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Hochschulsinfonieorchester und Hochschulchor   15.01.2010   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

Chorkonzerte findet man im Spielplan der Leipziger Musikhochschule eher selten, aber auch diese Sparte gehört zur Ausbildung dazu, und so stehen gleich zwei größere Konzerte zu Beginn des Jahres 2010 zumindest partiell im Zeichen der kollektivierten Stimme - eher locker fünf Tage zuvor mit Klangbezirk, Chickpeas und Vokalfabrik L.E., eher klassisch-streng am rezensierten und dem folgenden Abend mit Hochschulsinfonieorchester und Hochschulchor. Die erste Hälfte des letztgenannten Konzertes hat aber noch eine andere Doppelfunktion.
Zunächst wäre da eine Uraufführung des Stückes "Höhlungen" von Karin Wetzel, die einige Semester an der Hochschule studiert hat. Selbiges Stück hat die Noch-Nicht-Dreißigerin im Rahmen des Meisterkurses Orchesterkomposition des Stuttgarter Radiosinfonieorchesters geschrieben, und man wundert sich eigentlich, warum es nicht dort zur Uraufführung gekommen ist. Nach dem Hören glaubt man schlauer zu sein: Es kann schlicht und einfach nicht überzeugen. Das "Sortisatio"-Problem, daß man ohne die Erklärung im Programmheft überhaupt nicht verstehen würde, was sich die Komponistin denn so gedacht hat, ist dabei noch das kleinste. Aber Wetzel nimmt einfach alles her, was das letzte halbe Jahrhundert so an E-Musik-Herangehensweisen hervorgebracht hat, wirft sie in die Tiefsee und wartet, was davon sich in einer unterseeischen Höhle sammelt. Da finden sich durchaus ein paar gute Ideen, die man zur Untermalung eines Tiefseehöhlenfilms hätte verwenden können, wo immer mal eine Muräne um die Ecke geschossen kommt, aber viel von dem, was da zu hören ist, wirkt unorganisch, seltsam konstruiert und hat mit einer Höhlung (in welcher Bedeutungsebene auch immer) recht wenig zu tun. Die Vierteltonstruktur erzeugt tendenziell eher Zahnschmerzen, die Solovioline wirkt fast immer losgelöst vom Rest des Orchesters, und wenn sie tatsächlich mal mit dem Solocello und einem der vier Drummer richtig kommunizieren darf, braucht man nicht lange auf den nächsten Bruch zu warten, der die Höhle wieder zum Einsturz bringt. Ob die hübsche dunkelhaarige Akkordeonistin so betrübt dreinschaut, weil man sie außer in zwei, drei Passagen akustisch gegen das Orchester überhaupt nicht durchhören kann, muß ungeklärt bleiben. Trotz durchaus lebendig wirkenden Dirigats von Barbara Rucha, die Dirigentendozentenfraktion an der Hochschule verstärkend, entsteht ein extrem verkrampft anmutendes Gesamtbild, das seine Manifestierung im Schlußbild erfährt, wenn man sich die Akteure auf der Bühne genau ansieht. In den Applaus mischen sich erstaunlicherweise sogar zwei Bravi, und trotz seiner tendenziellen Müdigkeit hält der Beifall sogar recht lange an.
Hernach wird auf offener Bühne umgebaut, das Klavier rollt in die Mitte, und der zweite Teil der Doppelfunktion beginnt: Özgün Gülhan spielt Mozarts Klavierkonzert Nr. 21 C-Dur KV 467 als Konzertexamen. Rucha und das Orchester nehmen das Allegro maestoso dabei recht flott, ohne aber in Gejage auszuarten. Trotzdem gerät der erste Satz recht technokratisch, was auch mit Gülhans Spiel korrespondiert: Der Türke pianiert flüssig, bedarfsweise auch knochentrocken, aber technisch und ohne viel Gefühl - ganz im Gegensatz zu seiner Gestik, die mit ihrem Mix aus Entrücktheit, Verzweiflung und Weltumarmung nun wieder den großen emotionalen Wurf vermuten lassen würde, den man in seinem Spiel aber nicht findet. Das macht speziell den zweiten Satz, das berühmte Andante, zum Problem, denn hier spielt das Orchester wirklich mal sehr weich, fast schmalzig, aber Gülhan nimmt den Steilpaß nicht auf, tönt gar anfangs fast bemüht. Im abschließenden Allegro vivace assai klappt dann auch noch das Miteinander mit dem Orchester nicht richtig - in den Dialogpassagen geht hörbar keiner auf den anderen ein, spielt jeder seinen Stiefel nebeneinander. Und war die Länge des Echos in der Verharrung mitten in der Kadenz wirklich so gewollt? Gülhan hinterläßt, nimmt man ausschließlich dieses Konzert als Maßstab, den Eindruck eines "Klaviertigers" - was er wirklich draufhat, zeigt er in der Zugabe, die eher mühevoll erklatscht worden ist: jazzig-spritzig-witzige Variationen über Mozarts Türkischen Marsch, lebendig, teils irre schnell und hochgradig begeisternd. Damit ist das Bild wirkungsvoll wieder geradegerückt.
