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2. Sinfoniekonzert   15.10.2008   Chemnitz, Stadthalle
von rls

Zwei Eckpfeiler der neuzeitlichen Sinfonik gekoppelt - so das Programm des zweiten Sinfoniekonzertes der Robert-Schumann-Philharmonie mit dem etatmäßigen Chef Frank Beermann am Pult. Der erste Teil des Konzertes gehört Wolfgang Amadeus Mozart, der es immerhin schaffte, mehr Sinfonien zu schreiben, als er Jahre lebte - ein Vorhaben, das reichlich 100 Jahre später bei Gustav Mahler von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen wäre, wobei man allerdings ins Kalkül ziehen muß, daß rein spielzeitseitig in eine Mahler-Sinfonie locker drei, vier Mozart-Sinfonien passen, was das Ganze dann doch wieder etwas relativiert. Gar nicht so kurz ist allerdings Mozarts "Sinfonia concertante" KV 364 für Violine, Viola und Streichorchester, letztgenanntes auch noch recht mäßig besetzt und nur eine kleine Holz- und Hornfraktion hinzunehmend. Aber die reicht schon, um das generelle Problem eines solchen Stückes deutlich zu machen: Die Solovioline hört man fast durchgängig gut, aber die Solobratsche kämpft selbst bei einem nur leise spielenden Horn immer wieder mit Frequenzüberlagerungen, ist also phasenweise mehr zu erahnen als zu hören. Immerhin hat der Komponist ihr reichliche "hornlose" Freiheiten zugestanden, so daß sie sich trotzdem entfalten kann - und so ganz nebenbei faßt Mozart quasi alle Dialogmöglichkeiten, die man zwei Soloinstrumenten bieten kann, in einem Stück zusammen. Wunderbar durchhören läßt sich das in der Solokadenz des ersten Satzes, wo sich Hartmut Schill und Matthias Worm mit ihren Instrumenten förmlich umarmen und auch in den "Duellpassagen" zeigen, daß sie gut aufeinander eingespielt sind - sie musizieren ja auch schon das eine oder andere Jährchen gemeinsam im Chemnitzer Orchester, sind also keine "Solistenimporte". Vielleicht läßt Beermann dem Orchester ein wenig zu viel Freiheit, denn das klingt bisweilen eher teppichartig mit ineinanderfließenden Klängen - andererseits stört diese Kantenlosigkeit aber auch nicht, das plötzliche Geholpere im Einleitungsteil des zweiten Satzes hingegen schon. Aber das Orchester fängt sich schnell wieder und bringt ein wunderbares Kunststück fertig: Es spielt sehr langsam und sehr leise, ohne zum Einschlafen zu animieren. Einige Dynamikschwankungen halten den Hörer immer wieder am Lauschen, etwa der horndominierte kleine "Wutausbruch" vor der Mini-Kadenz, und auch der Part vor der richtigen Kadenz klingt erfreulich raumgreifend (trotz der kleinen Besetzung und trotz der Tatsache, daß das allenfalls ein Mezzoforte war). Allerdings endet der Satz, wie er begonnen hat, nämlich holprig - diesmal mangelt's am flüssigen Übergang von der Kadenz in den Schlußpart. Der dritte Satz folgt attacca, ist wieder von der schnellen Sorte, Tempo und Dynamik stimmen, und man stellt überrascht fest, daß der zentral plazierte call-and-response-artige Part in der Bratsche sogar schärfer akzentuiert gespielt wird als in der generell sehr scharf gehaltenen Violine. Das täuscht zwar nicht über die Tatsache hinweg, daß kompositorisch hier ein bissel die Luft raus zu sein scheint, aber dafür kann das Orchester ja nichts, und man geht mit verdientem Applaus, aber ohne Zugabe in die Pause.
