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Koncert z okazji Miedzynarodowego Dnia Muzyki   03.10.2008   Jelenia Góra (PL), Sala Koncertowa
von rls

In deutschen Landen begeht man den 3. Oktober bekanntlich als Feiertag anläßlich des Beitritts der DDR zur BRD anno 1990, aber der 18. Jahrestag besagten Ereignisses ist offensichtlich auch noch anders konnotiert, nämlich als Internationaler Tag der Musik, und aus diesem Anlaß setzte die Niederschlesische Philharmonie aka Orkiestra Symfoniczna Filharmonii Dolnoslaskiej ein Sinfoniekonzert an. Der Rezensent, der sich zufällig einige Tage im unweit gelegenen Riesengebirge aufhielt, nutzte die Gelegenheit, wanderte die 20 Kilometer von seiner Unterkunft in Karpacz Gorny nach Jelenia Góra, erweiterte dort noch seine CD-Sammlung um etliche Scheiben polnischen Rocks bzw. Metals und begab sich schließlich gespannt zum vor nicht allzulanger Zeit errichteten Gebäude der Niederschlesischen Philharmonie, in dem sich auch der Konzertsaal mit seinen 331 Plätzen befindet, die übrigens allenfalls zu zwei Dritteln besetzt waren, wobei ein auffällig niedriger Altersdurchschnitt der Besucher ins Auge fiel, der nicht allein durch zwei Dutzend Schulkinder zustandekam. Klanglich erwies sich der Saal vom Sitzplatz des Rezensenten aus beurteilt (dritte Reihe, nur reichlich fünf Meter vom Soloklavier entfernt) als durchaus gut gebaut, lediglich die Lüftung machte ein paar Probleme, denn die Frischluftzufuhr von draußen hatte ihre Ansaugstelle offenbar in der Nähe einer alten Kohleheizung und förderte daher auch diverse Mengen Rauchgase mit herein, was die Einheimischen aber kaum zu stören schien (die sind das offenbar gewöhnt), während der Rezensent das eher für suboptimal hielt.
Das Programm ist zweigeteilt, wobei die erste Hälfte polnischen Komponisten des 20. Jahrhunderts gehört. Den Auftakt bildet "Uwertura Prazka" von Jan Maklakiewicz, die "Prager Ouvertüre" also. Das riecht nach einem Programmwerk, und die Musik soll diesen Eindruck dann auch bestätigen, wenngleich der Rezensent mit seinen bisher gerade mal knapp zwei Tagen Prag-Erfahrung vor Schwierigkeiten steht, das ihm schriftlich nicht bekannte Programm zu entschlüsseln. Schon die Einleitung verdeutlicht, daß Maklakiewicz offensichtlich mit dem Schaffen von Dmitri Schostakowitsch vertraut war, und der sehr cineastisch wirkende Folgepart läßt an die akustische Untermalung eines Karl-May-Films denken. Beide Strömungen finden schnell zueinander (man stelle sich also vor, wie es klingen würde, hätte Schostakowitsch den Soundtrack zu Karl-May-Filmen komponiert), und später treten auch noch andere Elemente hinzu, etwa jüdisch klingende (wenngleich der Golem hier nur mit mäßiger Intensität poltert). Die herrlich knarzenden Fagotte vor der ersten ausgedehnten kammermusikalischen Kombination (die ersten Geigen zupfen, ein Flötensolo schraubt sich hervor ...) müssen besonders erwähnt werden, können allerdings auch nicht darüber hinwegtäuschen, daß man bei manchen Passagen doch den Verdacht hat, hier sei im Orchester nicht ganz sauber gearbeitet worden, etwa im Wirbel vor der Generalpause. Dafür täuscht der Komponist den Hörer perfekt: Immer wieder setzt er powernde Passagen mit einer Andeutung von Schlußwirkung an (hier denkt man bisweilen auch an Mahler), windet sich aber danach trotzdem noch weiter. Der eigentliche Schluß überrascht dann: flirrende Geigen, kurz abgehackt, ein Beckenschlag - fertig, aus. Ein starkes Stück Musik, für seine Entstehungszeit erstaunlich "unmodern" und fürs 20. Jahrhundert gut durchhörbar - man würde ihm gern öfter begegnen.
