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Schöner leben Festival   16.05.2009   Bad Lausick, Schmetterling
von rls

Drei Studenten der Fachschule für Evangelische Sozialpädagogik im beschaulichen Kurstädtchen Bad Lausick südöstlich von Leipzig hatten beschlossen, für den hiesigen Nachwuchs und dessen Entwicklung kultureller Kompetenz etwas tun zu müssen. Ergo stellten sie ein Festival auf die Beine, das den Nachmittag über im Bad Lausicker Kurpark ein buntes Sammelsurium von der Kunstausstellung bis zum Clownschminken bot und ab 17.45 Uhr Uhr sechs Nachwuchsbands der erweiterten Region die Gelegenheit zu einem Gig auf der im Park gelegenen Bühne, die aufgrund ihrer Bauweise den Namen Schmetterling trägt, bot. Das Ganze stellte man unter den Namen "Schöner leben Festival", was aufgrund der explizit antifaschistisch determinierten Ausrichtung freilich ein wenig unglücklich war - schließlich existierte (existiert?) im benachbarten Altenburger Land die ähnlich benannte Initiative "Schöner wohnen im Altenburger Land", und die treibt ihr Unwesen im rechten Spektrum. Zielgruppenirritationen dürfte es freilich aufgrund des deutlich sichtbar gemachten Slogans "Love Music - Hate Fascism" nicht gegeben haben. Der Eintritt war frei, wobei man allerdings für 5 Euro ein Bändchen erwerben konnte, mit dem man dann wiederum Vergünstigungen an den Versorgungsständen bekam - für Vielfraße, Vieltrinker und ähnliche Menschen also eine reizvolle Option. Durch den freien Eintritt herrschte allerdings auch ein permanentes Kommen und Gehen vor der Bühne, was für die Bands eine Chance wie eine Bürde darstellte.
Der Rezensent traf mit einiger Verspätung ein und bekam vom Opener Stilbruch daher nur noch die letzten paar Songs mit. Eigentlich hätten Stilbruch als vorletzte Band des Abends spielen sollen, aber sie hatten noch eine zweite Giganfrage für diesen Abend bekommen, wechselten in Bad Lausick daher auf die Openerposition und fuhren dann sofort wieder zurück in ihre Heimatstadt Dresden, wo sie um 22 Uhr noch in einem noblen Hotel (!) auf einem Psychologenball (!!) spielen sollten. Die Location läßt vermuten, daß das Quartett keinen psychotischen Mathcore (der aufgrund der Ballgaststruktur durchaus kein Ding der Unmöglichkeit wäre) spielte - richtig geraten, obwohl es auch nicht unbedingt gängige Tanzmusik intonierte. Die Besetzung bestand aus einem Schlagzeuger, einem Akustikgitarristen, einem Violinisten und einem Cellisten, wobei letztgenannter auch noch für die Leadvocals zuständig war und sich überwiegend in Deutsch, erst in den letzten beiden Songs in Englisch artikulierte. Seine nicht zu rauhe, aber auch nicht zu weinerliche Stimme paßte gut zu dem irgendwo im Rockbereich zu verortenden Kompositionen, die durch die originelle Instrumentierung einen besonderen Kick bekamen, was durch den sehr klaren und nicht überlauten Sound zusätzlich unterstützt wurde. Zumeist bewegten sich die Songs in mittleren Tempi, aber auch balladeskes Herunterschalten war kein Fremdwort, und der letzte Song koppelte einen Midtempo-Hauptteil mit mehreren ekstatischen langen Soloausbrüchen im Speedtempo, was das zunächst noch etwas verhalten reagierende Publikum endgültig auftauen ließ, so daß man die einen äußerst professionellen Eindruck hinterlassende Band mit enthusiastischem Applaus wieder nach Dresden ziehen ließ.
