www.Crossover-agm.de
Klangbezirk, Chickpeas, Vokalfabrik L.E.   10.01.2010   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

Same procedure as ten months ago: Wieder hatte die Vokalfabrik L.E. das Quartett Klangbezirk für ein Workshopwochenende eingeladen, und wieder schloß man dasselbe mit einem gemeinsamen Konzert ab. Aber ein paar Unterschiede waren doch zu rekognoszieren: Erstens agierten an diesem Abend nicht zwei Formationen auf der Bühne, sondern drei, zweitens hatte man das Konzert nicht im Großen Probesaal des Hochschulzweitgebäudes, sondern im kapazitätsreicheren Großen Saal des Hauptgebäudes angesetzt (was sich angesichts der damaligen Überfüllung als weise herausstellte, denn diesmal lag die Besucherzahl sogar noch deutlich höher), drittens fiel draußen nicht strömender Regen, sondern auf der Rückfront von Tief Daisy mehr oder weniger dichter Schnee, und viertens lag der Krankenstand der Ensembles deutlich höher. Trotzdem kämpften sich auch diejenigen SängerInnen mit eher ungesunder Gesichtsfarbe tapfer durch das Konzert, das auf den Namen "Winterkuscheldeckensongs" hörte.
Die Vokalfabrik hatte nur zwei Elemente des Debütsets übernommen: den Einzug aus verschiedenen Richtungen mit stimmlicher Imitation von Dschungelgeräuschen (diesmal aber nicht in den haitianischen Song von damals übergehend) und das schwedische Wiegenlied "Vaggviselåt", für das man diesmal eine andere Herangehensweise probierte: Die Sänger verteilten sich an den Wänden des Großen Saales, sangen aus Publikumsperspektive also praktisch quadrophonisch - eine eher gewöhnungsbedürftige Sache zumindest für diejenigen Besucher in den äußeren Reihen, die zwangsweise manche Sänger stärker im Ohr hatten als andere, was zwar interessante, aber nicht in jedem Fall richtig nachvollziehbare Klangbilder ergab. Der Rest des Sets fiel etwas weniger experimentierfreudig aus, leistete aber erneut solide Arbeit im Bereich "Wie bringe ich einen Chor zum vokalen Grooven?", und die Klangbezirk-Mitglieder ließen es sich auch nicht nehmen, die über zwanzigköpfige Vokalfabrik bei einzelnen der Songs, hauptsächlich den auf größere Improvisationspassagen ausgelegten, tatkräftig zu unterstützen (Matthias Knoche beteiligte sich selbstverständlich auch wieder mit Vokalpercussion).
Setlist Vokalfabrik L.E.:
Apple Pie Queen (Michael Schiefel) mit Soundscape-Impro
Christmas Lullaby (Andrea Figallo)
Groove-Impro mit Soli
I Can't Make You Love Me (A. Figallo)
Do It With What Ya Got (Roger Treece)
Vaggviselåt (Ensemble Pust)
Zugabe: Impro - People Get Ready (Arr. Tanja Pannier/Klangbezirk)

