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Hubert von Goisern   08.08.2009   Jena, Kulturarena
von rls

Die Kulturarena ist ein Sommerfestival, das jedes Jahr in Jena stattfindet und zumeist open air auf dem Engelplatz vor dem Theater (durch einzelne Clubkonzerte ergänzt) ein buntes Spektrum an Musik bietet - an diesem Abend also Hubert Achleitner aus Bad Goisern und seine siebenköpfige Begleitband mit einem der letzten Gigs der seit drei Jahren laufenden "Linz Europa Tour". Ein Teil derselben hatte auf einem Schiff stattgefunden, mit dem Hubert und sein Team quasi durch ganz Europa vom Schwarzen Meer bis zur Nordsee gefahren waren und in den verschiedensten Häfen gespielt hatten. Das ging in Jena nicht, da der Engelplatz keine schiffbare Verbindung zur Saale hat, aber als Reminiszenz hatte man die Bühne zumindest mit ein paar Rettungsringen dekoriert. Wie die Atmosphäre eines solchen Schiffsgigs aussah, kann man im Livereview von Kollege Mario vom 2007er Gig in Regensburg nachlesen, und was man vom Gig ungefähr erwarten konnte, wußte zumindest derjenige Teil der Besucher in der ausverkauften Kulturarena, der das justament 2009 erschienene "Haut & Haar"-Livealbum, das in verschiedenen Städten auf der laufenden Tour mitgeschnitten wurde, bereits besaß. Aber das konnte noch nicht alles gewesen sein - das Livealbum dauert knappe zwei Stunden, aber für den Gig waren eine Anfangszeit von 19 Uhr und ein anwohnerbedingtes Ende von 22 Uhr postuliert worden, also bei Einhaltung dieses Zeitmanagementes entweder ein Set mit mittiger Pause oder aber eine Spielzeit von drei Stunden. Letztere Option stellte sich als die korrekte heraus, was sich alle jungen Bands, die ungefähr das halbe Alter Huberts haben, dafür aber auch nur ein Viertel so lange Gigs spielen, hinter die Ohren schreiben sollten. So gab "Haut & Haar" letztlich eine Art Gerüst her, das aber an verschiedenen Stellen aufgebrochen und mit Zusatzelementen gefüllt wurde, und zudem hatte man die Struktur etwas variiert. "Regen" beispielsweise, auf der Live-CD an Setposition 3, kam in Jena viel später im Set vor, zudem durch einen von drei großen "Moderationsblöcken" Huberts eingeleitet, in dem er berichtete, wie er einen Gig in Burkina Faso spielte, der wegen eines Sandsturms 12 Stunden verspätet begonnen hatte - nach vier Takten von "Regen" aber setzte draußen ein Platzregen ein. Ein analoges Ereignis blieb dem Publikum in Jena erspart, obwohl sich seit dem Nachmittag dunkle Wolken über dem Westrand des Saaletals zusammengeballt hatten, die sich im Verlaufe des Abends dann auch über die ganze Stadt ausbreiteten, allerdings keinen Niederschlag brachten. Auch der "Juchitzer", auf der CD gleich hinter "Regen" plaziert, kam in Jena deutlich später, wohingegen der Showauftakt fast übereinstimmte - lediglich das epische Instrumentalintro hat man auf der CD weggelassen. Danach erklang "Showtime", ein Stück für Goisern-Verhältnisse recht brachialen und tempolastigen Rocks, das nicht nur aufgrund seines Textes quasi den idealen Konzertopener darstellt und in dessen Mittelteil neben den bereits vollzählig versammelten Herren der Band auch die drei Damen die Bühne stürmten, mit quietschbunten Gummigitarren posend und diese locker vom Rechts- in den Linkshändermodus et vice versa wechseln lassend. Selbiges war allerdings eins von nur drei offenkundig klamaukigen Elementen in den gesamten drei Stunden (das zweite bildete eine Schuhplattlerandeutung des Backliners gegen Setende, und das dritte manifestierte sich in der theatralischen Ausdeutung des harten Mittelteils von "Mercedes Benz"), aller weiterer Humor hatte sich aus der Musik, den Texten oder den Ansagen herauszuschälen, was er in genau der richtigen Dosis auch tat. Goiserns philanthropisches Gesamtanliegen ist viel zu ernst, als daß man es mit einer bei entsprechenden Übertreibungen drohenden Abstempelung als Klamaukrock gefährden müßte. "Auseinandertreiben" an zweiter Setposition entpuppte sich als Bombastrocker erstklassiger Kajüte, in dessen Schlußteil man förmlich einen Engel singen hörte, der sich dann doch als irdisch, nämlich als Elisabeth Schuen, entpuppte. Sie hatte übrigens als einzige in ihrer Bühnenkleidung einen kleinen alpinen Anklang gewählt, nämlich in Gestalt des rotkarierten Oberteils, während alle anderen "kulturneutral" antraten, damit