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Die Zauberflöte   21.01.2005   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

Angst vor großen Namen haben die Ideentüftler an der Leipziger Musikhochschule bekanntlich nicht, und so wagten sie mit der konzertanten Aufführung von Mozarts Spätwerk "Die Zauberflöte" erneut ein Experiment, das sich in der dargebotenen Weise strukturell als Volltreffer erwies. Die Handlungsvoranbringung, in der konzertanten Darbietung ja ein Kardinalsproblem, wird nämlich nach dem Streichen fast aller Sprecherpassagen durch Videoeinspielungen realisiert, in denen die Sängerinnen und Sänger selbst die Geschichte erzählen, aber auch tiefergehende Deutungen abgeben, die sich nicht selten zu persönlichen Statements auswachsen. Und das macht diese Methode sehr wertvoll, denn der Zuhörer bekommt dadurch ein viel besseres und vor allem intensiveres Bild der Darbietung, er bemerkt, daß da Menschen auf der Bühne stehen, die nicht nur singen, weil sie es eben gerade wollen oder müssen, sondern die sich Gedanken über die Sache machen (das sollte zwar eigentlich selbstverständlich sein, aber daß es ebendies nicht ist, sollte jeder halbwegs regelmäßige Konzertgänger aus seiner Praxis kennen), sich (da sie in inhaltlich zusammengehörigen Grüppchen erzählen, also beispielsweise die beiden Paminas der zwei Aufführungen sowie der eine Tamino, der beide Aufführungen singt, zusammen) durchaus auch mal untereinander uneins sind und von denen der eine oder andere auch die Gelegenheit für lockere (aber passende) Sprüche nutzt, welche das Publikum zu Lachstürmen hinreißen. Die beiden Papagenos und die beiden Papagenas, die ihr Liebesduett schon mal vorab in gesprochener Form zu rezitieren versuchen, ernten für diese oberkultige Videopassage sogar Szenenapplaus.
Aber das alles wäre natürlich irrelevant, wenn die musikalische Umsetzung nicht stimmen würde. Was haben die drei Stunden, die rein netto rauskommen, also zu bieten? Zunächst wieder eine Ouvertüre, die den Ohren des Rezensenten etwas zu verhalten vorkommt (eine Parallele zum "Freischütz" letztes Jahr), die sich aber volumenseitig ebenfalls zu steigern weiß, bis das Orchester auf Betriebstemperatur ist und von da ab an der Obergrenze dessen agiert, was noch sinnvoll ist, um die Solisten nicht von vornherein alle ins akustische Jammertal zu stürzen (letztgenannter Effekt bleibt dem Chor vorbehalten, diesmal im Gegensatz zum "Freischütz" aber inhaltlich geplant). Helmut Kukuk am Pult leitet souverän und steuert selbst das Glockenspiel bei (welchselbiges bekanntlich das andere der beiden Zauberinstrumente neben der titelgebenden Flöte ist, welche Tamino und Papageno auf der Suche nach Pamina, Papagena - wieso hat Librettist Emanuel Schikaneder die eigentlich nicht zur Tapagena gemacht? Weil die Namensverquickung seitens des/der Untergebenen unstandesgemäß gewesen wäre? - und den höheren Sphären der menschlichen Vernunft behüten sollen und das paradoxerweise auch tun, obwohl es Instrumente der Königin der Nacht sind, deren Bild sich im Verlaufe der Geschichte von der besorgten Mutter zur hinterlistigen Diktatorin wandelt), und daß die titelgebende Flöte in der Musik selbst gar nicht so häufig vorkommt, schmälert den Wert und die eskapistische Umsetzung ihrer Passagen keineswegs (der seltene Einsatz macht auch handlungsseitig Sinn, denn schließlich sollen Tamino und Pamina lernen, daß sie auch mal selber was bewerkstelligen können müssen, ein durchaus freimaurerisches Element, von dem es noch etliche andere in der Oper gibt).