Den letzten Satz könnte man auch gleich aufs nächste Stück übertragen: "Koncert Fortepianowy Romantyczny" von Kazimierz Serocki, das "Romantische Klavierkonzert" also, ganz traditionell als Dreisätzer angelegt und ebenfalls das Studium der Kompositionen Schostakowitschs verratend. Pianist Adam Wodnicki, der das technisch alles andere als leichte Werk übrigens auswendig spielt, eröffnet das Allegro molto ritmico mit dem ersten von vielen speedigen Klavierläufen von unten nach oben und wieder zurück, bevor erstmal lange Zeit das Orchester das Zepter übernimmt, dominiert von finsteren Passagen in den Bratschen und Celli, die trotzdem viel Tempo machen, und das über lange Spielzeit hinweg, bevor der Pianist zum ersten Mal das Tempo herausnimmt und eine ausgedehnte romantische Passage einstreut - allerdings so, wie man in der Mitte des 20. Jahrhunderts den Begriff Romantik ausdeutet. Freilich: Gegen das forte aufspielende Orchester hat das Soloklavier selbst in der geringen Entfernung zum Rezensentenohr Durchsetzungsschwierigkeiten (das Orchester ist alles andere als klein besetzt), aber diese limitieren sich dankbarerweise auf wenige Passagen, denn Wodnicki zuzuhören ist ein wahrer Genuß - seine Feinabstimmung mit Dirigent Slawek A. Wróblewski wahrzunehmen allerdings nicht minder (egal ob der Dirigent gerade - häufig - wie ein Stehaufmännchen hin und her springt oder - seltener - ruhiger auf seinem Pult verharrt). Ein ausgedehnter Exzelsior-Spaziergang des Klaviers durch den Quintenzirkel leitet über zu einem jener typischen, mäßig modernen Powerparts des Orchesters, der aufs Ende des ersten Satzes vorbereitet. Der zweite ist mit Lento assai, delicatemente e cantabile überschrieben und lebt von seiner witzigen Struktur, die im vollen Ernst immer wieder interessante Kontraste aufbaut und wieder zusammenbrechen läßt. Da legen etwa die Celli einen warmen Teppich aus, sowohl kantabel als auch delikat - und dann kommen die Hörner daher, liegen genau einen Halbton neben der tonartgemäßen Harmonie und stören dadurch das idyllische Bild. Das erzeugt Spannung, von welcher der ganze Satz, temposeitig zumeist im unteren Bereich und mit viel Geschwelge versehen, lebt. Noch obskurer wird's freilich im dritten Satz namens Allegro vivace. Ist das Intro noch sehr dramatisch perkussioniert, so daß man an einen Filmschlachtensoundtrack denkt, nehmen viele Orchesterparts diesen Gestus auch auf, so wirft der Pianist hier immer wieder ganz andere Stimmungen ein: Zirkusmelodien, Kinderlieder, Volksweisen beißen sich mit den Orchesterparts, reiben sich an ihnen, ohne aber richtiges Konfliktpotential zu erzeugen oder (die andere Gefahr) in beliebigen Eklektizismus umzuschlagen. Kann sich jemand vorstellen, wie ein Klavierkonzert eines völlig undepressiven Schostakowitsch geklungen haben könnte? Dieser dritte Satz hier gibt die Antwort. Der Pianist bringt das Klavier förmlich zum Tanzen, das Orchester zieht mit, die Wirkung stimmt - tosender Beifall, für den sich der Pianist mit zwei Zugaben bedankt. Paderewskis "Krakowskaja Fantasia" gerät ähnlich lebendig wie der dritte Satz, und das Publikum wartet mit den Beifallsstürmen gar nicht erst, bis der Schlußton verhallt ist. Erst Chopins Moderato bringt den Emotionenpegel wieder herunter, gerät gar etwas zu trocken, und mit dem sehr früh abgebrochenen Schlußton scheint der Pianist mitteilen zu wollen, daß jetzt aber nun wirklich Schluß ist.
