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Nile, Yyrkoon, Psycroptic, Purgatory   22.04.2006   Halle, Rockstation
von ta

Man glaubt es kaum: Als die Hobbyägyptologenabordnung Nile das letzte Mal in Sachsen/Sachsen-Anhalt aufschlug, war es Winter, das Begleitprogramm war mit u.a. Behemoth hochkarätig besetzt und der Club - das Leipziger Hellraiser - gut gefüllt. Am 22.04. ist das Wetter mild, das Begleitprogramm mehr oder weniger unbekannt und die Hallenser Rockstation, die nicht halb so groß wie das Hellraiser ausfällt, ist mit vielleicht 90-100 Leuten beim Headliner nicht einmal ansatzweise als gefüllt zu bezeichnen. Und das an einem Samstag und bei einem Vorverkaufspreis von zwölf Euro. Schämt euch, Leute.
Als ich kurz vor 21.00 Uhr meine Karte löse, spielen Purgatory überraschenderweise und entgegen der üblichen Vorankündigung bereits seit ein paar Minuten. Und obwohl mir die Band auf Platte bisher eher dröge und vom Gesamtkonzept her zu stumpf daherkommt bzw. Sänger Dreier schlimmerweise wie der Zwillingsbruder von Mystic Circle-Peinlichkeit Beelzebub aussieht, sind Purgatory heute richtig klasse. Natürlich klingen die Songs mit ein paar Ausnahmen alle gleich: Die Gitarren schreddern Old School-Death Metal, Drummer Lutz kennt ziemlich genau zwei Beats, den Ufta-Thrash-Beat und den Blastbeat, darüber grunzbrüllt stumpf Dreier; aber wo käme das besser rüber als heute und hier? Bei konstant hohem Tempo spielt die Band tight wie eine Eins. Ein weiterer Pluspunkt ist Lutz. Sieht schon verdammt lustig bzw. obskur aus, wenn der Mann bei seinen Blasts auf dem Drumhocker reitet wie auf einem Gymnastikball. Besonders, wenn man weiter hinten steht und nur noch das Basekap auf- und wieder abtauchen sieht. Ebenfalls super: Die Band bangt bis kurz vor dem Abfallen der Rüben, alle fiesen Fressen werden im Akkord böse verzogen und ab und an gibt's sogar einen Midtempopart, der von den wie in Leichenstarre verkrampften Nackenwirbeln dankbar aufgenommen wird. Spiel, Satz, Sieg. Ein Auftakt, wie er für diese Veranstaltung nicht besser passen könnte.
Und doch: Psycroptic sind tatsächlich noch besser. Das Quartett aus Tasmanien kennt zwar kein Mensch hier, aber die Kinnladen rauschen während des halbstündigen Auftritts der Band im Akkord auf den Boden. Zwar geht der Dreschfaktor im Gegensatz zur Vorband merklich zurück, dafür steigt die Komplexität gleich um ein Vielfaches. Das ist technischer Death Metal, wie er im Buche steht! Fünfhundert Rhythmus- und Tempowechsel pro Song, Riffing, das mal melodiös-beschwingt, mal grindig-stumpf, mal verschroben-verjazzt ausfällt, dazu der abwechslungsreiche Gesang von Jason Peppiat, der alle Facetten zwischen Rabengekrächze und kellertiefem Brechgrunzen abdeckt. Der Oberknaller ist Schlagzeuger David Haley. Der Mann ist ein Meister seines Fachs, hat Ideen, Stil, Technik, Vielfalt, einfach alles, holzt wieselflinke Blastbeats, knattert eine beeindruckende Doublebass, nur um gleich hernach mit zierlichen Beckenspielereien und Meshuggah-Polyrhythmik zu überraschen. Meine Güte, ist das geil! Kaum nötig zu erwähnen, dass Band und Teile des Publikums sich gleichermaßen in einen Rausch bangen, was angesichts des undurchschaubaren Materials einem echten Hindernislauf gleichkommt.
Anschließend gibt es mit den Franzosen Yyrkoon noch einen letzten expositorischen Part im Konzertgeschehen. Yyrkoon sind die Death Metal-Band, die es jedem recht macht: Sowohl die eingängige Melodiösität des Schwedentods - besonders wenn sie nach Arch und Enemy klingt - als auch Bleischrot Marke Florida werden übernommen, dazu gesellen sich gelegentliche Technikkinkerlitzchen und einige Riffs, wie sie auch von Morbid Angel stammen könnten - und fertig ist nicht das Mondgesicht, sondern ein unterhaltsames Multideathgebräu. Klingt wild in der Beschreibung, ist aber tatsächlich homogen, dabei enorm abwechslungsreich und irgendwie auch noch recht eigenständig, wie bei französischen Metalbands meistens der Fall. Freude am Gig, Tightness im Zusammenspiel und brutales Geröchel ins Mikro sorgen für immer bessere Stimmung im Auditorium und mehr ist auch schon nicht zu sagen. Guter Gig.
