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Elias   20.04.2008   Leipzig, Peterskirche
von rls

Hatte die Deutsch-israelische Philharmonie anno 2006 mit ihrer "Elias"-Tour, die sie u.a. auch ins Leipziger Gewandhaus führte, einen konsequent ausgeprägten Anspruch des deutsch-jüdischen Brückenbauens verfolgt, so geht die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten, die als Veranstalter für diese Aufführung verantwortlich zeichnete, deutlich evangelikaleren Zielen nach, wie im Programmheft sowohl vorwortseitig als auch anhand der konkreten biblischen Einordnung der Oratoriumstexte deutlich wurde. Interpretationsseitig sind natürlich beide Ansätze anhand des Werkkontextes möglich (immerhin war Texter Julius Schubring selbst Theologe und nicht etwa "nur" Dichter oder Dramatiker); über die Hintergründe des Oratoriums von Felix Mendelssohn Bartholdy kann man sich in der Rezension des erwähnten Gewandhauskonzertes informieren, so daß hier allein die Aufführung an diesem Sonntag im Mittelpunkt stehen soll. Trotz nicht zu unterschätzender Konkurrenz war die Peterskirche auf Saalebene fast bis zum letzten Platz gefüllt, auch die Emporen blieben nicht leer. Schnell sollte sich allerdings ein entscheidender Nachteil der neugotischen Hallhallhallenkirche herausstellen, nämlich die Klangverhältnisse. Die Soundqualität in der Peterskirche verhält sich ungefähr umgekehrt proportional zur Lautstärke der Musiker, und allein schon deren Kopfzahl sorgte an diesem Nachmittag für das eine oder andere Problem. Dabei war das Orchester (die Vogtland Philharmonie Greiz-Reichenbach) gar nicht mal so groß besetzt, aber in Verbindung mit den 160 Sängern des LandesChors der Adventgemeinde (bis auf Mecklenburg-Vorpommern aus allen neuen Bundesländern kommend) entstand dann doch ein Ganzes, das in diesem Falle je nach Interpretationsansatz mehr oder weniger als die Summe seiner Teile bildete. Das Erstaunliche an der Sache: Das Ohr des Hörers begann sich so ungefähr ab der 10. Programmnummer (von insgesamt 42) immer besser an die Klangverhältnisse zu gewöhnen und Details zu erlauschen, die vorher im großen ineinanderlaufenden Klangwust untergegangen zu sein schienen, und erst gegen Ende hin wurden die Verhältnisse dann wieder so schlecht, daß beim Schlußchor ein einziger (!) Trompeter genügte, um die kompletten 160 Chorsänger ins klangliche Abseits zu stellen; die anfangs sehr hintergründig tönenden Pauken brachten gegen Ende hin leider ähnliche Kunststücke fertig. Könnte durchaus sein, daß an verschiedenen Stellen der Kirche die Klangverhältnisse sehr unterschiedlich waren (auch dieses Phänomen kennt man von derartigen Hallenkirchen); der Rezensent blieb jedenfalls die ganze Zeit an ein und derselben Stelle rechts hinten sitzen und kann daher nur von diesem Platz aus urteilen. Schärferes Herausmodellieren von Konturen gelang den Musikern also nur in kleineren Besetzungen, und selbst hierbei waren noch häufig ineinanderfließende Linien zu konstatieren, was manchen Passagen etwas zuviel Schmelz überkippte, in anderen aber wieder richtig gut paßte (wir sind entstehungsseitig immerhin in der Romantik, und wer Mendelssohns Klangtafelmalerei beispielsweise in der Hebriden-Ouvertüre kennt, der kann auch im Elias einiges vertragen); freilich ist die Leistungseinschätzung einzelner Instrumentengruppen oder gar des Dirigenten dadurch schwierig bis völlig unmöglich