www.Crossover-agm.de
IV. Akademisches Konzert   26.01.2009   Leipzig, Gewandhaus
von rls

Das Akademische Orchester Leipzig übernimmt in verschiedener Hinsicht kulturpolitische Verantwortung im Feld der internationalen kulturellen Kooperation - man erinnere sich beispielsweise an den Austausch mit der Universität Nanjing, der u.a. zu einem Konzert des dortigen Universitätsorchesters in Leipzig am 11.10.2007 geführt hat. An diesem Abend nun steht das Preisträgerkonzert des Deutschen Musikwettbewerbs an, und neben dieser Eigenschaft treten auch hier die erwähnten internationalen Beziehungen ans Tageslicht: Das Orchester pflegt Verbindungen nach Houston, Texas, und aus dieser Partnerstadt Leipzigs kommt auch Franz Anton Krager, der für dieses Konzert (für das gleich noch Katherine Brucker, Generalkonsulin der USA in Leipzig, als Quasi-Schirmherrin gewonnen wurde) am Dirigentenpult steht. Auch die Werkauswahl ist kein Zufall, denn die erste Hälfte des Konzertes gehört Antonín Dvorák, der als einer der ersten namhaften europäischen Musiker für längere Zeit auf dem amerikanischen Kontinent arbeitete, was sich dann auch in seiner 9. Sinfonie "Aus der Neuen Welt" niederschlug. Das Orchester hat allerdings seine 6. Sinfonie auf dem Pult liegen, als an das US-Engagement noch lange nicht zu denken war. Daß hier ein Slawe komponiert, hört man schon in der Einleitung des 1. Satzes. Die Hörner schleppen etwas, die Streicher nehmen das Tempo allerdings auf, und Krager hindert sie nicht daran - das macht aber nichts, denn den slawischen Gestus hört man auch so deutlich durch. An einigen Stellen hätte man sich dann allerdings doch etwas schärfer akzentuierte Streicher gewünscht, z.B. im Gesäge nach der Generalpause, und umgekehrt hätten auch die choralartigen Parts der Hörner über dem Streicherteppich noch ein wenig choralartiger herausgearbeitet werden können. Hübsch komponiert und klasse umgesetzt dagegen der Schlußwitz des ersten Satzes: Das Orchester spielt ein Moriendo, und kurz nach dem völligen Ersterben setzt Dvorák noch ein paar Takte Power dran. Der zweite Satz beginnt mit schöner Schwelgerei, die Abgründe meißelt Krager auch im weiteren Verlaufe des Satzes nicht so sehr tief aus, dafür gelingen ihm etliche hübsche cineastische Wirkungen, und auch die Flöten"kadenz" macht Hörspaß, das gleich darauffolgende Durcheinander aber weniger. Einlullende Passagen münden schließlich in einen geschickt plazierten und vehement gespielten "Paukenschlag" zum Aufwecken - Papa Haydn lugt vom Prinzip her mal kurz rüber, und dieser Witz gefällt auch hier. Das slawische Dorffest in Satz 3 hält Krager noch soweit unter Kontrolle, daß man nicht den Eindruck eines totalen Besäufnisses hat, die gelungene Dynamikgestaltung im Satz kommt ohne Berührung von Extrempunkten aus, die Echowirkungen sitzen maßgenau, und in den Streichern entdeckt man einige interessante Harmonien, die man 90 Jahre später bei Black Sabbath wiederfinden sollte. Im Schlußteil läßt Krager das Orchester dann ein Stück von der Leine, und so gibt es dann doch noch viel Branntwein und wilden Tanz beim Dorffest. Daß der 4. Satz danach träge beginnen muß, ist klar, aber so ergibt sich wieder die Möglichkeit zu einer geschickten dynamischen Gestaltung, obwohl der Grundbeat in diesem Satz oft erstaunlich lange konstant bleibt. Leider versägt das Orchester den Schluß völlig - der Zusammenbruch des ersten Triumphparts läßt in puncto Exaktheit deutliche Reserven erkennen, und die beiden Schlußtöne fasern dann völlig aus. Schade - aber dem Publikum im vollbesetzten Gewandhaus offensichtlich relativ egal, denn es applaudiert trotzdem herzlich.