ein weiteres Mal die Emanzipation Huberts vom reinen Alpinrock-Prädikat hin zur in diesem Falle positiv aufgefaßten Globalisierung verdeutlichend. Egal wie man es aber ausdeuten will - man durfte im Geiste einen klassischen Beethoven-Satz abwandeln: Elisabeth sollte nicht Schuen, sondern Schoen heißen. Humor hat sie übrigens auch: Auf ihrer Personalseite im Rahmen der Goisern-Homepage schreibt sie, sie habe einen Marktwert von mindestens 4000 Kamelen ... Die drei Damen (neben Elisabeth noch ihre Schwester Marlene sowie Maria Molina) steuerten neben Gesang auch noch Violinen- und Percussion-Klänge bei, während das Blechgebläse und das Akkordeon ausschließlich Huberts Domäne blieben, der zudem bisweilen zur zweiten Gitarre griff und selbstredend in seiner typischen Art zwischen angerauhter Rockröhre und jodelartigen Klängen auch den Leadgesang übernahm. Dazu kam eine ausgesprochen spielfreudige (und nach drei Jahren natürlich auch bestens aufeinander eingespielte) Band, in der David Lackner vom Keyboard aus die Fäden zog, Severin Trogbacher an der Gitarre aber die wirkungsvollsten Einzelakzente setzte und für etliche epische Soli Szenenapplaus bekam. Die tighte Rhythmusgruppe sollte man ebensowenig zu erwähnen vergessen. Einen dicken Pluspunkt heimste Hubert zudem für die Entscheidung ein, a) Xavier Naidoo nicht mit auf Tour zu nehmen und b) dessen auf dem "S'Nix"-Album (das einen beträchtlichen Teil der Setlist stellte - leider fehlte das coole "Rotz & Wasser", das allerdings nur durch Samples umzusetzen gewesen wäre) in "Siagst as" zu hörenden Co-Vocals auch nicht einzusampeln, sondern den Song in eine "autarke" Naidoo-freie Version umzustricken (Naidoo-Fans mögen das anders sehen, der Rezensent aber verträgt dessen Gesang schlicht und einfach nicht). Irgendwann nach knapp zwei Stunden setzte man dafür einen kongenialen Akustikpart über anderthalb Songs an, dessen erster zugleich als pädagogisch wertvolle Maßnahme für das Publikum konzipiert war (das nämlich im Refrain mal eben jodeln lernte), während "So weit weg" (mit thematisch bedingter Gedankenabdrift) nach seiner halben Spielzeit wieder ins Rockige umschlug. Das einzige Problem in diesen drei Stunden war die Gesamtdramaturgie des Gigs: Nach dem beschriebenen energisch-zupackenden Auftakt nahm Hubert nämlich konsequent das Tempo aus dem Set, und diese Entschleunigung wurde zwar durch etliche andere Reize in der Musik durchaus kompensiert (der extreme Blues "Fön" bewegte sich kurz vor dem Stillstand, aber Severins Solo dort dann wieder ...), strengte auf die Dauer dann aber doch ein wenig an, zumal die nächsten flotten Rockpassagen erst in der letzten halben Stunde des Sets zutagetraten und dort für die wirkungsvolle Auflockerung sorgten, die man in den zwei vorher (trotzdem wie im Fluge) vergangenen Stunden an der einen oder anderen Stelle ein wenig vermißt hatte. Und die Zuhörermeinung zum, naja, etwas schmalzigen Song "Die Liab" dürfte stark von der jeweiligen emotionalen Situation beim Hörer determiniert worden sein. Die Entschleunigung der Coverversion von Janis Joplins "Mercedes Benz" (auch auf dem Livealbum vorhanden, insofern konnte man mit dem Vorhandensein des Songs in der Setlist durchaus rechnen) wiederum erzeugte ein äußerst reizvolles Ergebnis, das auf die Bluesursprünge der Rockmusik hinwies, hier also mal keinen Synkretismus betrieb, wie man ihn von Hubert sonst kennt, sondern im Gegenteil eine Wurzelsuche vornahm, wobei der harte Mittelteil wirkungsvoll mit dem Umliegenden kontrastierte. Zwei Zugaben beendeten pünktlich 22 Uhr den beeindruckenden, auch soundlich fast tadellosen (bei der Anzahl der abzumischenden Instrumente und Stimmen muß man das gesondert hervorheben!) und vom Publikum stürmisch gefeierten Gig irgendwo zwischen Blues und Weltmusik, zwischen Rock und urwüchsiger alpiner Volksmusik - aber halt mal: Wo war eigentlich "Koa Hiatamadl"? Das fehlt schon auf dem Livealbum, und auch in Jena stand es nicht im Set (obwohl "Weltuntergang" zumindest einige melodische Anklänge an dieses Kultstück aufweist). Aber ein Goisern-Gig ohne "Koa Hiatamadl" ist irgendwie so, als würden AC/DC die Bühne verlassen, ohne "Highway To Hell" gespielt zu haben. Hoffentlich beim nächsten Mal dann wieder - ab 2011 ist HvG back on the road.



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