Am Ende ist's natürlich alles nur Vorgeplänkel, wenn auch auf hohem Niveau. Damit zu Filetstückchen des Abends. Betonen wir abermals einen Schlagzeuger, weil's an diesem Abend halt passt. George Kollias, etatmäßiger Kesselrührer bei Nile, entwickelt sich immer mehr zu einer Institution im Bereich des versierten Death Metal-Drummings. Nicht nur, dass der Mann mit www.georgekollias.com seine eigene Homepage betreut, auf der Lehrvideos jedem angehenden Schlagzeuger die Haare grau werden lassen - Kollias lässt es sich auch nicht entgehen, der einen oder anderen Stadt seine Fähigkeiten und Tipps in Workshopform darzubieten. So geschehen am 22.04.06, als der schlaksige Grieche in Leipzig Interessierten seine Aufwartung machte. Und auch am Abend desselben Tages lässt Kollias überhaupt keine Zweifel daran aufkommen, wer hier der Chef hinter den Kesseln ist. Da müssen alle drei Vorbands über ein kleines Drumset spielen, das vor dem Kolliasschen und damit gefährlich nahe am Bühnenrand postiert ist. Da wird in der Umbaupause mit Fußwirbeln gepost, bis wirklich jeder gemerkt hat, dass er selbst das niemals könnte - und was hernach beim Gig von Nile zu hören ist, grenzt natürlich einmal mehr an Wahnwitz. Was für eine Affengeschwindigkeit! Was für eine Technik! Und der Mann bangt dabei wie ein Tier, genießt jede Note, kostet jedes unmenschliche Break aus. In Songs wie dem vierfachem Eröffnungsgemetzel um "The Blessed Death" und "Execration Text" (von "In Their Darkened Shrines") sowie "Cast Down The Heretic" und "Sacrifice Unto Sebec" (von "Annihilation Of The Wicked") allein den Drums zu lauschen, fesselt mehr, als sich bei anderen Bands ganze Alben mit zwanzig verschiedenen Instrumenten einzufahren. Und das ist nur ein Viertel des Nile-Kosmos. Was Jon Vesano auf seinem Bass macht, ist Geflitze übelster Sorte, Griffbrettputzen ohne Lappen. Und Vesano hat dabei einen Propeller drauf, der ihn beinahe abheben lässt. So eine mörderische Rhythmusabteilung kickt das (ebenfalls recht versierte) Cannibal Corpse-Duo Webster/Mazurkiewicz locker an die Wand. Und dann wäre da noch das kongeniale Gitarrendoppel um den immer mehr in die Breite gehenden Tapsbär Karl Sanders und Glatzkranz Dallas Toller-Wade. Egal ob oberdeftiges Gesäge, epische Melodiebögen oder fieseste Licks, alles wird mit traumwandlerischer Sicherheit, maschinenhafter Präzision dem wild bangenden Publikum um die Ohren gefeuert. Beim hypervertrackten "Kheftiu Asar Butchiu" und dem völlig geilen "Wind Of Horus" bereitet der Blick aufs Griffbrett beinahe Schwindelanfälle. Doch wie der Kenner weiß, besteht der Dreh bei Nile darin, dass die Songs nicht einfach technischer Aberwitz, sondern gute Musik, hochintensiv und zutiefst komplex, megaheftig und sehr episch, packend in jeder Faser des Körpers sind. Was überrascht, ist, dass live besonders die zähflüssigen, doomigen Tracks (Midtempo kennt die Band bekanntermaßen nicht) die Kraft einer Dampfwalze entfalten. "Sarcophagus" kennt man ja bereits von älteren Livegigs, aber das ist noch gar nichts gegen das neue "User-Maat-Re", welches heute dermaßen brutal ist, dass man glaubt, von Totenwächter Anubis höchstselbst eine gewatscht zu bekommen. Auch das auf dem Album ziemlich freakige "Lashed To The Slave Stick" gewinnt live ungeahnte Qualitäten - wo kann Gewalt schon sonst noch so eine positive Eigenschaft sein wie im Death Metal? Mit irgendeinem "Among The Catacombs ..."-Stück (habe vergessen, welches genau) und - natürlich - "Black Seeds Of Vengeance" gibt es ganze zwei Tracks aus der Zeit vor 2002 zu hören, der Rest der Setlist speist sich aus den genannten, durch die Bank hochklassigen Tracks der letzten zwei Alben. Das Einzige, was am Ende fehlt, ist eine, auch nur eine einzige Zugabe. Nach "Von unaussprechlichen Kulten" zumindest ist Schluss und Band und Roadies beginnen unter perkussiven Outroklängen und dem Raunen des Publikums abzubauen. Vielleicht hat hier die spärliche Meute etwas abschreckend gewirkt. Oder der unangenehme Klärgrubengeruch um die Rockstation herum. Oder was auch immer. Aber wie dem auch sei, spätestens nach diesem überragenden Auftritt zeigt sich glasklar: Nile gehören im Bereich des ganz extremen Metal zur Speerspitze, auf den Olymp - oder meinetwegen ins ägyptische Pendant dazu.



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