In einem gewissen Kontrastprogramm hierzu stand der nachfolgende Gig von Without A Jacket - einerseits war es der erste öffentliche Auftritt der Truppe überhaupt, und andererseits hatte das Quintett über den gesamten Gig hinweg mit technischen Problemen zu kämpfen, die diverse Instrumente ganz ausfallen ließen oder im Gesamtmix fast zur Unhörbarkeit verdammten. Nichtsdestotrotz gab die Band nicht klein bei, und der komplett anwesende "Fanclub" von Sängerin Lisa sorgte dafür, daß auch im Publikum die Stimmung nicht durchhing, obwohl gerade in puncto Publikumskommunikation noch deutliche Steigerungsmöglichkeiten auszumachen waren und auch beim Stageacting ausgerechnet Drummer Ingmar (nur echt mit Sonnenbrille) den Blickfang bildete. Zu hören gab es einen Coverset einmal quer durch die Rockgeschichte, dazu ein noch nicht eindeutig getauftes Instrumental eigener Bauart, das zwar nicht sonderlich kompliziert aufgebaut war, aber trotz seiner ansehnlichen Länge in der Liveumsetzung nicht langweilig wurde und an einigen wenigen Stellen Bezüge zu Black Sabbath durchklingen ließ. Black Sabbath sind überhaupt ein gutes Stichwort: "Zombie" von den Cranberries wurde ein gutes Stück langsamer gespielt als im Original, aber vielleicht hätte man das Tempo noch niedriger ansetzen sollen, um die Wucht der durchaus gekonnten Umsetzung noch zu verstärken - das wäre auch für einige der anderen Kompositionen eine zu überlegende Strategie, wenngleich etliche auch in der vorliegenden Fassung mit ein bis zwei Akustik- oder Halbakustikgitarren einen durchaus hörbaren Eindruck hinterließen. REMs "Losing My Religion" freilich entpuppte sich als eher ungünstige Wahl, denn dessen Original war unmittelbar zuvor als Umbaupausenmusik erklungen, und den Direktvergleich konnten Without A Jacket logischerweise nicht gewinnen. Der Closer "Black Velvet" von Alannah Myles wußte positiv zu überraschen, indem man diesem kurzerhand ein klassisches Blues-Schema unterlegte - eine zweifellos witzige Idee, die auch noch funktioniert. Eine Coverband steht und fällt natürlich immer mit dem Gesang - Lisa schlug sich achtbar, mußte sich in den Höhen allerdings erst "warmsingen", während die dunkleren Tiefen nicht zu verkennende akustische Reize ausströmten. Ein Gig, der Potential erkennen ließ, allerdings auch noch zahlreiche Arbeitsfelder offenkundig machte. Für Genealogen hier noch der Hinweis, daß es sich tatsächlich um eine erweiterte Bergmann-Familienband handelt: Ingmar und Lisa sind Sprößlinge von Gitarrist Andreas Bergmann (den man als Jugendwart des Kirchenbezirkes Leipziger Land und u.a. auch als Organisator des alljährlichen "Standing On A Rock"-Festivals kennt), Gitarristin Marie und Bassist/Gitarrist Marius ergänzen das Bergmann-Trio.
Buried In School stammen ebenfalls aus Dresden, allerdings hat Drummer Peter (ein äußerst vielseitiger Musiker, der am Nachmittag auch schon mit dem Gospelchor Black'N'Orange und solo als Singer/Songwriter live gespielt hatte) seine Wurzeln in Bad Lausick, und so gab's hier zumindest partiell ein Heimspiel, was allerdings anfangs nur wenige Zuschauer merkten, bis sich der Platz vor der Bühne doch wieder etwas füllte. Symptomatisch für die Musik des Quartetts war der Soundcheck: Der Leadgitarrist spielte Metallica an, der Rhythmusgitarrist dagegen eine klassische Rock'n'Roll-Struktur. Ergo entwickelte sich im Set dann eine Mixtur, die ihre Basis im Power Metal hatte, allerdings auch Einflüsse aus Alternative, Punk und eben klassischem Rock'n'Roll zuließ. Das machte in den meisten Songs einen beträchtlichen Hörspaß, wenngleich einige der Tempo- bzw. Stilwechsel den Hörer doch arg unvorbereitet trafen. Die Bandhymne "Buried In School" (auch so 'ne Truppe, die im Falle größeren Erfolgs und/oder längerfristigen Zusammenbleibens wohl intensiv über ihren Bandnamen nachdenken wird ...) eröffnete den Set, der über "Last Sunrise" das Highlight "Out Of Paradise" erreichte, eine starke Halbballade, in der auch der Sänger (der ansonsten noch die Rhythmusgitarre bediente und mit seinen Ansagen reihenweise Sympathiepunkte sammelte) mit einer recht tiefen Artikulation zu überzeugen wußte, während er in den härteren Tracks keine so gute Figur machte - er sang nicht schlecht, aber er packte den Hörer auch nicht richtig, agierte zu unscheinbar. Dafür fiel der Leadgitarrist mit seinem Können, das er auch oft und gern zur Schau stellen durfte, positiv auf und versetzte auch eher durchschnittlichen Passagen (gerade das punkige Ufta-Ufta, in das die Band bisweilen verfiel, wußte weniger zu begeistern) noch einen speziellen Kick. Im letzten Song wählte er dann noch einen Gitarrensound, den man in ähnlicher Form auch von Sammy Hagar und Eddie van Halen kennt und der den gelungenen Gig abrundete.