Und die Sangesriege? Keiner unterschreitet ein hohes Niveau, das vorweg. Als schwächstes Glied in der Kette erweist sich allerdings ausgerechnet Birger Radde als Tamino. Der macht seine Sache prinzipiell sehr gut - wenn man ihn denn hört. Ihm fehlt an diesem Abend die Durchschlagskraft in der Stimme, die unbändige Energie, die man einer solch zentralen Rolle eigentlich zugedenken müßte, selbst wenn Tamino selbst gar nicht durchgängig als strahlender Held daherkommt (sonst hätte er schon in der Auftaktszene die Schlange eigenhändig erlegt, anstatt sich ausgerechnet von drei Damen helfen lassen zu müssen). Ich habe diesmal im (ausverkauften!) Saal so weit unten gesessen wie noch nie, in Reihe 7, also unterhalb der Kopfhöhe der auf der Bühne stehenden Sänger - vielleicht ist seine Stimme weiter oben besser zu hören gewesen, ich weiß es nicht. Christoph Hülsmann als Sarastro singt gleichfalls gut, läßt aber das Stimmvolumen in den ultratiefen Passagen noch etwas vermissen. Yoo-Ra Lee-Hoff als Königin der Nacht hat pro Aufzug eine Schlüsselstelle zu bestreiten, für die ihr Mozart fiese Höhen irgendwo kurz vorm Ultraschall beschert hat - im ersten Aufzug klingt sie noch gequält, meistert die klassische gackernde Stelle im zweiten Aufzug aber souverän. Durch exakt abgestimmte Präzisionsarbeit fallen die drei Damen (cineastischer veranlagte Redakteure hätten sie vermutlich mit den Hexen von Eastwick gleichgesetzt) aka Ulrike Barz, Tina Pulst und Inga Lampert positiv auf, was sich sowohl auf den Gesang (die bisweilen äußerst hektischen Unisoni sind keine leichte Übung!) als auch auf ein kleines Detail wie die modische Gestaltung bezieht (Ulrike komplett in Schwarz, Tina mit schwarzer Hose und rotem Oberteil, Inga komplett in Rot - hätte Tina den Frevel begangen, ihre hübschen blonden Haare noch rot-schwarz einzufärben, wäre diesbezüglich eine reziproke Farbentwicklung zu konstatieren gewesen). Für den größten Emotionsfaktor sorgt Pamina aka Viktorija Kaminskaite in ihrer suizidalen Phase - man kann das leidende Element förmlich physisch greifen, so fragil und tieftraurig bringt sie es herüber. Und dann gibt es ja in manchen Inszenierungen einen, der schon durch seine bloße Präsenz begeistert. So einer ist diesmal auch dabei, und zwar Felix Plock als Papageno. Der reiht sich sangestechnisch in die gutklassige Riege ein, wirkt aber hauptsächlich durch seine komischen Einwürfe, die sich in manchmal nur winzigen schauspielerischen Gesten (welche man beispielsweise bei Tamino vergeblich sucht) äußern, die natürliche Steifheit einer konzertanten Oper auflockern helfend (offenbar verstellt er sich dabei nicht mal, wie seine Beiträge in den Videomitschnitten zeigen - er ist, wie er ist), und daß er optisch irgendwie ein bißchen an Heinz Erhardt erinnert, ist diesem Auftreten keineswegs hinderlich, im Gegenteil. Den dritten Platz des Applausometers hat er sich auf jeden Fall redlich verdient - lauter beklatscht werden nur noch Pamina und paradoxerweise Tamino (der muß also an anderen Stellen des Großen Saals doch besser zu hören gewesen sein). In den Schlußapplaus mischt die Regie noch ein Making Of der Videomitschnitte ein, das die besten Versprecher und sonstige Kuriositäten vom Dreh zeigt - der letzte Beweis für einen musikalisch ernsthaften, aber menschlich lockeren Umgang mit dem Sujet "Klassische Musik", der dennoch nicht in platte Komik ausartet und eine sehr gelungene Aufführung abrundet.



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