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Helden!   13.06.2009   Zittau, Gerhart-Hauptmann-Theater
von rls

Das siebente Philharmonische Konzert der Neuen Lausitzer Philharmonie in der Saison 2008/2009 markiert zugleich auch das Saisonende, und Dirigent Eckehard Stier kündigt an, er werde in der Folgewoche mal mit einem Akustiker den Saal des Zittauer Theaters begutachten, um zu schauen, was man da noch verbessern könne - und das, obwohl, wie er bemerkt, dieser Saal die einzige der vier Spielstätten des Orchesters ist, der wenigstens halbwegs akustisch funktioniert. Seine Worte bekommen mit diesem Konzert Beweiskraft, denn der Sound ist nicht schlecht, aber auch nicht richtig gut. Das fällt auch einem Neuling im Saal wie dem Rezensenten schon im ersten Satz von Mozarts letzter Sinfonie, in der Zählung Nummer 41 und später mit dem Beinamen "Jupiter-Sinfonie" belegt, deutlich auf: Der Gesamtsound ist äußerst streicherlastig, während vom Holz wenig nach vorne dringt und erstaunlicherweise selbst die Pauke hinten ein akustisches Mauerblümchendasein führt. Diese Probleme versuchen Stier und sein Orchester mit einer Extraportion Eleganz zumindest abzumildern, vergessen dabei aber eine Art dynamischer Entwicklung, so daß sich dieser erste Satz mit seiner ausgeprägten Wiederholungsstruktur wie Kaugummi hinzuziehen beginnt, was nur durch gelungene Aufblitzmomente wie die in puncto Dramatik keine Wünsche offenlassenden plötzlich hervorbrechenden Tonartwechselpassagen aufgelockert wird. Da gelingt der zweite Satz deutlich besser: Themen wie aus Stein gehauen, viel Schmelz ohne Schmalz, die häufigen Störeffekte (in Gestalt von Forte-Akkordeinwürfen in Piano-Passagen) brutal, aber organisch eingeflochten - "sehr schön, sehr schön" flüstert es aus der Reihe hinter dem Rezensenten, auch wenn für die Doppelung dieses Attributes der Unterbau vielleicht doch noch einen Tick ruhiger hätte agieren dürfen. Selbst die Pauke hört man ab und zu mal besser durch, was aber im dritten Satz schon wieder ein Ende hat. Positiverweise wird der menuettartige Charakter dadurch nicht beeinträchtigt, auch die Eleganz bleibt erhalten, und die jeweils acht großen Streicherakkorde geraten fast zur Idealkombination aus raumgreifendem Schwingen und trotzdem feststellbarem Energietransport - damit entsteht sowas wie die positiv umgedeutete Frühform von Genesis' Kampf mit dem Riesenbärenklau in "The Return Of The Giant Hogweed". Diese Struktur kommt im vierten Satz nochmal wieder, den Stier enorm schnell nehmen läßt, und nach etwas zu viel Geholper im leisen Eingangsteil nimmt das Orchester dieses Tempo auch gleichermaßen bereitwillig und timingsicher auf. Die wieder mal akustisch fehlende Pauke stört wenig, und im zupackenden, wenngleich nicht ganz exakten Schluß ist sie dann auch wieder da. Aus der Reihe hinter dem Rezensenten dröhnt ein Bravo, das Publikum im ausverkauften Theater (es sind sogar noch Stühle reingetragen worden) findet schon nach wenigen Momenten einen gemeinsamen Klatschrhythmus und hört nach drei Vorhängen für den Dirigenten wie auf Kommando mit Klatschen auf - ein fast surrealer Moment für einen Menschen, der schon in vielen Konzerthallen unterwegs war, aber eine derartige Einmütigkeit so noch nirgendwo vorgefunden hat.
