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Stern-Combo Meißen   29.07.2005   Altenburg, Agnesgarten
von rls

Wie es die schweren Gewitter an diesem Abend schafften, um das Zentrum Altenburgs einen konsequenten Bogen zu schlagen, bleibt ihr Geheimnis. Die Schloßkirche nach dem Gig Anam Coras verlassen habend, wartete im Agnesgarten, einem Teil des Altenburger Schloßhofs, schon ein Open Air-Gig, der durchaus in der Gefahr stand, einfach weggeweht bzw. -gespült zu werden. Bis auf einige wenige Tropfen blieb es letztlich aber bis zum Gigende trocken, und auch die Windstärke genügte nicht, um von den Bäumen im Agnesgarten irgendwelche größeren gesundheitsgefährdenden Teile zum Abbrechen zu bringen. Der Rezensent suchte sich ein gemütliches Plätzchen an der den Agnesgarten oberhalb begrenzenden Zinnenmauer, von wo aus man von links oben gut in die Bühne hineinsehen konnte, und nach einigen Minuten betrat die Stern-Combo Meißen die Bühne. Die machte im Verlaufe des weit über zweistündigen Gigs deutlich, daß sie trotz des Gründungsdatums 1964 (!) noch lange nicht zum alten Eisen zählt, wenngleich die ältesten Bandmitglieder die 60er-Grenze schon hinter sich gelassen haben. Und die Combo stellte noch mit einigen anderen Faktoren ihre Einzigartigkeit unter Beweis. Die Erkenntnis, daß man für Rockmusik eigentlich nicht unbedingt Gitarren braucht, haben bisher nur wenige Bands gewonnen - die Stern-Combo Meißen besaß in den 60er und 80er Jahren zwar auch Gitarristen (zu denen im letztgenannten Jahrzehnt Uwe Haßbecker zählte, der später zu Silly wechseln sollte), kam aber weite Teile der 70er ohne solche aus und hat auch heute keinen Gitarristen im Line-up. Dafür fuhr die Band zwei Keyboarder auf und besitzt ein weiteres Alleinstellungsmerkmal: Bands mit einem singenden Drummer sind ja relativ rar (außer den Hard-Ons, Exciter und Triumph fallen einem spontan kaum Beispiele ein), aber eine Band mit gleich drei (!!!) singenden Drummern dürfte ein absolutes Unikum darstellen. Auf der linken Seite hatte sich Gründungsmitglied Norbert Jäger mit seinen Percussions und Effektgeräten niedergelassen, auf der rechten Seite stand das reguläre Drumkit, hinter dem sich "Hauptdrummer" Michael Behm austobte und bei einigen Songs Platz für Ur-Drummer Martin Schreier machte - alle drei übernahmen zeitweise Leadvocals, teilweise hinter ihren Geräten sitzend, teilweise auch ins Bühnenzentrum wechselnd. Selbige Vocals riefen allerdings an manchen Stellen ein Fragezeichen hervor, kam es hier doch bisweilen zu einer Art merkwürdiger Gesangsausblendung am Songende. Sollte da etwas nicht ganz so echt gewesen sein? Tststs ... Michael Behm vollführte dafür ein zirkusreifes Kunststück hinter dem Kit: Er bediente eines der Becken mit seinem linken Fuß - allerdings nicht auf dem üblichen Weg über eine Fußmaschine, sondern indem er im Sitzen direkt gegen das Becken trat. Bassist Alexander Procop spielte einen soliden Gig und war für die meiste Bewegung auf der Bühne verantwortlich, während sich die Keyboarder Frank Nicolovius und Eghard Schumann beflissen duellierten und sich die Themen nur so um die Ohren warfen. Die Stern-Combo Meißen hatte in den 70ern Aufsehen mit diversen progrockigen Großtaten erregt, welchselbige auch den größten Teil des Sets stellten; man unterschlug allerdings auch die eher poplastige 80er-Phase (in denen Ralf Schmidt aka IC Falkenberg am Mikro gestanden hatte) nicht vollständig und bastelte zudem diverse klassische