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Hochschulsinfonieorchester 13.12.2008 Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls
Dem Schaffen von Johannes Brahms hat sich die Leipziger Musikhochschule anno 2008, im Jahr des Gedenkens an den 175. Geburtstag des großen Komponisten, mehrmals gewidmet, u.a. mit einem ausgedehnten Kammermusikzyklus, dem "Deutschen Requiem" und nun auch nochmal mit einem kompletten Sinfoniekonzert, das angesichts der zu erwartenden und letztlich auch eingetretenen hohen Kartennachfrage an zwei aufeinanderfolgenden Abenden angesetzt wurde. Den ersten leitete Dirigierprofessor Ulrich Windfuhr selbst, am zweiten ließ er vier seiner Studenten ans Pult.
Den Anfang machte Fabian Enders mit der "Tragischen Ouvertüre" und hinterließ einen souveränen Eindruck. Er wählte ein recht forsches Tempo, das den tragischen Charakter zumindest im instrumentellen "Rahmen" keineswegs so deutlich in den Vordergrund stellte, wie man das hätte erwarten können - den tragisch-traurigen Charakter des Mittelteils aber gestaltete er mit hoher Sensibilität. Im "Rahmen" dagegen dominierte ausdrucksseitig eher die Unruhe, und das offensichtlich mit voller Absicht. Zwar hätte man sich hier und da durchaus noch eine paßgenauere Ausführung gewünscht, etwa in manchen der Echoteile, beim Wiedereinsatz nach der Generalpause in Schlußnähe oder auch beim Schlußton selbst, aber das Gesamtbild stimmte zweifellos positiv.
Die Leitung der 3. Sinfonie F-Dur teilten sich die Litauerin Mirga Grazinite (Satz 1 und 4) sowie der Japaner Takahiro Nagasaki (die beiden Mittelsätze). Das funktionierte besser, als man hätte befürchten können, obwohl bzw. zumal die beiden auch noch sehr unterschiedliche Vorbildungen haben: Die Litauerin hat bereits ein erstes Dirigierstudium hinter sich, während der Japaner eine abgeschlossene Pianistenausbildung besitzt. Erstaunlicherweise wirkte die Litauerin anfangs deutlich nervöser als der Japaner, und das Orchester folgte ihr im ersten Satz auf diesem ungewollten Weg, der Unterbau fand erst ab den ersten richtig lauten Passagen zu der besonders für die Mittelsätze nötigen Ruhe. Dafür saß der Groove der Holzbläser und gezupften Streicher paßgenau, und auch der weiche Satzausklang ließ Gutes für die Mittelsätze erhoffen. Die sind im Kontrast zu den F-Dur-Außensätzen beide in C-Dur gehalten und charakterlich doch etwas von den "sinfonietypischeren" Außensätzen unterschieden. Zwar agierte die Holzfraktion in der Einleitung des zweiten Satzes deutlich zu trocken und nicht weich genug, aber das Problem sollte sich im weiteren Verlaufe zumindest etwas legen. Daß die Streicher kurz vor Ende des Satzes plötzlich davonzurennen begannen, stellte den Dirigenten nur kurz vor ein Problem, bis die abschließende Idylle wieder hergestellt war. Zum dritten Satz gibt es fast gar nichts zu bemerken - unauffällig, aber solide, auch die Themenwanderung saß. Den vierten übernahm wieder die Litauerin und setzte mit einer extrem schroffen Ausgestaltung der Eingangsbreaks gleich ein Achtungszeichen, besonders das erste große war an schneidendem Charakter kaum noch zu überbieten, und das bisweilen losbrechende Inferno klang tatsächlich infernalisch und eben nicht chaotisch - ein wichtiger Unterschied. Für den Schlußpart war offensichtlich noch zuviel Energie da - das dort angestrebte Pianissimo wurde deutlich verfehlt (das war allenfalls ein Piano), aber angesichts der vorher gehörten Intensität kam der nötige Kontrast irgendwie doch zustande, und nur die neben der Spur liegende Flöte und der arg versägte Schlußton trübten das insgesamt positive Bild noch ein bißchen. Beide Dirigenten erhielten trotzdem verdienten Applaus.