Den zweiten Teil der ersten Hälfte des Sets steuerten die Chickpeas bei, ein aus sechs Mädels bestehendes Vokalensemble, das zum Erfreulichsten gehört, was der Leipziger Südraum in den letzten Jahren so hervorgebracht hat. 2005 von sechs Mädels im damaligen Alter von 11 bis 14 Jahren gegründet, ergo im heutigen Summenalter wohl immer noch zweistellig (eine mögliche Lösung findet man im Myspace-Profil der bezaubernden Ensemblechefin Viola, die nebenher übrigens keineswegs Bratsche, sondern Geige spielt), ersang man sich völlig überraschend beim A-Cappella-Wettbewerb 2009 in Leipzig als beste deutsche Formation einen dritten Platz, und seither geht es noch steiler bergauf als vorher. An diesem Abend hatte die Truppe freilich etwas unter technischen Problemen mit den Mikrofonen zu leiden, was die improvisierte Einleitung mit der Bandvorstellung akustisch über weite Strecken unverständlich machte. Davon ließ sich das Sextett freilich nicht ins Bockshorn jagen (von der ungesunden Gesichtsfarbe einiger Mitglieder samt entsprechender geminderter stimmlicher Belastbarkeit auch nicht) und legte einen gelungenen Set auf mindestens gutem Niveau hin. In der Fassung der Chickpeas begann man plötzlich sogar Schmachtfetzen wie "Killing Me Softly" zu lieben, und Franzi unterstützte die übersteigert-hedonistische Aussage von "Diamonds Are A Girl's Best Friend" noch mit einem entsprechenden Kostüm samt weißer Federboa und einem Exemplar der derzeit unglücklicherweise in Mode befindlichen geschmackfreien riesigen Sonnenbrillen. Der "Hauskomponist" der Truppe hatte nicht nur "Fields Of Gold" arrangiert, sondern auch "Our Music" für sie geschrieben - daß da Menschen auf der Bühne stehen und keine Maschinen, wurde durch den sympathischen Lapsus deutlich, daß Viola den letztgenannten Song einen Halbton zu hoch angab, was zu Verwirrung, recht schrägen Klangbildern und schließlich einem Abbruch samt zweitem Versuch führte, "damit wir uns nicht totmachen", wie Viola erklärte. Was sie damit meinte, wurde im Verlauf des Songs deutlich, der die Sopranfraktion in extreme Höhen führte, die allerdings besonders der Ensemblechefin mit ihrem riesigen Stimmspektrum so locker aus den Stimmbändern rutschten, als wäre das ein simples, mit einer halben Oktave auskommendes Volkslied. Das beeindruckte Publikum ließ die Mädels ohne Zugabe natürlich nicht ziehen, und das Beatles-Cover "Honey Pie" führte in die Frühzeit des Ensembles zurück. Der Eindruck des "Nochmal-sehen-Wollens-wenn-alle-gesund-sind" dürfte nicht nur beim Rezensenten zurückgeblieben sein.
Setlist Chickpeas:
1. Kleine Impro-Intro
2. Here There And Everywhere
3. Killing Me Softly
4. Diamonds Are A Girl's Best Friend
5. Fields Of Gold
6. Our Music
7. O du stille Zeit
Zugabe: Honey Pie

Nach der Pause hatten Klangbezirk keine Probleme, das vorgewärmte Publikum um den Finger zu wickeln, und das, obwohl auch ihr Krankenstand eigentlich als recht bedenklich einzustufen war, was man aber wieder nur an der Gesichtsfarbe, dem erhöhten Getränkekonsum oder der leichten solistischen Zurückhaltung einzelner Mitglieder bemerkte. Gegenüber dem Gig vom März 2009 war die Position der zweiten weiblichen Stimme ausgewechselt worden - Neuzugang Kathrin gehörte allerdings offensichtlich zu den Angeschlagenen, so daß man noch nicht endgültig bewerten kann, wozu sie wirklich fähig ist. Ansonsten hörte man wieder einmal die Hohe Schule der Vokalakrobatik, sei es im schlichten Chorsatz oder im wilden Experimentierfeld, wobei die Loopstation wieder ihren Dienst verrichtete. Von der Setlist her hatte man die Eigenkompositionsanzahl diesmal auf 3 hochgeschraubt (es würden laut Juan insgesamt fünf Eigenkompositionen existieren, aber zwei hätten nicht zum Motto "Winterkuscheldeckensongs" gepaßt, da sie in die Hardrockrichtung gingen - klarer Fall: Der staubtrockene Humor war wieder omnipräsent), einige Exempel aus dem Programm vom März 2009 übernommen und einige Neuzugänge eingefügt. Interessanterweise ging "Nothing Compares 2 U" diesmal besser ins Ohr als vor zehn Monaten - ob rational oder irrational bedingt, kann nach wie vor nicht entschieden werden. Das Publikum wurde in bewährter Weise einbezogen, indem es in der Improvisationspassage mit der Bandmitgliedervorstellung die einzelnen Namen zu singen hatte (bei jedem Besetzungswechsel muß man sich ja da was einfallen lassen ...), und im Zugabenteil wagten sich Klangbezirk trotz der erwähnten stimmlichen Angeschlagenheit und der Tatsache, daß man ja schon einen nicht eben kurzen und auch nicht eben unanstrengenden Set "in den Stimmbändern" sitzen hatte, auch wieder ins offene Angebot, auf Publikumszuruf über gewünschte Songs zu improvisieren. Letztlich verband man drei Songs zu einem Medley, nämlich "Raindrops Keep Fallin' On My Head", "Highway To Hell" und ... hach, was war das dritte gleich noch? Egal: Das Resultat bildeten herrlich sinnfreie Kombinationen wie "Highway Keeps Falling On My Head" oder "Raindrops To Hell", die im sowieso schon gutgelaunten Publikum Lachstürme erzeugten. Starkes Konzert mit immensem Unterhaltungswert!



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver