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Hochschulsinfonieorchester   21.12.2007   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

Drei Tage vor Weihnachten: Musik allerorten, in Leipzig wimmelt es nur so vor Weihnachtsoratorien - und die hiesige Musikhochschule traut sich, ein Programm aufzulegen, das nichts, aber auch gar nichts mit Weihnachten zu tun hat. Der fast komplett gefüllte Große Saal der Hochschule beweist, daß ein guter Teil des Leipziger Konzertpublikums durchaus auch einmal eine Pause im Jauchzen und Frohlocken vertragen zu können glaubt. Zugleich bildet das Konzert auch den hochschulinternen Einstand des neuen Dirigierprofessors Ulrich Windfuhr, dessen erstes Konzert mit dem Hochschulsinfonieorchester zu Mendelssohns Todestag ja noch im Gewandhaus stattgefunden hatte.
Zwei Violinkonzerte aus der Feder von Béla Bartók sind überliefert, und an diesem Abend steht das zweite auf dem Programm, geschrieben unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg (das erste war nicht allzulange vor dem Ersten Weltkrieg entstanden - ein Schelm, wer Arges dabei denkt) und irre schwer, wie sich diverse kundige Besucher in der Pause einig sind. Daß sich mit Katharina Schumann eine junge Violinistin, die gerade erst beim Gewandhausorchester gelandet und generell noch in der Phase des Meritensammelns ist, an dieses Werk heranwagt, ist aller Ehren wert und gefährlich zugleich, aber die in ein weinrotes Kleid gehüllte Blondine meistert die anfangs recht deutlich zu spürende Nervosität und spielt sich schrittweise immer weiter frei und auf ein achtbares Leistungsniveau hinauf. Das Orchester selbst braucht auch ein wenig Zeit, ehe es im eröffnenden Allegro non troppo intern auf Betriebstemperatur ist - so holpert's hier und da im idyllisch gedachten Intro noch etwas, die erste größere Tempoverschärfung bringt dann aber schon eine Ahnung des gewünschten magyarischen Kolorits, und das erste Forte sitzt dann weitestgehend paßgenau. Bartók arbeitet nicht selten mit schroffen, aber im Gegensatz zu stapelweise Neutönern kaum jemals beliebig wirkenden Kontrasten und löst sich auch gern von tradierten Harmonievorstellungen, ohne die akkordische Schrägheit aber zum Selbstzweck zu erheben. Trotzdem war das seinerzeit noch viel zu neu für viele Hörer, und auch die DDR-Kulturpolitik beispielsweise tat sich etliche Zeit arg schwer mit dem Werk des Ungarn, das erst durch die beharrliche Arbeit einiger Dirigenten wie Herbert Kegel zum selbstverständlichen Bestandteil des Konzertrepertoires wurde. An der Stelle im ersten Satz, als ein cineastisch-elegischer Teil durch einen instrumentalen "Aufschrei" rüde abgeschlossen wird, dürfte sicher mancher seinerzeitige Kulturfunktionär vor Schreck vom Stuhl gefallen sein. Heute sind die Hörgewohnheiten freilich ganz andere, aber der Coolnessfaktor mancher Dialoge zwischen Holzbläsern und Solovioline hätte auch schon damals erkannt werden können. Die Wechsel zwischen intimem und raumgreifendem Charakter bekommen Orchester und Solistin jedenfalls gut hin, man beweist mal eben so nebenher, daß eine Harfe sogar als eine Art Basso continuo zu gebrauchen ist, und der Rezensent überlegt immer noch verzweifelt, wo er die Struktur der Solokadenz mit dem jeweiligen kurzen Violinaufkreischen als Gliederungselement schon mal gehört hat. Der erste Satz endet im Mahlerschen Gusto, das Andante tranquillo an zweiter Stelle fährt im Direktvergleich allerdings wieder zwei bis drei Gänge herunter und glänzt besonders im Mittelteil mit schön ausgefeilter, phasenweise schon fast minimalistisch zu nennender, aber trotzdem oder gerade deshalb mitunter immens spannender Bauweise (auch hier darf der Schluß als Exempel hergenommen werden). Das Kontrastprogramm gibt's dann wieder im dritten Satz: Powerschläge leiten ihn ein, und das Orchester erzeugt Energie - nicht im argumentativen Widerspruch überzeugt allerdings die coole Percussion im nächsten Pianopart noch stärker, wenngleich generell nicht alle Einsätze so ganz paßgenau sitzen. Die Solovioline schneidet im zentralen Powerpart in bisweilen direkt ausgefochtenen Duellen mit den schön fiesen Blechbläsern gar nicht so schlecht ab - einige um den Rezensenten herum sitzende Menschen meinen, daß sie generell etwas zu leise respektive das Orchester zu laut gewesen wäre, wobei sich der Rezensent dem nicht so ganz anschließen kann, da er glaubt, jederzeit genug Solovioline im Ohr gehabt zu haben. Einige teils arg unerwartete Dynamikwechsel leiten zu einer markanten Schlußpassage über, die zumindest einen gewissen Triumphcharakter beinhaltet, wobei der Grundcharakter des Werkes eher im positiven Bereich liegt. Die Solistin erntet vereinzelte Bravi, läßt sich aber nicht zu einer Zugabe überreden.
Nach der Pause liegt die 1. Sinfonie von Johannes Brahms auf den Pulten des geringfügig verkleinerten Orchesters. Nun hatte das Chicago Youth Symphony Orchestra ein halbes Jahr zuvor im Gewandhaus das Kunststück fertiggebracht, gewisse Teile fast noch teutonischer zu interpretieren als ein waschechtes teutonisches Orchester der Vergangenheit - an diesem Abend nun gibt's beinahe das andere Extrem zu hören, nämlich eine fast gänzlich ohne teutonische Attitüde auskommende Darbietung. Dafür sorgt vor allem das gut aufgelegte Holz in den ersten beiden Sätzen, das die Schläge des Schicksals an die Pforte des ersten Satzes schnell neutralisiert. Daß die Marschpassagen ausgesprochen markant geraten, soll nicht als Antithese zur unteutonischen Attitüde gewertet werden - marschiert wird in anderen Ländern schließlich auch und eben nicht selten mit etwas mehr Eleganz als in Teutonien. Zwar leistet sich das Orchester auch hier in den ersten Sätzen den einen oder anderen unsauberen Einsatz (ohne auffällige Häufungen, sondern quer durch alle Instrumentengruppen), aber die hat man den jungen Musikern spätestens nach der mit phantastischer Klarheit gespielten Soloviolinenpassage am Ende des zweiten Satzes verziehen, welche den absoluten Höhepunkt dieser Aufführung markieren soll. Das unauffällige Adagietto an dritter Stelle vergißt man da schnell wieder, allerdings gelingt auch das den vierten Satz einleitende Adagio nicht so ganz - die Zupfparts wirken einen Tick zu überhastet, auch der Finsternisfaktor hätte noch schwärzer ausfallen können. Aber die nächste Steigerung läßt nicht lange auf sich warten, und obwohl dem Blechchoral das letzte Quentchen Intensität bis zur Gänsehaut fehlt, so überzeugt der komplette chorale Passus unterm Strich doch. Das abschließende Allegro stimmt dynamikseitig mit seiner Lebendigkeit, und auch der Finalstrahlfaktor ist hoch genug, um dem Orchester trotz hier und da nicht zu verkennenden Arbeitsbedarfs eine gutklassige Leistung zu bescheinigen, die vom Publikum auch entsprechend beklatscht wird.



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