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Chemnitz rocken! Vorrunde 5   06.02.2009   Chemnitz, Schauspielhaus
von rls

"Chemnitz is a fuckin' heavy rockin' stadt", befand einst Joey de Maio beim denkwürdigen Manowar-Gig anno 1998 im Chemnitzer Südbahnhof in seiner Ansprache nach dem vom Publikum quasi im Alleingang bestrittenen ersten Teil von "Herz aus Stahl", auch festgehalten auf dem zugehörigen ebenso denkwürdigen Livealbum. Zehn Jahre später rotteten sich einige lokale Rockkulturaktivisten zusammen und organisierten unter dem Motto "Chemnitz rocken!" den akustischen Beweis für de Maios These. Dahinter verbirgt sich ein Bandwettbewerb, und 15 Kandidaten wetteiferten in der fünfgeteilten Vorrunde, ergo drei pro Abend, von denen jeweils der Tagessieger direkt ins Halbfinale einzog und der beste der fünf Zweitplazierten (das waren in der Schlußabrechnung Hematom aus der zweiten Vorrunde) das dortige Feld komplettierte. Als Location hatte man die Hinterbühne des Schauspielhauses an Land ziehen können, die Cottonbomb-Trommler Axel zu der Bemerkung verleitete, er habe noch nie in einem Raum gespielt, der höher als lang war; die Grundfläche erwies sich als für die vielleicht 200 Besucher (bei freiem Eintritt übrigens) jedenfalls als genau richtig bemessen: Man konnte sich einerseits problemlos bewegen, ohne sich wie in einer Sardinenbüchse durch die Menge quetschen zu müssen, und es entstanden andererseits auch keine peinlich großen Freiflächen.
Jede Band hatte eine halbe Stunde Spielzeit zur Verfügung, und Wir Zwee brachten von den drei Bands dieses Abends die höchste Songanzahl in dieser Zeit unter, obwohl sie durch mehr oder weniger lustiges Gelaber zwischen den Songs noch einiges an Zeit verschenkten. Positiverweise nahmen sich die mittlerweile drei Jungs (zu Bandgründungszeiten agierte man noch als Duo, was den Bandnamen erklärt) selbst alles andere als ernst, kokettierten mit ihrem nur begrenzten spieltechnischen Vermögen und animierten das Publikum ständig dazu, die folgende Band, also Cottonbomb, anzufeuern, weil die richtig gut seien und das Haus rocken würden. Rein musikalisch konnte man Wir Zwee nämlich in der Tat nur bedingt ernstnehmen, zumindest in den ersten drei Vierteln des Sets nicht, denn da erklang typischer Jugendzentrumspunk, den man sich im volljährigen Stadium nur noch unter Zwang oder Alkoholeinfluß anhören kann, und da das Mikro des auch gitarrespielenden Leadsängers etwas zu leise eingestellt war (oder er schlicht und einfach nicht den richtigen Abstand einhielt), verstand man auch von den deutschen Texten und dem Gelaber zwischen den Songs nur begrenzt etwas. Das hinderte aber einige Die-Hard-Fans nicht, einen Moshpit zu inszenieren und ihren Spaß zu haben - der 32jährige Rezensent hatte diesen indes erst in den letzten beiden Songs, die stilistisch wie qualitativ den Set auf den Kopf stellten. Zunächst erklang eine Halbballade mit Akkordeon (leider auch einen Tick zu leise abgemischt), gesungen vom Drummer und textlich mit zeitlos witzigen Reimen über die Dinge, die ein männliches Wesen auf sich nehmen würde, nur um sein angebetetes weibliches Wesen zum vorehelichen Beischlaf zu bewegen, ausgestattet, und den Setcloser bildete ein bösartiger Song über "Marionetten" in Politik, Wirtschaft und anderen Gebieten, der relativ brachiale Musik aus der Frühzeit des Grunge (also einer Zeit, als die Bandmitglieder noch nicht mal oder gerade erst geboren waren) transportierte. So endete der Gig dann doch versöhnlich, und man sollte gespannt sein, in welche Richtung sich die Truppe weiterentwickelt.
