrenschläger) Barhocker zugesprochen bekommen hatten. Den speedigen und mit ausgedehnten Instrumentalsoli veredelten Opener "Polk Salad Annie" bestritt die Band noch alleine, aber ab Song 2 wurde auch die hintere Hälfte der Bühne besetzt, die eine Ecke mit den sieben Bläsern aka The Wonderbrass (davon drei Saxer und viermal "richtiges" Blech), die andere, etwas größere Ecke mit den G-Strings. Zweieinhalb Songs brauchte der Soundmensch, um die Kopfzahlvergrößerung auch akustisch wahrnehmbar zu machen: Im ebenfalls äußerst flotten "Remedy" erahnte man die Bläser nur und die Streicher nicht einmal, im temposeitig etwas herunterschaltenden "Rodeo Radio" vernahm man dann erstmals auch einen dünnen Streicherteppich, und irgendwann in "Monkey Business" platzte der Knoten - fortan durfte man sich über weite Strecken über ein sehr gut ausbalanciertes Soundgewand freuen, das auch den Sinn der klassischen Erweiterung problemlos klarmachte und nur den Percussionisten Ernesto Escobar relativ oft mit Nichtachtung strafte. Der Rezensent hat die High Voltage-Version der Band noch nie live gesehen und kann daher keine Wirkungsvergleiche ziehen - aber die an diesem Abend gebotenen Versionen überzeugten ohne Wenn und Aber. Heruntergeschraubt worden sind dabei wirklich nur die rockende Energie und damit einhergehend auch die dreckige Rohheit, die einer gediegenen Diamantpolierung wichen, ohne Glanz, Strahlkraft oder bombastische Pracht abschreiben zu müssen. Für letztgenannten Faktor sorgten besonders die häufigen Instrumentalsoli, die nicht selten in völliger Ekstase endeten und neben Mundharmonikaspieler Hank Williamson, Gitarrist Russ T. Rocket und Drummer Sir Frank Doe (letzterer übrigens keineswegs an seinem regulären großen Drumkit, sondern an einem winzigen transportablen) auch mal den einen oder anderen der Bläser mit Trompete, Baritonsaxophon oder Flöte akustisch oder auch physisch in den Vordergrund stellten (wo man den Baritonsaxer dann mal eben als "Steve McQueen" ausgab). Und ein Song wie "Last Day" bot wirklich allen anwesenden Fanschichten etwas Interessantes: den Romantikern durch die intensive Lichtarbeit, den Rock'n'Rollern durch den flotten Grundbeat, den Proggies durch das coole Schachtelsolo und das geniale Break vorm Refrain und den Verschwörungstheoretikern durch den Fakt, daß Hoss hier von einem weißen auf einen schwarzen Hut wechselte. Bis dahin hatte man sich auch an den finsteren Akzent in den Ansagen gewöhnt (die den ganzen Set hindurch übrigens keineswegs in Berlinerisch oder zumindest Deutsch, sondern in Englisch gehalten wurden), und nachdem der Fokus der ersten Sethälfte auf den Eigenkompositionen gelegen hatte (darunter u.a. mit "Have Love Will Travel" auch eine, die es nicht als regulär verstromte Version gibt, sondern die ihre Konservenpremiere erst auf dem bevorstehenden Akustikalbum feiern wird), breiteten sich im zweiten die Coverversionen etwas weiter aus. "Sugerman" hätte vokalseitig sogar bei HIM eine gute Figur gemacht, während "Mary Marry Me" ins Balladenfach herunterschaltete, bevor das flott-ekstatische "Stallion Batallion" mit einem wilden Soloduell zwischen Mundharmonika und Trompete den regulären Set abschloß. Der Zugabenblock eröffnete mit "Shake & Shout", zu dem drei Damen aus dem Publikum auf die Bühne geholt wurden, die animierende Tanzbewegungen produzieren sollten. Während sich diejenige in Publikumsblickrichtung rechts achtbar aus der Affäre zog und eine der Monitorboxen als Tanzplattform in Beschlag nahm (mancher der Instrumentalsolisten oder auch Boss beim Megaphonsingen hatte sich dort in einigen Songs erhöht postiert gehabt), traten die beiden in Publikumsblickrichtung links den letzten Beweis für die aufgrund ihres seltsamen Verhaltens bereits früher aufgestellte Theorie, die offensichtliche häufige Bestrahlung im Sonnenstudio müsse Nebenwirkungen hervorgerufen haben, an: Bis die beiden kapiert hatten, daß die Fläche der Monitorbox zur Erzeugung halbwegs ausdrucksvoller Tanzbewegungen für zwei Personen zu klein ist, war der Song zu zwei Dritteln vorbei. Puristen aller Lager bekamen dann spätestens mit Ministrys "Jesus Built My Hotrod" den Todesstoß versetzt - aus einem brachialen Industrial-/Metal-Feger schraubten The BossHoss an diesem Abend flockig-flotten Akustikcountry mit Waschbrettsoli (!). Und der machte ähnlich viel Spaß wie der Opener des zweiten Zugabenblocks, den die Band mal eben hinter der Bühne geschrieben haben wollte (Burt Bacharach wird gegrinst haben). Die Stimmung war am Kochen, schlug aber dann in der angezähten Hymne "Close" plötzlich um: Das Abschiedsfeeling nahmen die Anwesenden für bare Münze, applaudierten nach dem Song noch kurz, während die Band von der Bühne verschwand, und begannen dann mit strömender Abwanderung, obwohl die Umbaupausenmusik und das Hallenlicht noch lange nicht wieder eingeschaltet wurden. So entging dem Publikum durch diese paradoxe Fehldeutung die laut Setlist eigentlich eingeplante letzte Zugabe, denn nach mehreren Minuten, in denen nur einzelne Unentwegte noch weiterklatschten, entschloß sich der Soundmensch dann doch dazu, einen offiziellen Schlußstrich zu ziehen und die Pausenmusik einzuschalten. Ein seltsames Ende - aber vorher zwei Stunden gute Unterhaltung.

Setlist (die eigentlich geplante, mit einem interessanten Tausch im zweiten Zugabenteil):
Polk Salad Annie
Remedy
Rodeo Radio
Monkey Business
Rodeo Queen
Have Love Will Travel
Gay Bar
Break Free
Last Day
High
Early Morning Rain
Drowned In Lake Daniels
Sugarman
This Corrosion
Go! Go! Go!
Mary Marry Me
Stallion Batallion
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Shake & Shout
Jesus Built My Hotrod
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Close
I Say A Little Prayer
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Hey Ya!



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