UnterStrom konnten sich von Anfang an über ein kopfzahlig umfangreiches und auch in Feierstimmung befindliches Publikum freuen, wobei sie allerdings auch eine Form des Punk spielten, die heutzutage im Gegensatz zum Zustand von vor 30 Jahren niemanden mehr erschreckt. So richtig massenkompatibel agierten sie aber auch wieder nicht, statt dessen bisweilen fast fragmentarisch wirkend. Die Gitarren blieben oft clean, nur einige der Soli verrieten eine gewisse Metalaffinität, und Halbballaden teils epischen Ausmaßes sind auch nicht gerade das, was man von einer Punkband erwartet. Der Sänger hinterließ ein klassisches arbeiterklassekompatibles Bild, sang (zumeist in Deutsch) über klassische Punkthemen wie verlogene Politiker und den Hausmeister als Loser der Gesellschaft, brachte es aber fertig, die Ansagen a) zumeist auf die Songtitel zu beschränken und b) diese auch noch so zu nuscheln, daß man ihn so gut wie nicht verstand, was durch einen leicht übersteuerten (wenngleich nicht überlauten) Gesamtsound noch weiter verunmöglicht wurde. Da UnterStrom nach eigenem Bekunden ihre Songs so schnell gespielt hatten, daß fünf Minuten vor Ende der Spielzeit ihre Setlist schon komplett durchgespielt war, hängten sie dann - das ist nun wieder reichlich untypisch für eine Punkband - noch eine fünfminütige Jamsession ans Ende, die durchaus etliche der gespielten Songs locker aus dem Feld schlug und so für ein gutes Ende des Gigs sorgte, dessen auffälligster Moment freilich die Beteiligung des Luftikus war, der im Schelmenkostüm übers Gelände lief und mit Unterstützung einer Assistentin Feuer spuckte oder mit Fackeln jonglierte.
Restless Dreams waren im Billing auf die Position von Stilbruch gerutscht, also quasi die Treppe nach oben gepurzelt, aber ihr nur fünf Songs plus eine Zugabe umfassender Set rechtfertigte die hohe Plazierung durchaus. Sie füllten quasi die Rolle der Quotenmetalcoreband aus und taten das, was sie taten, aus Überzeugung und mit unverkennbarem Können. Freilich setzten sie ihren Set etwas eigenartig zusammen, begannen mit einem eher im Midtempo angesiedelten Song und wurden dann schrittweise immer schneller: "The New Dawn Of Mankind" an vierter Position endete im speedigen Inferno, und "Endless Violence" als Closer setzte das wilde Geknüppel als strukturierendes Element für den ganzen Song ein. Unglücklicherweise nahmen damit auch die Soundprobleme größere Ausmaße an, indem das Schlagzeug in den heftigeren Passagen alles außer Gesang und Leadgitarre ins akustische Abseits zu befördern trachtete, und da man die Rhythmusgitarre generell fast gar nicht hörte, war es schwer, einen Eindruck vom Zusammenspiel der augenscheinlich zumindest teilweise noch sehr jungen Bandmitglieder zu gewinnen. Dafür stimmte die Spielfreude ausgesprochen positiv und steckte offensichtlich auch den Teil des Publikums an, der sonst wenig mit derart extremen Klängen zu tun hat. Der Sänger agierte äußerst vielschichtig, sang in den Cleanpassagen allerdings noch deutlich zu schräg, während sein teils effektbeladenes Gebrüll beachtliche Intensitätsgrade erreichte. Die Zugabeforderungen des Publikums wurden mit einem sehr langen Song, der gewissermaßen fast alle Facetten des Bandsounds zusammenfaßte, belohnt. Sollte man im Auge behalten!
Die Headlinerposition wurde von Triekonos würdig ausgefüllt. Während des ersten Songs verließen die letzten Hip Hopper das Gelände - sie hatten erkannt, daß es für sie im Liveprogramm nichts zu holen geben würde. Das Bad Lausicker Trio hatte ein Heimspiel und nutzte diesen auch gnadenlos aus. Im Direktvergleich mit dem Gig in Stockheim acht Monate zuvor fiel die deutlich verbesserte Stimmsicherheit des Bassisten (ebenfalls nur echt mit Sonnenbrille, auch wenn's auf Mitternacht zuging) auf, wohingegen die mehrstimmigen Cleanpassagen immer noch fürchterlich schräg daherkamen, allerdings zum Glück relativ wenig Platz im angeproggten Metal des Trios einnahmen. Dagegen katapultierte sich der Drummer diesmal mehr in den Mittelpunkt des Geschehens, nicht nur mit seinem Drumming (dafür ist er ja da), sondern auch mit seinen paßgenauen Shout- respektive Brüllbackings und einigen witzigen Ansagen - außerdem hat er eine Frisur, mit der das Bangen einen optisch wirksamen Effekt zeitigt. Den Schalk, der ihm im Nacken sitzt, bewies folgende Szene: Gitarrist und Bassist spielen Intro bzw. Strophen von "Welcome Home", in denen der Drummer nichts zu tun hat - was tut er? Er faltet Papierflieger und wirft sie ins Publikum. Besagtes "Welcome Home" markiert nach wie vor einen der Schaffenshöhepunkte des Trios, wohingegen das eher punkige "Sternburg" (mit deutschem Text) in der Publikumsgunst ebenfalls weit oben stand, aber eine Art Fremdkörper im ansonsten durch viel Ernsthaftigkeit geprägten Set darstellte. Mit einer Zugabe beschlossen Triekonos ihren Set pünktlich um Mitternacht, wie es der Veranstaltung zur Auflage gemacht wurde - mancher zog danach noch zum Konservenmusikausklang ins Kinder- und Jugendhaus der AWO weiter, worauf der Rezensent aber verzichtete.



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