Nach der Pause wagen sich die Lausitzer an einen gewaltigen Orchesterschinken, nämlich "Ein Heldenleben" von Richard Strauss, und das trotz einer noch überschaubaren Besetzung (das Waseda Symphony Orchestra beispielsweise hatte ein Vierteljahr zuvor im Leipziger Gewandhaus für das gleiche Stück deutlich mehr Personal aufgefahren). Zunächst überrascht, daß das Publikum beim Orchestereinzug nach der Pause nicht applaudiert, sondern erst bei Erscheinen des Dirigenten - auch diese Sitte kennt der Rezensent bisher aus keinem anderen Konzert. Stier, der im Dirigat irgendwie immer grundsätzlich nervös wirkt, aber trotzdem souverän und engagiert dirigiert, gönnt sich die Zeit für eine kurze, kenntnisreiche und extrem humorvolle Werkeinführung (er liest z.B. genüßlich die Spielanweisungen Strauss' für die Solovioline vor, die von "keifend" bis "lieblich" reichen, und wertet diese als Beweis, daß die Solovioline in der Handlung zwingend eine Frau darstellen muß), bevor es in die Vollen geht. Einen Teil der beabsichtigten Wirkungen sabotiert allerdings mal wieder der Sound im Saal (der übrigens eine riesige Höhe hat und, von einer Technikplattform abgesehen, nicht durch Emporen gegliedert ist), so daß die Fortes und Fortissimi im ersten Satz nicht so ganz das gewünschte raumgreifende Volumen aufbauen können, im Schlußauftritt dieses Satzes aber zumindest nicht allzuweit davon entfernt sind, zumal endlich auch die Pauken mal wieder gehört werden können. Auch Stier zeichnet den Helden weniger monumental, statt dessen eher als Nervenbündel, das unter dem Pantoffel seiner Frau steht und gleichsam nur durch den Ruf zum Kampf vorm Versauern am heimatlichen Herd gerettet werden kann. Mit der extrem aussagekräftigen Gestaltung sowohl der Kritikaster im zweiten Satz (herrlich schräg-witziges Holz!) als auch der Familienszene des Helden im dritten Satz (nach einer Vorbereitung im zweiten, die eindrucksvoll demonstriert, wie der Held quasi durch zähflüssigen Teer watet und daran gehindert wird, seine Kritikaster jetzt schon zu zerschmettern) liefern Stier und das Orchester zweifellos das Meisterstück des gesamten Werkes ab, wobei ihnen Strauss mit der Komposition der Soloviolinenlinie mitsamt der erwähnten Spielanweisungen allerdings auch eine Steilvorlage gegeben hat, die Wasilij Tarabuko beherzt annimmt und souverän einnetzt. Da lullt die Violine den Helden erst emotional ein, um ihn dann unter den Pantoffel zu stellen und keine Gegenargumente zuzulassen - selbst auf einen kleinen Wutausbruch kontert sie mit einem kurzen Gekeife, das die Lage wieder klärt. Plastischer als die Lausitzer an diesem Abend kann man das kaum noch spielen. Dafür sabotiert der Sound dann den Kampf im Satz 4, der sich eher als leichtes Infanteriescharmützel darbietet, zumal nur die kleine Trommel und die Trompeten richtig für Kampfesstimmung sorgen, während nicht mal die große Trommel akustisch sonderlich gut vernehmbar ist (sie klingt eher wie kilometerweit entfernter Geschützdonner), und von den Pauken sprechen wir gar nicht erst - sie sind erst in der "Siegesmeldung" wieder vernehmbar. Wenigstens stimmt der allgemeine Wildheitsfaktor dieser Passage, und die dann folgenden Friedenswerke bewegen sich im Spektrum zwischen fast unhörbarem großem Gong und sehr schönem Englischhornsolo - die teils ausladende Epik gelingt, der Spannungsbogen bleibt erhalten, die Denkmalmentalität bleibt aber eher bescheiden. Dafür hilft die relativ geringe Orchestergröße bei der Erzeugung der Verklärungsstimmung im Schlußteil, nachdem die Frau des Helden, also die Solovioline, den letzten kurzen Kampf beendet und die Scherben gekittet hat. Wieder erschallt ein Bravo aus der Reihe hinter dem Rezensenten, die Applausstruktur ähnelt der nach dem ersten Teil, wird aber hier noch durch stehende Ovationen ergänzt und etwas stärker ausgedehnt, bevor das Publikum zur Saisonabschlußfeier oder in die noch taghelle Stadt strömt.



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