Zweimal hat der Rezensent Mahlers 5. Sinfonie bisher live gehört, beide Male mit Orchestern mehr oder weniger spanischen Geblütes. Nun also das erste Mal mit einem deutschen Orchester - und, um es vorwegzunehmen, Beermann und seine Leute spielen auch relativ "deutsch". Die Bühne füllt sich nahezu komplett, als ob man demonstrieren wolle, wie gefährdet man statusseitig durch die aktuellen Finanzlöcher im Chemnitzer Theaterhaushalt ist (es droht die Reduzierung von A auf B), wobei man dieser Koindizität keine Absicht beimessen sollte, denn das Programm ist ja schon Monate zuvor fixiert worden, als die finanziellen Kalamitäten noch keinesfalls klar waren. Jedenfalls steigt das Orchester mit Klängen ein, die auf das Ohr noch etwas "mulmartig" wirken - trotz der Pause sitzt immer noch der deutlich transparentere Mozart-Klang im akustischen Gedächtnis, und es dauert ein wenig, bis die Mahler-Klänge ihn erfolgreich vertrieben haben und man auch hier die spezielle Art von Transparenz wahrnimmt. Das gelingt dann, ohne daß die Dynamik leidet, und als kleinen Problemfall könnte man allenfalls benennen, daß sich das Zusammengehörigkeitsgefühl von Streichern und Trompeten lange Zeit nicht einstellen will - aber auch das kommt mit der Zeit. Beermann läßt die tobenden Parts schon hier sehr laut ausspielen, nimmt auch das Tempo noch nicht so langsam, und der Lichtfaktor der hellen Einschübe stimmt auch. Der Part nach dem Aufnahmen des Hauptthemas in den Pauken beweist zudem eindrucksvoll, wie leise man auch mit einem riesigen Orchester spielen kann, wenn man denn will. Als Problemfall erweist sich der Schluß des Satzes: Die Trompeten sind sich im Rhythmus des Themas uneins, die Flöte beschließt, daß sie dann auch ihr eigenes Ding machen kann, und auch der Schlußzupfer kommt alles andere als einheitlich. Dafür tun im wilden Eingangschaos des zweiten Satzes alle wieder, was sie sollen, nur färbt die Wildheit unvorteilhaft auch auf die Cello-/Holzkammermusik ab. Das große Cellosolo gelingt gut (nicht sehr gut - die nötige spielerische Lockerheit tritt nämlich erst danach wieder zutage), und der drückende Schluß läßt den Hörer sich schon hier verzweifelt fragen, wie das im Finale noch überboten werden soll. Die Antwort beginnt hier gleich danach: Zunächst setzt Beermann ein sehr spannendes Pianissimo-Ende an den Satz, das schon den ersten Teil seiner Finalstrategie bilden soll. Dann fährt er ab dem Scherzo das Tempo immer weiter herunter, damit allerdings auch in niedrigeren Lautstärken oft an Wucht gewinnend. Groove freilich erzeugt er kaum, dafür gelingt der Zupfpart auch im Piano erstaunlich gut, und die große Steigerung läßt Beermann sehr kompetent ausspielen, jedoch nicht mehr bis zum Äußersten, was an Lautstärke ginge, führen. Übrigens fällt auch auf, daß er sehr lange Pausen zwischen den Sätzen einlegt, was den Zuhörer stimmungsmäßig jedesmal wieder "erdet" (eine Herangehensweise, die Vor- wie Nachteile hat). Das Adagietto beginnt butterweich, senkt Tempo und Lautstärke noch weiter, ohne aber einen kaugummiartigen Charakter anzunehmen - der Emotionenfaktor ist gewissen Schwankungen unterworfen, und wenn man genau hinhört, entdeckt man auch hier ein paar winzige Einsatzprobleme, aber hier wischt man gerne mit einem Schwamm drüber. Die Überraschung kommt dann im letzten Satz: Den nimmt Beermann zu zwei Dritteln nämlich ähnlich zurückhaltend wie das Adagietto, unterbrochen nur von zweimaligem Posaunenweckruf, immer noch in erstaunlich niedrigem Tempo (er unterbietet diverse Kollegen deutlich), um wenigstens noch eine Chance zu haben, das hinterste Drittel mit einer typischen Finaldynamik auszustatten. Die gelingt unter Schwierigkeiten; Trompeten und Posaunen tröten leider zu viel vom Rest nieder, so daß das Stichwort "Triumph" auf dem Notizzettel des Rezensenten nur zwei Ausrufezeichen bekommen hat und nicht drei. Das Publikum im vielleicht zu drei Vierteln gefüllten Saal läßt sich von dieser eigentümlichen und nicht ganz gelungenen Strategie nicht stören, und obwohl Bravorufe ausbleiben, gönnt man den Mitwirkenden lange anhaltenden Applaus, der noch andauert, als schon längst das Hallenlicht wieder angegangen ist.



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