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The Toy Dolls, Tomy Lobo   05.04.2005   Leipzig, Werk II
von rls

Hat man schon jemals von pünktlich beginnenden Punkkonzerten gehört? Kaum. Trotzdem ist der Rezensent sicherheitshalber kurz vor der verbrieften Anstoßzeit von 20 Uhr da und findet sich in einer noch relativ leeren Halle wieder - die meisten Besucher stehen noch grüppchenweise im Freigelände. Doch man höre und staune: Tatsächlich erklingt um kurz nach 20 Uhr ein Intro, und die Vorband Tomy Lobo betritt die Bühne. Selbige Introwahl überrascht - hätte auf so einem Gig irgendjemand mit "Eye Of The Tiger" von Survivor gerechnet? Und das ist noch nicht mal programmatisch für den Sound des Quintetts, denn die Truppe surft, rockt, rollt und hillybillyt sich durchs Material, dessen Charakter als Eigenkomposition oder Cover nur einigen Eingeweihteren erschließbar wird, zumal sich erstens der Sänger in einem gespielt-hölzernen Englisch durch die Ansagen hangelt und auch bei seinem Gesang unter einem undeutlichen Soundgewand leidet, zweitens aber auch die Gitarren akustisch relativ stark untergebuttert werden, so daß man die typische Melodie von "Pipeline" (aha, ein Cover) nur mit äußerster Mühe identifizieren kann. Optischer Mittelpunkt der Show ist neben dem Sänger (der sich wie eine Mixtur aus Roboter und Stehaufmännchen bewegt) erstaunlicherweise der im Rahmen seiner Möglichkeiten sehr agile Kontrabassist (stilecht mit gefönter Haartolle), während die Gitarristen irgendwie den Eindruck machen, als ob sie gar nicht dazugehören (man hört von ihnen wie erwähnt im wesentlichen nur die Unterbaugeräusche, die wenigen Leads dagegen sieht man den vom Publikum aus betrachtet rechts stehenden Sechssaiter, der witzigerweise Andy vom Liedermacherduo Andy & Frank etwas ähnelt, nur spielen, zu vernehmen ist allerdings kaum etwas) und der Drummer nicht nur im Juve-Style-Shirt aufläuft, sondern auch optisch an irgendeinen italienischen Fußballer, dessen Name mir gerade nicht einfällt, gemahnt und ansonsten einen trockenen und trotzdem abwechslungsreichen Beat unter das Ganze legt. Der Set endet mit einer Brachialversion des Traditionals "Good Night Ladies", das den stärksten Applaus des mittlerweile zu weiten Teilen in der Halle angekommenen, aber noch generell sehr reserviert agierenden Publikums erntet.
"Our Last Album?" heißt der aktuelle Tonträger der Toy Dolls, "Our Last Tour?" steht dementsprechend auf einer großen Holzkiste geschrieben, die auf der linken Seite der Bühne steht. Die rechte dagegen bewacht eine überlebensgroße Pappfigur von Yul Brynner - ob deren Zertrümmerung im Laufe des Sets (in welchem Song wohl? :-)) ein geplanter Showeffekt war oder ob es da im Publikum bei jemandem einfach im Kopf gerappelt hat, weiß ich nicht (angesichts des inhaltlichen Zusammenhangs ist zwar ersteres zu vermuten, aber die Situation blieb optisch undurchsichtig). Jedenfalls setzt das Intro der Toy Dolls-Show erneut einen classicrockigen Aspekt, denn es erklingt die erste Hälfte von "The Final Countdown" - natürlich nicht im Europe-Original, sondern in der Toy Dolls-Version vom neuen Album, also mit fast militärisch anmutendem Sprechgesang und einer auf dem Kamm nachgeblasenen Keyboardmelodie. Schräg, schaurig und schön - und so soll es weitergehen, wenngleich sich der schräge Aspekt der Lyrics natürlich in der Livesituation nur bedingt erschließt. Das macht aber nichts, denn der durchaus anspruchsvolle, mitunter gar progressiv anmutende Punkrock