Nach der Pause tritt die Apostrophierung als "Preisträgerkonzert des Deutschen Musikwettbewerbes" zutage, denn der Cellist Maximilian Hornung betritt die Bühne. Als Werk wählte man das Cellokonzert von Edward Elgar, geschrieben kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges in einer für den Komponisten auch privat eher schwierigen Lebensphase. Entstanden ist fast folgerichtig auch kein strahlendes Virtuosenkonzert, wenngleich der technische Anspruch für den Solisten immer noch sehr weit oben liegt. Hornung spielt das Werk auswendig, allerdings wechseln sich Phasen mit erstklassiger Abstimmung zum Orchester (etwa die Themenzuwerfarbeit gleich im ersten Satz) und Passagen, die eher an Orchestermusik mit autarkem Cellisten erinnern, ab, und von letzteren sind unterm Strich etwas zu viele dabei. Dabei kann Hornungs dynamische Gestaltung, auch was die Spannungserzeugung in den Verharrungen angeht, durchaus überzeugen, und im 2. Satz, der attacca an den ersten angeschlossen ist, gelingt auch das Miteinander von Orchester und Solist besser. Zudem ziehen eindrucksvolle Kriegsbilder am geistigen Auge des Hörers vorüber, wenn die Musiker finster grollen oder Elgar gar eine Mixtur aus Hummelflug und Kriegssoundtrack auf die Partitur setzt. Deutlich zu trocken, ja spröde gerät allerdings der dritte Satz, während im vierten (den Krager übrigens nicht attacca an den dritten anschließt, obwohl Elgar das so vorgesehen hat) der unruhig-zerfahrene Charakter wieder zum Konzept gehört und von energischeren, sauber ausgespielten Parts und einer Wiederkehr der Elegie geprägt ist. Reserven offenbaren sich freilich auch noch hier - der Spannungsbogen vor der Hauptthemawiederkehr etwa wird noch lange nicht ausgereizt. Das stört das Publikum aber wieder mal nicht, und Hornung belohnt den langen Applaus auch mit einer Zugabe.
"This is music from America, from Mr. Bernstein and Mr. Obama", leitet Krager den letzten Programmpunkt des Abends ein: eine Suite mit Melodien aus Leonard Bernsteins "West Side Story", zusammengebastelt von Jack Mason. Das Orchester rüstet personell wieder auf (die Besetzung bei Elgar war eher sparsam geblieben, was den aschfahlen Charakter des Stückes gut unterstrich) und spielt nun quasi Pop mit drei Schlagzeugern, von denen der eine aussieht wie Rasputin und hinter einem ganz normalen Jazz- oder Rockschlagzeug sitzt. Krager leitet auch hier wieder souverän, hält die Musiker aber eng an der Kandare, wenngleich natürlich das Blech hier ganz besonders dazu neigt, die Untervegetation (also alles andere) akustisch zuzudecken. Erst im abschließenden "America" lockert er die Zügel ein wenig und beendet damit eine zwar solide, aber viel zu spröde gespielte Suite (sozusagen deutsch statt amerikanisch) - was man aus diesem Material an Leben herausholen kann, hat Gustavo Dudamel mit seinen jungen Venezolanern anderthalb Jahre zuvor an gleicher Stelle bewiesen, und dagegen wirkt Kragers Interpretation leider, als ob sie an Anämie leiden würde. Sie ist nicht schlecht, nein, das nicht - aber sie begeistert auch nicht richtig, zumindest den Rezensenten nicht, der aber scheinbar einer von nur wenigen Menschen im vollbesetzten Großen Saal des Gewandhauses ist, der diesen Vergleich ziehen kann oder muß. Der Rest applaudiert nicht frenetisch, aber doch laut, und die Gesamtleistung von Orchester und Dirigent rechtfertigen das auch zweifellos.



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver