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von ta

ENSEMBLE SORTISATIO: Ensemble Sortisatio   (querstand)

Diese CD ist gemacht, um Kunstbanausen einen Schrecken einzujagen. Vier Musiker, Walter Klingner, Axel Andrae, Matthias Sannemüller und Thomas Blumenthal, das ist das Ensemble Sortisatio. Nun, ein Englisch Horn und ein Fagott kann man sich problemlos miteinander musizierend vorstellen, abenteuerlich mutet dieses Unterfangen jedoch bereits an, wenn es um das Musizieren im Ensemble, nicht im Orchester geht. Treten dann noch eine Viola und eine Gitarre hinzu, wird das Ergebnis zwangsweise für das klassisch geschulte Öhrchen nicht-orthodox klingen, da sich die Klangspektren der Instrumente im Obertonbereich doch erheblich voneinander unterscheiden. Gespielt werden angesichts dieses Wagnisses auch nicht Mozart, Händel oder Bruckner (gut, der hat auch relativ wenig Kammermusik geschrieben), sondern Michael Stöckigt, Reiner Bredemeyer, Gerd Sannemüller, Péteris Vasks, Thomas Böttger, Jean-Luc Darbellay, Helmut Bieler und last but not least Jean-Louis Petit. Keinem bekannt? Es handelt sich ausnahmelos um zeitgenössische Komponisten, die sich teilweise erst von der ungewöhnlichen Besetzung des Ensemble Sortisatio zu einigen Kompositionen haben hinreißen lassen. Das Ergebnis nimmt Aleatorik, Dodekaphonie, Expressionismus, Reihenkomposition usf., sprich: alles was chaotisch klingt und unter der Oberfläche wohlgeordnet ist, mit dem kleinen Finger mit und ist etwa so entspannend wie eine Mittagsruhe unter der Turnhalle. 65 Minuten Dissonanz, intellektueller Ohrenterror, ambitioniert und elitär.
Die "Aspekte zu Mozart" von Stöckigt arbeiten bewusst mit der Dekonstruktion melodiöser Themen (angeblich direkt von Mozart, aber nicht wiederzuerkennen), entwerfen eine rhythmische und harmonische Struktur, die unglaublich frei klingt, aber durchaus, wie der Taktstock zeigt, existiert. Bredemeyer (als einziger der Komponisten bereits verstorben) stellt in sieben "Quartettstücken", wie es scheint, einfach nur enharmonische und dissonante Reihen hintereinander - hier werden Parameter entworfen und aneinandergefügt, ohne intern einen zu hörenden Bezug aufzuweisen. Das Ergebnis klingt willkürlich, dass es willkürlicher nicht geht, gewinnt eine zweite Dimension aber immerhin aus der ironischen Umkehrung klassischer Satz-Titulierungs-Konventionen ("Etüdig", "Sehr, sehr ruhig"). Bei Sannemüllers "Drei Essays" wird die stringente essayistische Gedankenentwicklung in einen Parcours der Gedankensprünge verwandelt. Tonalität bleibt das Grundprinzip, eine gewisse Strenge in der Struktur (man höre den dritten Essay) ebenfalls, aber so etwas wie eine Motiventwicklung scheint dem Musikwissenschaftler fern zu liegen. Nervenflattern. Die "Drei Blicke" von Vasks sind kurz und schmerzvoll, aber ebenfalls dem Tonalitätsprinzip verschrieben. Der Klangeindruck seines fünfminütigen Werkes ist ein sehr räumlicher (liegt vielleicht an dem im Studio stehenden Klavier, das zwar nicht gespielt, aber durch die Schwingungen der anderen Instrumente ebenfalls in Schwingung versetzt wird (kein Scherz!)), der Aufbau in seinem Nach-und-Nach-Einsetzen der Instrumente hat etwas Kanon-artiges. Rhythmusbetonter ist der "Danse oublièe" Böttgers. Einzelne perkussive Elemente werden vermutlich ohne Percussions (sondern stattdessen mit den Hohlkörpern von Viola und