www.Crossover-agm.de
Heimkehr aus der Fremde   11.09.2007   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

Ein großer Dramatiker war Felix Mendelssohn Bartholdy bekanntlich nicht, und wenn man sich an Bühnenmusik von ihm erinnern soll, fällt einem spontan zwar der "Sommernachtstraum" ein (und die anderweitig am dramatischen Fach kratzenden großen Oratorien), aber danach herrscht meist erstmal allgemeines Schweigen. Längst aus dem Repertoire der gängigen Spielstätten verschwunden bzw. niemals in diesem gewesen ist auch das Liederspiel "Heimkehr aus der Fremde" op. 89, das im Rahmen der Mendelssohn-Festtage 2007 von den Fachrichtungen Dirigieren/Korrepetition und Gesang der Leipziger Musikhochschule mal wieder ausgegraben worden ist. Nach Durchhören bzw. Anschauen der reichlichen Stunde weiß man auch, warum dieses Stück kein Dauerbrenner geworden ist: Es handelt sich ganz einfach um nette Unterhaltung, nicht mehr, wenngleich immerhin auch nicht weniger - immerhin hatte Mendelssohn das Stück als Überraschungsgabe zur Silberhochzeit seiner Eltern geschrieben, und für so einen Anlaß fabrizierte man auch schon im zweiten Quartal des 19. Jahrhunderts logischerweise keine Kriegssinfonien, und die Zeiten, da man in solchen Situationen ein alttestamentarisches Motiv wählte und die zu Ehrenden da irgendwie mit einbaute, waren damals auch schon vorbei. Die Uraufführung des Stückes fand im Gartensaal der Mendelssohns statt, diverse Familienmitglieder übernahmen das Gros der Sangessolistenrollen, über das Volumen der instrumentalen Untermalung schweigt sich das Programmheft aber aus - und genau an dieser Stelle liegt der von der Hochschulaufführung erlegte Hase im Pfeffer. Als instrumentaler Unterbau fungiert nämlich das Westsächsische Symphonieorchester, und obwohl schon dieses nicht in voller Besetzung angerückt zu sein scheint, so agiert es unter Volker Kraffts Dirigat doch immer noch kräftig genug, um weite Teile der Gesangspartien mit einem großen Teppich zu überdecken, unter dem akustisch hervorzuschauen schwierig bis manchmal unmöglich ist. Das ist schade, denn die Sänger sind nicht die schlechtesten, wenngleich auch keiner wirklich zu glänzen weiß (ob es einer geschafft hätte, wenn die Volumengewichtung für ihn günstiger gewesen wäre, bleibt im spekulativen Bereich) und man sich während des ganzen Einakters irgendwie eines gewissen Gefühls der Hölzernheit nicht erwehren kann - und das, obwohl Claudia Forner die zwischen den einzelnen Gesangspassagen plazierten Dialoge überarbeitet und in ein situationsgemäß zeitgenössisches Deutsch überführt hat. Die Situation selbst hätte auch ein Sujet für Peter Steiners Theaterstadl abgegeben, aber der existierte damals eben auch noch nicht, und wie erwähnt war es auch nicht das Anliegen von Karl Klingemann (der den Text geschrieben hat), in dem Stück irgendwelche philosophischen Hintergründe unterzubringen, wenn man von der allgegenwärtigen Parallele zur Odysseus-Sage absieht. So läßt sich die Handlung in einem Satz umschreiben: Ein nach sechs Jahren heimkehrender Fremdenlegionär räumt bei der Feier zum 50jährigen Bürgermeisterjubiläum seines Vaters den windigen Konkurrenten in puncto Gunst seiner Jugendliebe beiseite. Den windigen Konkurrenten spielt Felix Plock - eine ihm spielausdruckstechnisch wie auf den Leib geschneiderte Rolle, wenn man sich an seinen Zauberflötenpapageno von 2005 erinnert; allerdings offenbart er an diesem Abend deutliche Schwächen am unteren Rand des abverlangten Stimmspektrums, klingt dort unbeholfen, wohingegen die Höhenlagen eher überzeugen (köstlich: die Überzeichnung des klassischen Nachtwächtermotivs!). Auch der Fremdenlegionär ist in Hochschulproduktionen ein alter Bekannter, nämlich Tobias Hunger, dessen Stärken an diesem Abend besonders in den fast lyrischen Höhenlagen verortet werden können, obwohl auch die aggressiven Passagen im Duell mit dem Nebenbuhler nicht zu verachten sind. Von den Damen überzeugt Absolventin Tina Pulst als Bürgermeistersgattin mit einem warmen, gedeckten Mezzosopran und im Rahmen der akustischen Verhältnisse hervorragender Textverständlichkeit, während Lortzingpreisträgerin Julia Sophie Wagner als Jugendliebe ihren Sopranpart sehr linienhaft gestaltet, so daß man ihre Texte gar nicht mehr versteht (ein Libretto gibt es im Programmheft nicht), und sich nach Anfangsschwierigkeiten noch auf ein brauchbares Niveau hocharbeitet, ohne richtig zu überzeugen oder gar zu berühren. Bleibt Björn Grandt als Bürgermeister, und den kann man sängerisch nun gar nicht bewerten, da er fast nichts zu singen hat - dahinter steckt die witzige Story, daß bei der Uraufführung Mendelssohns Schwager Wilhelm Hensel diese Rolle spielte, und der konnte absolut nicht singen, weshalb ihm Mendelssohn seinen Part im Terzett "Ihr wollt uns hier mit List verwirren" als Sprechgesang auf ein und denselben Ton schrieb und, wenn er das Ganze noch im vierfachen Tempo angelegt hätte, sich die Erfindung des Rap hätte gutschreiben lassen können, 150 Jahre bevor solche "Tonfolgen" durch amerikanische Großstädte zu hallen begannen. Als Gäste kommen in den beiden Schlußszenen übrigens auch noch einige Mitglieder des Thomanerchores auf die Bühne, welche das zur Bürgermeisterjubiläumsfeier versammelte Volk darstellen und die dramaturgische Schwäche vergessen machen, daß auf die "Nachtmusik", ein sehr schönes episches Stück, gemixt aus cineastischen und choralartigen Elementen (wobei festzuhalten ist, daß Mendelssohn hier schon wieder seiner Zeit voraus war, denn an Kino war 1829 auch noch nicht zu denken), vor der Feierszene erst noch das Lied "Die Blumenglocken mit hellem Schein" folgt, das weder handlungs- noch stimmungsseitig irgendwelche konstruktiven Beiträge leistet und nicht mal im dramatischen Sinne als retardierendes Element zu gebrauchen ist. Damit sind wir argumentativ wieder am Anfang angekommen, der halbvolle Große Saal der Hochschule applaudiert freundlich, man geht nach Hause und bedauert zwar nicht, daß man da war, nimmt aber auch nichts mit.



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver