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City Of Angels   19.06.2009   Leipzig, Musikalische Komödie
von rls

Wer in einem anderen als seinem angestammten Fachgebiet zu reüssieren versucht, muß nicht selten Lehrgeld bezahlen, sei er in seinem Stammfach auch eine noch so angesehene Koryphäe. Diese Erfahrung bleibt auch dem Buchautor Stine nicht erspart: Sein Buch "City Of Angels" hat Erfolg und soll deshalb zu einem Drehbuch für einen Hollywoodfilm umgestrickt werden - ein lukrativer Traumjob für Stine, der sich aber schrittweise in einen Alptraum verwandelt, als eine andere Koryphäe hinzutritt, nämlich der Produzent Buddy Fidler. Dieser nimmt den unerfahrenen Drehbuchautor an der Hand und versucht ihn an die seiner Meinung nach dramaturgisch notwendigen Dinge beim Drehbuchschreiben zu gewöhnen, beläßt es aber nicht dabei, sondern beginnt bald auch in die Handlung einzugreifen und das Drehbuch nach seinen Vorstellungen zu verändern. Stine, anfangs über die Hilfe noch erfreut, gerät immer mehr in einen Gewissenskonflikt, was er in seiner Position als angestellter Schreiberling zulassen muß und in seiner Haltung als unabhängiger Autor zulassen darf bzw. was eben gerade nicht mehr. Beim Erkenntnisprozeß hilft ihm die Hauptfigur seines Buches, der Privatdetektiv Stone, der mirnichtsdirnichts quasi zum Leben erwacht (die anderen Personen aus dem Buch kommen natürlich mit) und sich mit seinem Schöpfer über Fragen der Authentizität, der Moral und der Logik auseinanderzusetzen beginnt. Die größten Probleme beginnen, als Stine die von Fidler ausgesuchten Schauspieler kennenlernt (klassische Hollywood-Hoppelschnitten) und als Fidler die Figurenführung dahingehend abzuändern beginnt, daß Stine sich Winkelzüge einfallen lassen muß, um bereits gestorbene Figuren später plötzlich wieder auftauchen zu lassen, obwohl das in seiner Originalfassung nicht nötig gewesen wäre. Als Buddy dann auch noch seinen Namen als ersten hinter das Stichwort "Drehbuch:" setzt, da er ja sowieso fast alles allein geschrieben habe, platzt Stine der Kragen endgültig.
Diesen Stoff haben Cy Coleman (Musik), David Zippel (Songtexte) und Larry Gelbart (Buch) anno 1989 in ein Musical namens "City Of Angels" gegossen, und in seiner deutschen Textfassung von Michael Kunze kommt es an sechs Abenden in der Musikalischen Komödie Leipzig als Kooperation zwischen Hochschule für Musik und Theater Leipzig und Oper Leipzig zur Aufführung. Die Musik lagert im Prinzip ausschließlich im Jazz, und so sitzt hinter der Bühne auf der Empore kein klassisches Orchester, sondern die Bigband der Hochschule unter Rolf von Nordenskjöld. Die macht ihre Sache, soweit man das beurteilen kann, recht gut, denn für die Soundprobleme kann sie sicherlich eher wenig. Gerade im ersten Teil braucht der Soundmensch extrem lange, bis er eine halbwegs brauchbare Balance zusammengezimmert hat, und selbst dann haben Sebastian Römer als Stine und auch viele seiner Kollegen gegen das in voller Besetzung spielende Orchester immer noch keine Chance; zudem sorgen die rabiaten Breaks zwischen unverstärkten Sprechpassagen (da liegt dann auch kein Orchester dahinter, und in dieser Situation können fast alle Mitwirkenden überzeugen - daß man Matthias Josef Schiessl als Inspektor Munoz nicht gut versteht, liegt in der Natur der Sache, denn diese Rolle erfordert die Imitation eines starken spanischen Akzents) und verstärkten Gesangspassagen, die immer erst nach einer ganzen Weile eingepegelt sind (und das am Abend der vierten Aufführung!), für ein weiteres ungutes Gefühl der Holprigkeit. Einzelanalysen, wer da wo Viertel- oder Halbtöne danebenliegt, kann man sich sparen (die Problemfälle verteilen sich quer durchs Ensemble), wobei die Gruppennummern oftmals einen gelungeneren Eindruck hinterlassen (etwa das recht sicher singende Quartett Angel City 4, bestehend aus zwei Herren in Karowesten und zwei Damen in nachthemdähnlicher Kleidung). Die Inszenierung Frank Leo Schröders steht auf einem soliden Fundament und verzichtet auf große Experimente zugunsten einer flüssig erzählten Story, läßt dem Zuschauer aber trotzdem noch ein paar Denkaufgaben zum Lösen übrig (gerade im hinteren Teil, wenn sich teilweise vier Handlungsstränge überlagern, ist klar im Vorteil, wer ein Programmheft besitzt). Dazu kommen jeweils eine Prise Humor und Sex, mitunter auch gleichzeitig (köstlich: Buddy kanzelt Stine am Telefon ab, während er gleichzeitig per Fellatio verwöhnt wird, was der Zuschauer aber erst am Ende dieser Szene bemerkt - und die phallische Form der Leuchter in der Gartenszene ist auch, ähem, auffällig), und ein paar Anspielungen, von denen man nicht weiß, ob sie Absicht sind (das Stine-Stone-Partnerquartett etwa hätte mit seiner Kombination aus Pantoffelhelden und scheinbar starken Frauen perfekt in Richard Strauss' "Ein Heldenleben" gepaßt). Die gedanklichen Problemfälle häufen sich allerdings gegen Ende hin: Der Schmalz beginnt in unerträglichem Maße zu tropfen, als Stone seine Ex-Freundin Bonni im Bordell findet (das könnte freilich noch storyimmanent sein), aber dann tröten erst die Trompeten den kompletten Schlußchor des Ensembles (und der ist verstärkt!) nieder, und mitten in die Schlußszene platzt eine Kehrtwendung der Story um 180 Grad: Einer der Schauspieler ruft "Happy End!", und prompt haben sich Stine und Fidler, die sich eben noch bis aufs Messer bekämpft haben, wieder lieb, über alles deckt sich ein rosarotes Mäntelchen, und Hollywood funktioniert wieder, wie es soll (falls das auch storyimmanent war, ist es ein Zeichen, daß Gelbart halt auch nicht aus seiner Haut herauskann, und falls es eine Zutat der hiesigen Kreativfraktion war, verkehrt es praktisch die Grundaussage des Musicals und die Moral von der Geschicht' ins Gegenteil). Da hat man nun knapp drei Stunden seinen Denkapparat eingeschaltet und bekommt in der Schlußszene mit, daß das alles umsonst war. Paradoxer hätte man dieses Musical nicht enden lassen können, wobei ein interessanter Querverweis zu "Anatevka" ein Vierteljahr zuvor in Chemnitz führt, wo ebenfalls noch ein völlig kurioses Ende angeklebt wurde. "Ist das nun in ganz Amerika so?", fragt eine ältere Dame schon in der Pause angesichts der sich schon dort in Richtung "City Of No Angels" zuspitzenden Situation, als Stone gerade in der Art eines Golem zum Leben erweckt worden ist. Die Frage ist am Ende noch offener als zuvor und zudem problemlos auf viele andere Bereiche des Lebens übertragbar. Aber das führt an dieser Stelle dann doch zu weit.



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