und kann allenfalls auf Einzelfalleindrücke zurückgeführt werden. Besser sieht es da schon bei den vier Solisten aus, denn die bildeten die eindeutigen Glanzlichter dieser Aufführung, selbst wenn man ohne Textzuhilfenahme auch bei ihnen nur wenig verstehen konnte, am ehesten noch beim für Uwe Stickert eingesprungenen Tenor Gerald Ruppach, der sehr klar sang, allerdings seine verteilten Rollen recht wenig unterschied. Gotthold Schwarz als Elias erwies sich als eine Art Idealbesetzung - ihm traut man von der Stimme her ganz einfach zu, daß er einen Mann interpretiert, der eine ganze Schar Baalspriester niederzumetzeln imstande ist. In Nr. 17 "Ist nicht des Herrn Wort wie ein Feuer" reichte allerdings auch seine Stimmgewalt nicht mehr aus, um sich gegen das Orchester durchzusetzen, während seine beste Leistung in Nr. 26 "Es ist genug" festzuhalten wäre (perfekter Dynamikwechsel inclusive). Notiz am Rande: In "Ist nicht ..." ging auf die Zeile "Sein Wort ist wie ein Feuer und wie ein Hammer, der Felsen zerschlägt" das 18-Uhr-Geläut der Kirche los - man kann das für einen Zufall halten oder auch nicht. Zurück zu den Solisten: Die zweifellos dominanteste Stimme hat Sopranistin Friederike Holzhausen, die sich auch nur selten zurücknahm (allerdings in Nr. 8 "Was hast du an mir getan" in der Rolle der Witwe auch eine sehr gute verzweifelte Leistung hinbekam, sofern man das anhand der hier wieder mal problematischen Soundmischung erkennen konnte; feinste Leistung war aber zweifellos das skurrilerweise erstklassig hörbare piano in Nr. 33 auf "denn es naht der Herr"); hätte man ihr mit Annette Reinhold nicht einen "echten" warmen und flächigen Alt (anstelle eines "verkappten Sopran", wie oft zu hören) zur Seite gestellt, wäre der erwünschte Stimmkontrast sicher komplett ins Wasser gefallen. Die Altistin erlebte ihre besten Momente übrigens als fiese Königin Isebel in Nr. 23 "Der Herr hat dich erhoben". Das ganze Dilemma der Gesangssolistenkombination machte das Seraphim-Quartett in Nr. 35 deutlich, in dem man außer Holzhausen praktisch kaum etwas vernehmen konnte; um dieser Gefahr zu entgehen, mutet es schon geradezu wie ein geschickter Schachzug des Dirigenten an, das berühmte Engelsterzett "Hebe deine Augen auf" oder das kaum minder berühmte Engelsquartett "Wirf dein Anliegen auf den Herrn" nicht solistisch, sondern mit klein besetzten Chören zu interpretieren. Will man die ergreifendsten und besten Stellen dieser Aufführung herauspicken, sei außer den genannten noch der äußerst ätherisch gelungene Übergang in Nr. 7 nach "Es ist kein Odem mehr in ihm", die wunderbar dargestellte Eliassche Verzweiflung in Nr. 25 auf "Ich gehe in die Wüste" und die erstaunlich tighte Chorleistung in der Hochgeschwindigkeit von Nr. 24 auf "Warum darf er weissagen im Namen des Herrn?" angeführt; leider aber blieben das einzelne geniale Momente einer nur partiell beglückenden Aufführung, über deren reale Qualität bei Gewandhaus-Klangverhältnissen nicht spekuliert werden soll, wenngleich man zumindest unterbewußt immer Vergleiche zieht. An der Tightness zwischen Chor, Solisten und Orchester - das ließ sich deutlich genug hören - darf jedenfalls bis zur nächsten Aufführung im Juni in Potsdam noch intensive Feinschliffarbeit vorgenommen werden, wobei der Enthusiasmus nicht mit abgeschliffen werden sollte. Good luck!



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