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Klaviator   18.01.2009   Leipzig, Gewandhaus
von rls

Ein Klavierabend? Mitnichten. Vor der Pause spielt das große Instrument mit den schwarzen und weißen Tasten nämlich gar keine Rolle, denn Beethoven hat es in seiner 2. Sinfonie, die das MDR Sinfonieorchester am Vorabend in Suhl und an diesem Abend in Leipzig auf dem Pult liegen hat, nicht besetzt. Ein bißchen steht die Zweite ja im Schatten der übermächtigen Eroica an Zählposition drei, aber eigentlich gehört sie dort nicht hin, wie nach Jun Märkls Interpretation dieses Abends deutlich wird. Märkl hält sich dabei von der hohen Tempoanweisung Beethovens, mit der Riccardo Chailly sein Publikum zu begeistern oder (wegen des Bruchs mit den gewohnten und beim Hören liebgewonnenen Midtempi) zu verstören pflegt, fern, aber der quicklebendige Charakter kommt dennoch in annehmbarer Weise zum Tragen. Auffällig ist dafür etwas anderes: Märkl läßt Beethoven kaum Konflikte austragen, er neigt dazu, die das Werk gelegentlich durchziehenden Gräben eher zuzuschütten als sie in wilden Sätzen zu überspringen. Das bekommt er hin, obwohl die Streicher, wenn sie im Allegro con brio schneidend herüberkommen sollen, das auch wirklich tun. Bis dahin hat man einen guten ersten Satz gehört, mit leichten Reserven, was einige Einsätze des Holzes und der Hörner (etwas zu blechern im Finale) angeht - so richtig zum Tragen kommt der Vorteil der Gräbenzuschüttstrategie allerdings im Larghetto an zweiter Satzposition, denn hier steigt der Wohlfühlaspekt dadurch deutlich an. Ihre Nachteile offenbaren sich aber im gleichen Satz gegen Ende, denn der fasert dann immer weiter aus, ohne daß viel passiert, was Aufmerksamkeit erregen könnte. So sitzt das Orchester bisweilen zwischen den Stühlen, auch was generelle Fragen von "zu wienerisch" oder "nicht wienerisch genug" betrifft. Diese Fragen kommen (nachdem man über den gekonnten Schlußwitz des Satzes geschmunzelt hat) im Scherzo an dritter Satzposition besonders zum Tragen: Etwas Lockerheit ist da, aber nicht gerade im Übermaß - daß das Intro des abschließenden Allegro molto lockerer von der Bühne springt als das gesamte Scherzo, spricht Bände. Hier in diesem letzten Satz weicht Märkl dann doch einmal ein wenig von der Gräbenzuschüttstrategie ab, wenngleich er auch hier immer mal noch kleine Lautstärkebrücken in die Schroffheiten hineinzaubert, was die leisen Breaks im wilden Getrümmer und Gesäge zu kleinen Hörkostbarkeiten macht. Auch das Grundtempo stimmt, und so endet eine gute Aufführung dieses Schattenpflänzchens mit begeistertem Applaus des nicht ganz gefüllten Gewandhauses.
Das Klavier steht dann nach der Pause auf der Bühne, Rudolf Buchbinder nimmt an ihm Platz und legt mit dem Orchester eine starke Interpretation des 1. Klavierkonzertes von Johannes Brahms hin. Nicht mal die Tatsache, daß die Orchestereinleitung (und noch weitere Parts später) strukturell ein wenig zu undeutlich, zu "mulmig" geraten, kann dieses Urteil trüben, denn hier hat man einen der Fälle vor sich, wo der Solist mit dem Orchester spielt und nicht nur beide gleichzeitig. Freilich: Die beeindruckende, fast physisch spürbare Präsenz, die Wucht, die man fünf Wochen zuvor beim gleichen Werk im (deutlich kleineren) Großen Saal der Leipziger Musikhochschule entdecken konnte, fehlt im riesigen Raum des Gewandhauses, aber das ist kein Manko, sondern ermöglicht im Gegenteil ganz unterschiedliche Eindrücke ein und desselben Werkes, ohne daß man deshalb von Vor- und Nachteilen sprechen müßte. Rudolf Buchbinder bewegt sich eher langsam, und man hat ständig Angst, er könne vom Klavierhocker kippen - aber er spielt phantastisch, und er spielt wie erwähnt mit dem Orchester, nimmt etwa gleich im durch einen Dialog mit den Holzbläsern geprägten zweiten Klaviereinsatz direkten Blickkontakt mit seinen Holzpartnern auf, ohne aber die Autorität von Jun Märkl am Dirigentenpult grundsätzlich in Frage zu stellen - ganz im Gegenteil: Auch die beiden arbeiten miteinander, daß es nur so eine Freude ist, und auch das Orchester kennt Buchbinder und seine Herangehensweise an Brahms' 1. Klavierkonzert bereits, nicht nur vom Vorabend, sondern bereits von 2003, als man das gleiche Stück schon einmal unter Fabio Luisi gemeinsam spielte. Das hat in puncto Homogenität und gegenseitigem Einfühlungsvermögen natürlich Vorteile, und die hört man auch. Was man ebenfalls hört, ist das Klavier, und zwar auch noch dann, wenn das Orchester die Lautstärke nach oben schraubt - keinesfalls eine Selbstverständlichkeit, aber auch hier wohl ein Beweis für gelungenes Feintuning. Der zu große Raum wird dem Adagio ein wenig zum Verhängnis, denn obwohl sich Buchbinder und das Orchester alle Mühe geben, den verklärt-entrückten Gestus, den sich Brahms hier vorgestellt hat, umzusetzen, so gelingt das eben aufgrund der Raumstruktur und einer latenten Unruhe im Publikum (die grundsätzlich immer vorhanden ist, aber proportional zur Kopfzahl und zum Erkältungsstand wächst) diesmal nicht in vollem Umfang. Fast attacca folgt der dritte Satz, die Spielfreude besticht, nur der leichte "Mulm" aus dem 1. Satz ist auch hier manchmal wieder da, läßt mitunter fast die Pauken verschwinden, aber er stört nicht wesentlich, und den lauten Applaus mit einzelnen Bravi haben sich Märkl, Buchbinder und das Orchester redlich verdient, wobei sich Buchbinder allerdings nicht zu einer Zugabe hinreißen läßt.



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