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Leningrad Cowboys   08.10.2009   Leipzig, Werk 2
von rls

Die Leningrad Cowboys existieren tatsächlich auch schon wieder 20 Jahre, und das gibt den Grund für eine große Geburtstagstour ab, die den verrückten Haufen auch nach Leipzig führt. Man erinnere sich: Aki Kaurismäki drehte 1989 einen Film über eine Band, die aus einem Schlamassel ins nächste stolpert und sich optisch speziell durch extrem große Haartollen (Elvis hoch drei) und Schnabelschuhe, die unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen müßten, auszeichnete. Die vorher eigentlich nonexistente Band wurde allerdings kurzerhand real ins Leben gerufen und bereichert seither die Musikwelt mit der finnischen Antwort auf Spinal Tap, allerdings durchaus unter gewissen stilistischen Wandlungen, die überdeutlich werden, wenn man sich etwa mal das Frühneunziger-Livealbum "Live In Prowinzz" anhört und danach zu einem Gig der aktuellen Tour geht. Der Rock- bzw. Metalfaktor hat in der aktuellen Version nämlich stark an Gewicht gewonnen, ohne freilich den Ska, den Folk und die mancherlei anderen eingestreuten Stilistika völlig zu verdrängen - aber diese sind heute eben nur noch Gewürze für den eher harten Sound der Truppe. Gemäß dem Motto "Mehr ist manchmal mehr" (ausgegeben weiland von der mittlerweile verblichenen, auch recht eklektizistisch veranlagt gewesenen Leipziger Metalband Nitrolyt) hat die Truppe in ihrer aktuellen Besetzung gleich fünf (!) Gitarristen, also zwei mehr als auf der Jägermeister-Rockliga-Tour zweieinhalb Jahre zuvor, wenngleich bezweifelt werden darf, ob die fünfte, in der Form eines alten Traktors (gemäß dem aktuellen Bandmotto "Make Tractor not War") gehalten, spielfähig gewesen ist. Daß der Sound bei einer derart riesigen Besetzung (zu den fünf Gitarristen gesellen sich ein Bassist, ein Drummer, ein Keyboarder und Akkordeonspieler sowie drei Bläser, und auch an Gesangsmikros ist eine ganze Menge abzumischen) nicht in völligem Mulm endet, erfordert einen fähigen Soundmann, und einen solchen hat die Band offensichtlich dabei, denn das Ergebnis überzeugt mit hoher, aber noch nicht zu hoher Lautstärke und einem doch erstaunlich gut ausbalancierten Gewand, in dem die Rhythmusgitarren und der Baß relativ weit im Hintergrund stehen (ohne daß das störend wirken würde) und man einzig dem Akkordeon an wenigen Stellen noch ein wenig mehr Durchschlagskraft gewünscht hätte. Der Bediener desselben hält sich allerdings sowieso eher hinter den Keyboards auf und unterstützt den altschuligen Rocksound mit Grand Piano oder Hammondorgel. "Enter Sandman" an dritter Setposition setzt die härteseitige Obergrenze, wobei der Drummer die im Original temporeduzierten Parts kurzerhand in der gleichen Geschwindigkeit wie den Songrest durchspielt. Ansonsten zockt sich die Truppe einmal komplett durch die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts und wird diesmal durch vier musikalische Gäste unterstützt. Zwei davon gehören eigentlich schon fast zur Besetzung, nämlich die beiden tanzenden Damen (Miss New York 1958 und Miss Chicago aus einem ähnlichen Jahr - jedenfalls laut Ansage ...), die allerdings auch für Backing Vocals verpflichtet worden sind, in Kim Wildes "Kids In America" gar ihre Qualitäten als Leadsängerinnen unter Beweis stellen dürfen und mit ihrer Bühnenkehreinlage im Song "Perfect Day" (!!) Alice Schwarzer die Laune gründlich verdorben haben dürften. Dazu kommt wieder einmal Elvis, diesmal allerdings nicht in wandschrankartiger Form wie noch 2007, sondern deutlich abgespeckt mit Adonisform, der mit der Band "Viva Las Vegas" intoniert und den Gehalt der Setlist an ZZ Top-Songs damit gleich mal verdoppelt (die hatten das ja auch mal gecovert); der andere ZZ Top-Song ist "Gimme All Your Lovin'" und bringt den anarchistischen Humor der Truppe mit den locker in den Refrain eingejammten Auszügen aus der russischen Nationalhymne und Händels "Halleluja"-Chor wohl am besten zur Geltung. Den Song gibt's derzeit auch als Video auf dem Myspace-Profil der Band, und da beobachtet man ein eigentümliches Phänomen: Die identische Wiederholung des Refrains, so gut er auch sein mag, nervt im Video irgendwann - in der Livesituation aber singt man auch die sechste Wiederholung noch begeistert mit. Überhaupt ist die Stimmung des Publikums bestens, wie sich das für eine 20jährige Geburtstagsfeier ja auch gehört. Und welche Band schafft es schon, die Zuschauer dazu zu bringen, kollektiv zu krähen und gackernde Laute wie ein Huhn von sich zu geben? Der letzte Gast kommt auch aus dem Tierreich, nämlich der Rock Lobster, eine Art singender Plüschkrebs. Aber bei allem Klamauk vergessen die Cowboys nicht, daß es ihnen zumindest in der heutigen Inkarnation als erstes um die Musik geht, und die macht von der ersten bis zur ca. 100. Minute durchgehend Spaß. Die Band hat allerdings auch erstklassige Instrumentalisten in ihren Reihen: Der Trompeter etwa wäre, falls er unter Bluthochdruck leidet, permanent in Gefahr eines Schlaganfalls, und die beiden Leadgitarristen würde jede Power Metal-Band mit Kußhand aufnehmen - als erste Zugabe inszenieren sie nach einem Drumsolo ein speediges Frickelfeuerwerk, daß dem Publikum Hören und Sehen vergeht. Bis dahin hat die Band im Hauptset schon reihenweise gute Laune verbreitet, sowohl bei eher "traditionell" gehaltenen Umsetzungen wie etwa AC/DCs "Let There Be Rock" als auch bei originelleren Anwandlungen wie etwa Johnny Cashs "Ring Of Fire", das man diesmal nicht wie 2007 in bitterbösen Doom Metal umschreibt, sondern eine äußerst schlank arrangierte Strophe (keine Verzierungen, nicht mal mit dem Hauptthema versehen) mit einem opulenten Refrain koppelt. Solche Details halten die Gigs der Band spannend. "Those Were The Days", hier mal mit "staatstragendem" Akkordeon, läutet das Finale des Hauptsets ein, aber ein ausführlicher Zugabenblock bleibt selbstredend nicht aus und wird traditionsgemäß mit einem nicht unbekannten russischen Volkslied abgeschlossen, das schon zuvor in der kurzen Pause vor der Zugabe im Publikum angestimmt worden ist. Freilich reichen 100 Minuten Spielzeit nicht aus, um alle Setlistwünsche zu befriedigen - der Rezensent hätte sich durchaus noch über "These Boots", "You're My Heart, You're My Soul" oder "Katjuscha" gefreut. Aber da hat man gleich einen Grund, auch die nächste Tour wieder zu besuchen (und vielleicht gibt's dann auch "Kalinka" in voller Version, nachdem es diesmal nur zweimal als kurzes Interludium gedient hat). Eines der Konzerte des Jahres, unbestritten!
PS: Als Vorband spielten übrigens Spinal Tap, die allerdings ihren Set vom 1992er Freddie-Mercury-Tribute-Konzert um einen Song gekürzt haben.



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