www.Crossover-agm.de Castello Youth Symphony Orchestra   02.08.2006   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

Warum ein von einem koreanischen Veranstalter ausgetragenes Festival nun ausgerechnet Euro Music Festival heißt, bleibt nur so lange rätselhaft, bis man weiß, daß der Veranstalter eine Firma namens EuroArts ist. Seit 1998 gibt es dieses Festival, in dessen Rahmen begabter klassischer Nachwuchs Meisterklassenunterricht erhält und dem natürlich auch zahlreiche Konzerte angegliedert sind, welche einerseits von den Dozenten, andererseits von den Teilnehmern bestritten werden, zu denen aber mitunter auch nicht am Festival beteiligte Gäste eingeladen werden. Einen solchen Fall gab es an diesem Mittwochabend in Leipzig im Rahmen der bereits 16. Auflage des Festivals (das 2005 erstmals in Leipzig stattgefunden hatte und dort offenbar so gut gelaufen war, daß die Koreaner auch 2006 wieder ans Pleißeufer zurückkehrten): Das gerade auf Deutschlandtour befindliche Castello Youth Symphony Orchestra oder, wie es im spanischen Original heißt, die Associació Jove Orquestra Simfònica de Castelló wurde für ein Mahler-Konzert verpflichtet, wobei das Orchester aber nicht auf Nummer sicher ging und die bereits seit Jahren im Repertoire befindliche 1. Sinfonie "Der Titan", die man 2004 auch schon in Silberform verewigt hat, wieder ausgrub, sondern sich mit der 5. Sinfonie einen gewaltigen Brocken aufs Pult hob, welcher den titanischen Charakter der 1. Sinfonie nochmal locker übertrifft. Die Spanier hatten zudem Glück, daß die vorherige wochenlange Hitzewelle in Deutschland einige Tage zuvor abgeebbt war, denn die Motivation, sich nach einem brütend heißen Tag noch von so einem Monsterwerk plätten zu lassen, dürfte sich beim deutschen Konzertpublikum in überschaubaren Grenzen halten, wenngleich mit den Festivalteilnehmern natürlich ein gewisses "Grundpublikum" sichergestellt war. Letztlich war der Große Saal vielleicht reichlich halbvoll, und die Unterhaltungen im Publikum wurden denn auch tatsächlich in vielen Sprachen geführt.
Gespannt durfte man die Antwort auf die Frage erwarten, wie denn ein spanisches Orchester, noch dazu eines in jugendlich-frischer Besetzung, mit einem dem spanischen Temperament größtenteils so völlig antagonistisch gegenüberstehenden teutonischen Schwerblüter zurechtkommen würde. Die Antwort fiel überraschend positiv aus, denn die Spanier näherten sich dem Sujet zwar mit dem gebotenen Respekt, versuchten ihm aber trotzdem eine gewisse Extraportion Frische zu injizieren, womit sie den Trauermarschcharakter des ersten Satzes zwar nicht konterkarierten, aber ihm zumindest etwas die vom Komponisten eigentlich intendierte Trostlosigkeit raubten. Das Paradoxe daran: Das Ergebnis überzeugte trotzdem; die Spanier stellten die mit großer Rapidität auftretenden Stimmungsschwankungen pointiert dar, wenngleich man mit zunehmendem Hören die Stärken und Schwächen recht deutlich wahrnehmen konnte. Woran sich das Orchester die Zähne ausbiß, das war die Aufgabe, die zwar recht seltenen, aber doch markanten locker-gelösten Passagen mit der intendierten Lockerheit rüberzubringen, sie praktisch, um mal einen Begriff aus der U-Musik einzusetzen, zum Grooven zu bringen, die originale Tanzcharakteristik deutlich herauszuarbeiten. Zwar muß einschränkend bemerkt werden, daß es fürchterlich schwer ist, ein 80-Mann-Orchester zum Grooven zu bringen, aber gerade die Ländlerpassagen im Scherzo hätten einer größeren Lockerheit bedurft, waren - und jetzt wird's ganz paradox - etwas zu "teutonisch" angehaucht. Was dafür ganz ausgezeichnet gelang, war das berühmte Adagietto, das eine Extraportion romantischen Schmelz bekommen hatte, ohne deshalb aber ins Kitschige abzudriften - die leisen Töne stellen also auch mit einem 80-Mann-Orchester keine Unmöglichkeit dar, und daß man mit einer solchen Besetzung auch ordentlich Krach machen kann, steht außer Frage. Letzteres taten die Spanier dann auch mit Begeisterung, und zwar streckenweise so laut, daß sich der eine oder andere Zuschauer die Ohren zuhielt. Das Schöne an diesem Krach war aber, daß er stets nachvollziehbar blieb, daß die Chaosparts nie in ein allgemeines Durcheinander auszuarten drohten, sondern von Mahler mit geradezu mathematischer Präzision ausgefeilt worden waren und von Sergio Alapont (der übrigens, wenn ich das richtig gesehen habe, diesen schwierigen Brocken komplett auswendig dirigierte) und seinen Leuten auch entsprechend durchhörbar gestaltet wurden - Chaos mit Struktur sozusagen, wie es Mahler von 99% der anderen E-Komponisten des 20. Jahrhunderts genauso unterscheidet wie, um mal wieder das Genre zu wechseln, die Chaosmetalpioniere Meshuggah von ihren mittlerweile unzähligen Epigonen. Ein einziges Mal hatte man das Gefühl, Alapont und das Orchester würden die Kontrolle verlieren (mitten im ersten Satz), aber sie gewannen sie sehr schnell wieder zurück und gaben sie bis zum Grande Finale mit dem strahlenden D-Dur-Choral nicht wieder ab. Da fiel dann nicht mal mehr der gleich im die Sinfonie eröffnenden Trompetenthema erbrachte Beweis, daß ein Solotrompeter auch nur ein Mensch ist, schwerer ins Gewicht. Der mit großem körperlichem Einsatz dirigierende Alapont und seine 80 Spanier wurden denn auch vom Publikum gefeiert und dürfen sich eine qualitativ gutklassige und interessante Mahler-Interpretation ins Stammbuch schreiben lassen, die sie mit dem nochmaligen Intonieren der letzten Passage des Finales als Zugabe abrundeten.



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