Nach der Pause steht ein Werk an, dessen polnische Übersetzung folgendermaßen lautet: "Symfonia bohaterska, skomponowana dla wczezenia pamieci wietkiego czlowieka". Daß ein Epochenrückgriff erfolgt, erkennt man schon allein an der Verkleinerung der hinteren Reihen des Orchesters: Posaunen und Tuba werden beurlaubt, und statt vier Schlagwerkern arbeitet nur noch einer, der zudem ausschließlich traditionelle Pauken vor sich stehen hat, die in der fraglichen Sinfonie eine große Rolle spielen werden. Der Dirigent nimmt das komplette Werk nämlich extrem kantig und arbeitet die Konturen sehr stark heraus (mancher mag gedacht haben, er übertreibt), wozu die ausgesprochen trockenen, harten und lauten Pauken ein großes Scherflein beitragen. Trotzdem gerät das Werk relativ fließend, im eröffnenden Allegro con brio mitunter zu fließend, wenn in diversen schnellen Streicherpassagen ein wenig Unordnung einkehrt. Das wird gegen Ende des ersten Satzes aber deutlich besser, auch das Solohorn beginnt zu trocken und steigert sich dann. Dagegen sollen die Holzbläser zum Knackpunkt der ganzen Aufführung werden. Kann man die äußerst "luftige" Flöte (die schon in den Werken der Polen aufgefallen war) noch unter "gewöhnungsbedürftig" fassen (weil man aus der deutschen Orchesterpraxis heute eher schärfer akzentuierte Flötentöne kennt), so reißen die Tightnessprobleme mehrerer Holzfraktionen das Niveau etwas nach unten. Dieses Problem soll leider über die ganze Sinfonie hinweg erhalten bleiben - wenigstens lassen sich die anderen Instrumentengruppen von dieser Nervosität allenfalls mal ganz kurz anstecken und fangen sich dann gleich wieder wie die Kontrabässe in der Eröffnung des zweiten Satzes namens Marcia funebre. Selbiger gerät durch die starke Akzentuierung gar nicht so beerdigungskompatibel, aber das macht nichts, und der Dirigent leistet vor allem in der Herausarbeitung der einzelnen eingebauten Schockeffekte hervorragende Arbeit. Auch die Lebendigkeit des drittpositionierten Scherzos klappt, der Dreiergroove im attacca angeschlossenen Finale anfangs leider nicht so ganz, wird aber bei der Wiederkehr dieser Passage besser. Fast weltumspannenden Charakter verleiht der Dirigent den lauten Passagen im Finale, und die sind wirklich laut (allerdings nicht an Klarheit einbüßend oder gar in Lärm ausartend - man beachte, daß der Saal recht klein ist, allenfalls zwei Drittel der Größe des Großen Saales in der Leipziger Musikhochschule besitzt, und daher durchaus zum Vermulmen des Klangs neigen könnte), so daß die Wirkung der Schlußapotheose nicht mehr in der Lautstärke, sondern nur noch mit einer Temposteigerung erzielbar ist. Das Publikum stört sich daran nicht, einzelne Bravi werden gar laut - etwas übertrieben, wenn man vor allem das indisponierte Holz betrachtet. Aber die beiden wirklich wertvollen Entdeckungen für den Rezensenten waren die beiden Werke Maklakiewiczs und Serockis (zumindest letztgenanntem Tonsetzer konnte man immerhin auch schon im Leipziger Gewandhausspielplan begegnen - allerdings seinerzeit ohne den Rezensenten) und Beethovens 3. Sinfonie Es-Dur op. 55 aka Eroica, um nun endlich mal aufzulösen, welches Werk sich hinter der Beschreibung des zweiten Konzertteils verbirgt, nur ein Zubrot, wenngleich ein ebenfalls durchaus schmackhaftes. Der Abend endete damit übrigens keineswegs, denn in der den Konzertsaal außen umlaufenden Galerie wurde im Anschluß noch eine Ausstellung eines Fotografie- und Philosophieprojektes eröffnet, das von einer auf Schloß Kromsdorf bei Weimar beheimateten Initiative maßgeblich durchgeführt wurde. Aber das ist schon wieder eine ganz andere Geschichte. (Wer mehr wissen will: www.maria-pawlowna.de)



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