Adaptionen von Mussorgski ("Bilder einer Ausstellung" in Gestalt der "Promenade" nur als rein klassisches eingespieltes Intro - umgerockt dagegen wurde "Night On A Bare Mountain") und Vivaldi (der "Frühling" aus den "Vier Jahreszeiten", natürlich) ein. Ob es sich um einen ausschließlich retrospektiven Set handelte oder ob auch Material neueren Datums eingeflossen war, kann der Rezensent mit seiner nur ausschnittweisen Kenntnis des Bandschaffens nicht eindeutig bekunden. Interessante nicht ganz historische Zutat war allerdings die Addition des Dresdner Kammerorchesters für den zweiten Teil des Sets (dessen Mitglieder dürften zur Zeit der Bandgründung vermutlich ausnahmslos noch gar nicht geboren gewesen sein). Wer jetzt allerdings grandiose Klassik-Rock-Paarungen erwartete, der wurde enttäuscht, denn an der stringenten Einbindung der Klassikmusiker muß definitiv noch gefeilt werden. Erstens konnten sich die Klassiker akustisch kaum gegen die Band durchsetzen (dies gelang lediglich der Holzbläserfraktion in einigen solistischen Passagen, während der Streicherteppich eher dünn blieb), und zweitens macht die Begriffswahl in der Klammer schon das konzeptionelle Hauptdilemma deutlich: Die einzigen, die ab und zu tragende thematische Arbeit verrichten durften und damit ihren Einsatz rechtfertigten, waren die Holzbläser, während die Streicher fast ausschließlich Continuoarbeit verrichteten, auf die man zumindest unter den an diesem Abend herrschenden akustischen Verhältnissen (der Sound war bis auf einige Probleme bei den Vocals recht sauber, allerdings für Open Air-Verhältnisse definitiv zu leise - ganz komisch war's bei der Pausenmusik, die man in 25 Metern Entfernung von den Boxen nur noch fragmentarisch wahrnehmen konnte) getrost hätte verzichten können. Das machte allerdings das Opus Grande "Weißes Gold", welches den zweiten Setteil dominierte und in voller Länge aufgeführt wurde (es hatte seinerzeit die komplette 1978er LP eingenommen), auch nicht schlechter - im Gegenteil: Dieses die Erfindung des Meißner Porzellans thematisierende Werk gehört zu den anspruchsvollsten Progrockkompositionen überhaupt, das von Rezitativpassagen und sanftem Streichelprog bis hin zu wildem Gefrickel das komplette Stilprogramm beinhaltet, mit erstaunlich wenig Gesang auskommt, diesen aber dramaturgisch geschickt einsetzt. Und hier hatte sich die Band für diesen Abend einen Gastsänger geholt: Werther Lohse von den Nachbarn Lift spielte die Rolle Johann Friedrich Böttgers in (trotz offenbar geringfügig angeschlagener Stimme) beeindruckender Manier - bekanntlich hatte er in den Siebzigern mal zwei Jahre bei der Stern-Combo gesungen und unter anderem eben die Studioversion von "Weißes Gold" veredelt. Zu Recht feierte das Altenburger Publikum (dessen ältere Semester 1969 in den mittlerweile abgerissenen "Teichterrassen" die erste Chance gehabt hatten, die Band live zu erleben) diesen Song besonders frenetisch ab, zeigte sich aber auch sonst in guter Stimmung, wozu weite Teile des Gigs durchaus auch Anlaß boten, wenngleich zum ganz großen Feuerwerk das eine oder andere Prozent fehlte. Feuerwerk gab's dafür anschließend in realer Form einer Lasershow (die allerdings bald witterungsbedingt abgebrochen werden mußte), während sich der Rezensent auf den Heimweg machte und auch dabei das volle Programm andersartigen "Feuerwerks" erlebte (Hagel, sturmbedingt umgestürzte Bäume etc.).



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