In der zweiten Konzerthälfte kommt dann der voluminös besetzte Hochschulchor zum Zuge, und zwar mit Beethovens C-Dur-Messe op. 86, mit der der Wahlwiener 1807 den Typus der Konzertmesse erfand und, wie das mit bahnbrechenden Erfindungen mitunter so ist, erstmal auf die Nase fiel, bevor sich Jahre bzw. Jahrzehnte später seine Erfindung durchzusetzen begann. Roland Börger leitet Chor und Orchester mit äußerst klarem Dirigat der "alten Schule", und wenn sich alle daran halten, kommt auch ein ordentliches Ergebnis heraus. Den häufigen Knackpunkt der Chorsinfonik, die Lautstärkebalance zwischen Chor und Orchester, meistern die Studenten dabei hervorragend, denn Orchestertutti und Chortutti ergänzen sich perfekt, ohne sich gegenseitig niederzukämpfen (schön zu hören beispielsweise im Schluß des Gloria). Davon kann sich das Solistenquartett noch eine Scheibe abschneiden: Harmonisches Miteinander stellt sich hier jedenfalls eher selten ein. Baß Karsten Müller und Tenor Youngjune Lee ergänzen sich dabei noch am ehesten - beide haben keine sonderlich gewaltige Stimme und müssen daher sehen, wo sie bleiben. Sobald aber Sopran Stina Levvel einsetzt, ist es vorbei - sie dominiert mit ihrer kräftigen Stimme den Sologesang stark, und bis sie gemerkt hat, daß man hier und da durchaus mal runterschalten kann, sind reichlich zwei Drittel der Messe bereits vergangen. Dagegen kommt nicht mal Alt Stine Fischer an, obwohl sie nun weißgott keine leise Stimme hat (wie man etwa im Solo bei "Qui tollis" im Gloria feststellt - was aber hatte die gedeckte Passage im Schluß des Credo zu bedeuten?), was freilich wieder zum Nachteil besonders für Youngjune Lee wird. Wenn die vier Menschen choralartige Sätze zu singen haben, bleiben also deutliche Reserven offen, während die solistischen Passagen selbst durchaus ansprechend gestaltet sind (über die Qualität der lateinischen Aussprache maßt sich der Rezensent kein Urteil an). Und so sticht der Trumpf des Chores an diesem Abend am höchsten: Die stufenlose Abschwellung der letzten "Christe eleison"-Wiederholung im Kyrie muß man erstmal hinbekommen (und je größer der Chor, desto schwieriger die Aufgabe). Zwar läßt auch die Düsternisgestaltung der Grablegeszene im Credo durchaus noch Reserven erkennen, aber dafür gerät der anschließende Auferstehungsjubel umso prächtiger, obwohl oder gerade weil Börger eher übersichtliche Tempi fährt. Das wird dem Benedictus zum Verhängnis, wo schon Beethoven über lange Distanz wenig passieren läßt, und auch am Einsatz des Sanctus sowohl beim Chor als auch beim Orchester hätte durchaus noch gefeilt werden dürfen. Die wirklich packenden Schlußpassagen von Sanctus und Benedictus entschädigen aber für solche kleinen Probleme, und trotz des versemmelten letzten Horneinsatzes gelingt auch die Schlußspannung im Agnus Dei. Licht und Schatten wechseln in der Messe also munter, was auch als Generalfazit für das Konzert übernommen werden könnte.



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