Nach der Pause stand das 1. Klavierkonzert auf dem Programm, eine Art verkappter Sinfonie in drei Sätzen recht monumentalen Ausmaßes. Mit An Hoon Song stand ein recht wild arbeitender koreanischer Dirigent am Pult, der mit Da Sol Kim einen gerade mal 19jährigen, hochtalentierten und schon mit einer ganzen Reihe an Preisen dekorierten Landsmann als Pianisten an seiner Seite hatte. Und letzterer machte, soviel sei vorweggenommen, aus einer normalen Aufführung ein Ereignis. Er spielte auswendig und sehr bewegungsintensiv, mal den ganzen Oberkörper wiegend, mal sein Haupthaar im Rhythmus schüttelnd, mal mit den Händen gestikulierend, als würde er sie nicht im nächsten Moment wieder paßgenau auf den Tasten absetzen müssen, dazu technisch für den Eindruck eines Nicht-Pianisten wie des Rezensenten äußerst treffsicher und auch noch im Gesamtklang sehr gut durchhörbar. Andererseits übertrieb er das technokratische Spiel nicht, sondern wechselte genau dann ins Liedhafte, wenn Brahms das von ihm verlangte, wozu der leicht gedeckt klingende Steinway in diesen Fällen ein positives Scherflein beitrug. Freilich: Auch ein solcher junger Diamant wäre ohne ein gutes Orchester nichts, und An Hun Zong führte die Studenten des Hochschulsinfonieorchesters zu einer sehr ansprechenden Leistung, wenngleich auch hier und da noch Reserven offensichtlich wurden, etwa in den zu knöchernen Rhythmusteppichen, die kleine Teile des Orchesters unter den ersten langen Einsatz des Klaviers zu legen hatten. Aber sie groovten sich ein, gingen die Dynamikvorgaben des Dirigenten gut mit und entwickelten gemeinsam mit dem Pianisten vor allem gegen Ende des ersten Satzes eine fast physisch wirkende umwerfende Präsenz mit einer strukturierten "wall of sound", die da von der Bühne erscholl. Daß es auch hier noch was zu tun gibt, zeigte wieder mal der Schlußton, bei dem sich Pianist und Orchester nicht ganz einig über seinen Anfangszeitpunkt waren - aber da spielen halt Menschen und keine Automaten. Ein wenig menschlicher hätte der Pianist den Beginn des 2. Satz spielen können, soll heißen etwas emotionaler und nicht ganz so trocken, aber auch hier fuhr der Zug bald in die richtige Richtung. Auch das Orchester machte seine Sache gut und vernachlässigte den düsteren Charakter, den man allgemein bei einem Adagio erwarten würde, in genau der Weise, wie es Brahms vorgesehen hatte, der hier eher verklärte als finstere Bilder vor seinem geistigen Auge gehabt hatte. Auch der Satzschluß gelang butterweich, wenn man mal von den Flöten absieht, die offensichtlich nicht ihren allerbesten Tag erwischt hatten. Im leicht magyarisch angehauchten dritten Satz schließlich perfektionierte Da Sol Kim die Kombination aus technischem und emotionalem Spiel, und man hatte nicht nur in den direkten Dialogpassagen den erfreulichen Eindruck, daß Pianist und Orchester wirklich miteinander spielen und nicht nur gleichzeitig (das ist leider keineswegs selbstverständlich, wie man in zahlreichen Konzerten von Solisten und Orchestern strukturell deutlich höherer Reputation feststellen muß). Der Enthusiasmus der jungen Musiker ließ gern über einige kleine Wackler, z.B. im Horn kurz vor Schluß, hinwegblicken und übertrug sich auch aufs Publikum, das das Orchester und besonders den Pianisten mit verdienten Bravorufen feierte, so daß letzterer nicht um eine Zugabe herumkam und mit einer gekonnten Version von Rachmaninows "Etudes-tableaux op. 39/9 B-Dur" erfolgreich auf dem Grat zwischen gebotenem Ernst und fast schelmisch wirkender Lockerheit belancierte - ein kleiner Mann, der eines Tages zu den ganz Großen zählen könnte.
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