des Trios ist auch von der Musik her genug spaßfördernd, um eigentlich jedes Publikum in eine breit grinsende Masse zu verwandeln - nur dasjenige an diesem Abend nicht, denn irgendwie präsentiert es sich reichlich lethargisch, applaudiert nach den Songs zwar jeweils 7,53 Sekunden lang frenetisch, um danach aber wieder in völlige Stille zu verfallen. Und so richtig Bewegung herrscht in den vorderen Reihen auch nur phasenweise. Den Toy Dolls ist es egal, sie bedanken sich enthusiastisch, als ob das Publikum gerade das Wembleystadion niederreißen würde, und liefern spieltechnisch eine erstklassige Leistung ab. Speziell Sänger/Gitarrist Michael Algar, seit 25 Jahren kurz Olga genannt, entpuppt sich als für sein 43jähriges Alter im Vergleich mit anderen Punkmusikern dieses Alters noch erstaunlich fittes Energiebündel, aber Bassist Tommy (von der Haarpracht her eine interessante Kreuzung aus Sebastian Krumbiegel und einer Klobürste) steht ihm in puncto Bühnenaktivität nicht nach; immer wieder rochieren die beiden, sprinten kreuz und quer über die Bühne oder schwingen synchron die Saiteninstrumente (Olgas rotierende Gitarre dagegen geht fast als Zirkuskunststück durch), während Drummer Dave einen soliden Beat legt. Den Gesang teilen sich übrigens alle drei Musiker, wobei Olgas kieksigem, aber trotzdem oder gerade deshalb coolem Vortrag der Löwenanteil zukommt. Und wenn man sich anhört, was der Mann auf der Gitarre fabriziert, glaubt man nicht, daß er dieses Instrument eigentlich gar nicht mag und lieber Baß spielt - an ihm ist definitiv der Leadgitarrist einer neoklassischen Metalband verlorengegangen. Mehrmals streut er geschickt Bachsche oder auch Mozartsche Themen und Läufe ein - auf welchem Punkgig hört man so etwas? (Die ebenfalls im Set befindliche "Säbeltanz"-Version der Toy Dolls hat auch was; sie erinnert ein wenig an die sehr starke Skyclad-Interpretation von "Irrational Anthems".) Das anfängliche Outfit mit Oberhemd und einheitlich viel zu kurzem Schlips legen die Musiker schnell ab und rocken mit Hymnen wie "I Got Asthma" ordentlich die Halle. Den Zugabenteil eröffnet eine coole Version von "Oh When The Saints", intoniert von Olga, während Tommy ihn kopfüber auf die Bühne schleppt - das letzte Puzzleteil für eine gleichermaßen lustige wie anspruchsvolle Show, die einige Songs später (darunter selbstredend das unvermeidliche "Nellie The Elephant", so etwas wie das "Smoke On The Water" der Band, das dem Anhänger der Leningrad Cowboys auch unter "Sally Is Something Else" geläufig ist) mit der zweiten Hälfte der "The Final Countdown"-Konserve endet und beim anschließenden Blick auf die Uhr eine erstaunliche Kürze offenbart, die man in der Halle gar nicht so wahrgenommen hat. Schade wär's natürlich, wenn das Fragezeichen hinter Album- und Tourmotto bedeutungsverändernd wegfiele, denn derart eleganten witzigen Punkrock (ich vermeide bewußt den Terminus "Funpunk") spielt außer den Toy Dolls praktisch kaum sonst noch jemand. Aber im Falle des Falles bin ich doch froh, sie wenigstens einmal live gesehen zu haben.
Die generelle Setlist von The Toy Dolls für die Tour (in Original-Stichworten):
DIG GROOVE
DOUGY
BARRY
BLESS
VICAR
FISTI
WALTZ
LAMBRU
TOCCATA
ALEC
ENTERTAINER
YUL
WAKEY
MELLOW
RITA
IDLE
ASHBROOKE
SABRE
ASTHMA
MOZART
FIERY
WIPE OUT
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SAINTS
BACK 79
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NELLIE
GLENDA
FINOS/THEME



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