Gitarre) erzeugt, die dynamische Bandbreite erzeugt ein eigenartiges Kontrastempfinden im Hörer, dem sich eine subtile Bedrohlichkeit nähert, welche sich aus der schnarrenden Instrumentation ergibt. Das Horn wurde hier durch eine Oboe ersetzt, die zusammen mit dem Fagott einen Klangrahmen bildet, in dem sich besonders die Viola auslebt. Darbellay liefert mit seinen "17 Miniaturen" in knapp zehn Minuten das, was im (22-seitigen) Booklet passend als die musikalische Entsprechung zu japanischen Haiku-Gedichten beschrieben wird: Kurz, prägnant, jeweilig eigen, farbenfroh und schillernd. Jedes Instrument hat seine Solo-Stelle, die Chromatik der Themen ist manchmal beeindruckend schlicht. Bieler hat drei "Szenen für Ensemble" komponiert. Der abermalige Tausch Horn/ Oboe und die vereinzelten Hohlkörper-Percussions suggerieren eine Nähe zu Böttgers Tanz und tatsächlich lässt sich auch in dem Gegeneinander-Laufen der Melodielinien und Akkorde eine weitere Parallele finden. Bielers Szenen sind in internen Beziehungen, namentlich der der Umkehrung, organisiert, wirken in ihrem Rückgriff auf romantisch anmutende harmonische Strukturen aber gerne wie eine Persiflage derselben Epoche (höre "Besinnung"). Zuletzt bietet "Sortisatio I" von Petit einen schönen Abschluss. Die Instrumentierung entspricht den Bieler-Szenen, die Aufteilung der Themen erfolgt in strenger Abwechslung Holzbläser/Saiteninstrumente, die eine Gruppe mimt stetig die Begleitung der anderen, das Ganze fließt erst zu Ende hin ineinander, verschmilzt. Gut.
Das Ensemble Sortisatio ist in erster Linie, das muss man so sagen, etwas für Spezialisten. Die ästhetischen Hintergründe, welche im Booklet je Komponist aufgerollt werden, müssen vermutlich parallel zur Musik wahrgenommen werden, ansonsten besteht nicht nur die Gefahr, die Schräge der Musik einfach als chaotisch und wahllos, sondern auch die Stücke untereinander als völlig ununterschieden zu empfinden. Der Rezensent kann sich solchen Empfindungen zumindest nicht vollständig mit Erfolg verwehren.
Es besteht ja interessanterweise zwischen E- und U-Bereich die Parallele, dass sowohl in dem einen als auch dem anderen darum gestritten wird, ob der theoretische Hinterbau eines Stückes so weit ausgeprägt sein darf, das am Ende nur jemand das Resultat zu schätzen weiß, der einen ähnlichen Umgang mit theoretischen Hinterbauten wie der Komponist hat, weil das Resultat selbst eben "nichts sagt". Dieser Streit ist an vielen Stellen Unfug und unangebracht, aber das Ensemble Sortisatio stellt nun immerhin eine CD vor, die eindrucksvoll demonstriert, wie es überhaupt zu einer Debatte um ein solches Thema kommen kann.
Kontakt: www.querstand.de

Tracklist:
1. Michael Stöckigt: Aspekte zu Mozart. Dispersione per quattro voci (1998)
2.-8. Reiner Bredemeyer: Quartett-Stücke 7 (1995)
  I. Sehr ruhig
  II. Lebhafter
  III. Ruhiger
  IV. Lebhafter
  V. Sehr ruhig
  VI. Etüdig
  VII. Sehr, sehr ruhig
9.-11. Gerd Sannemüller: Drei Essays (1998)
  I. Allegro Moderato
  II. Bewegt
  III. Langsam, lebhaft
12. Péteris Vasks: Drei Blicke (1979)
13. Thomas Böttger: Danse oubliée für Oboe, Fagott, Viola und Gitarre (1998)
14. Jean-Luc Darbellay: Quartetto. 17 Miniaturen ((1997)
15.-17. Helmut Bieler: Szenen für Ensemble
  a. Einleitung
  b. Bewegung
  c. Besinnung
18. Jean-Louis Petit: Sortisatio I (1996)



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