Cottonbomb waren die mit Abstand erfahrenste der drei Bands dieses Abends, und das machte die halbe Stunde auch unmißverständlich klar. Zwar hatten auch sie anfangs so ihre Soundprobleme in Gestalt von kaum hörbaren Keyboards und einem zu leise eingestellten Frontmikro, aber zumindest erstgenannter Problemfall löste sich relativ schnell in Wohlgefallen auf, zumindest was die höheren Keyboardparts anging, denn in den Tiefen sah Steffen lange Zeit kaum einen Stich gegen die Wand aus Carstens Baß und Marios Gitarre, die diesmal wieder deutlich massiver ausgeprägt war als auf den Gigs zu "Don't Worry ..."-Zeiten und auch die auf der "Platten Erschein Feier" des immer noch aktuellen Albums "Sidman" etwas übertraf - stellenweise fühlte man sich gar an Saint Vitus erinnert, so sehr verzahnten sich Gitarre und Baß. Doom-Gedanken wischte Trommler Axel mit zumeist recht flottem Beat aber schnell wieder weg, und Sänger Martin hatte wiederum eine Wandlung durchgemacht: Überließ er die rauheren Parts zu "Sidman"-Zeiten eher seinen Bandkollegen, so übernahm er sie diesmal wieder weitgehend selbst, die beeindruckende Wandlungsfähigkeit seiner Stimme (von manchen gar mit Nick Cave verglichen) unter Beweis stellend. Und über Steffens Fähigkeiten zu berichten hieße eh Eulen nach Athen zu tragen, sowohl was die showtechnischen als auch was die musikalischen angeht (er griff auch wieder zur Trompete, und ein Teil des Hawkwind-Spirits, den manche Komposition an diesem Abend versprühte, ging zweifellos auf seine blubbernden oder zischenden Keyboardgeräusche zurück). Von der Setlist her erprobten Cottonbomb auch neue Kompositionen, und der gesamte Set erweckte irgendwie den Eindruck, als ob man stilistisch von "Alternative Blues Desaster" doch wieder zum ursprünglichen Terminus "Bluescore" zurückwolle. Operation gelungen, Patient quicklebendig.
Setlist Cottonbomb (ohne Gewähr):
What Will Remain
Take A Whisky
Down There By The River
Blackmen
1967
Ambition Is The Death Of Thought
Damned To Boogie
"Schleppender brachialer Metal mit deutschen Texten" hatte irgendjemand über Firmament geschrieben, und unter einer solchen Beschreibung würde man sich so etwas wie Totenmond vorstellen. Das mit den deutschen Texten stimmte, das mit der Brachialität zumindest partiell auch, das Adjektiv "schleppend" jedoch traf kaum zu, da der Drummer im Regelfall mittlere bis höhere Tempi ansetzte. Er war übrigens auch der einzige Musiker des Quintetts, der Akzente setzen konnte, und da Firmament das offenbar wissen, ließen sie ihn an dritter Setposition ein Drumsolo spielen (man vergegenwärtige sich: bei 30 Minuten Spielzeit im Rahmen eines Bandwettbewerbes!). Der Bassist und die Gitarristen erledigten einen soliden Job, was beim Bassisten als Kompliment gemeint ist, bei den Gitarristen aber nicht, wobei man sie aber auch nicht gut genug hören konnte, um zu ermitteln, ob da vielleicht neben dem "neutralen" Riffing doch irgendwas war, was die doppelte Besetzung dieser Stelle rechtfertigen würde. Zum Knackpunkt des Firmament-Sounds sollte allerdings der Sänger werden, der es über weite Strecken schaffte, die Melodielinien so weit wie nur irgend möglich von den harmonischen Vorgaben des instrumentalen Unterbaus entfernt zu plazieren, ohne dabei aber eine mathcorekompatible Schrägheit (die dort als Stilmittel dient) zu erzeugen - hier wirkte es einfach nur amateurhaft, zumal auch die Lyrik selbst nicht gerade durch Einfallsreichtum glänzte, sondern manche Songs einfach nur aus x-maliger Wiederholung eines Vierzeilers bestanden. Zumindest für das Melodieproblem bot sich im letzten Song "Heroin" allerdings eine Lösung an, denn hier wechselte der Sänger in ein mäßig herbes Gebrüll - und siehe da, plötzlich entstand ein doch ganz brauchbares Stück Dark Metal, das einen günstigen Entwicklungsweg für die Band offenbarte (wenngleich es bis zum Level etwa von Sentenced, die der Soundmensch in der Umbaupause zwischen Wir Zwee und Cottonbomb laufen ließ, noch ein weiter Weg ist - und schon Sentenced waren nicht durchgehend meisterlich).
Die Wertung über das Weiterkommen wurde ausschließlich vom Publikum vorgenommen, allerdings mit dem taktisch geschickten Schachzug, daß jeder zwei Stimmen für zwei verschiedene Bands abgeben mußte, widrigenfalls der Stimmzettel für ungültig erklärt würde. Letztlich konnten Cottonbomb die Wertung für sich entscheiden (sie spielten ergo noch zwei Zugaben zum Beschluß des Abends, nämlich "Short Story 'Bout Women" - was für Baßeffekte! - und das Türen-Cover "Roadhouse Blues") und ziehen damit direkt ins Halbfinale ein. Termine und alles weitere Wissenswerte verrät www.theater-chemnitz.de/nachtschicht



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