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Angra, Dragonforce   26.02.2005   Athen, Rodon Club
von CSB

6 Tage nach der triumphalen Fates Warning-Show hatte ich ein zweites Mal Gelegenheit die griechischen Metalfans in Aktion zu erleben. Angra und Dragonforce spielten auf in Athen, diesmal im abermals fantastischen Rodon Club, der zudem sehr zentral gelegen ist, so dass ich pünktlich in der geräumigen, dreistufigen Lokalität ankam. Diesmal waren allerdings weit weniger Hellenen zugegen, als noch in der Woche zuvor, was wohl mit dem gepfefferten Eintrittspreis zusammenhängen mag. 28 Ocken waren schon für die Hochkaräter Fates Warning viel, für eine Band wie Angra, die trotz allem definitiv noch nicht den Klassikerstatus der sympathischen Amis erreicht hat, ist dieser Preis definitiv überdimensioniert, zumal das Pro-Kopf-Einkommen der Griechen deutlich unter deutschem Durchschnitt liegt. Dennoch war der Klub mit 300-400 Fans ganz ordentlich gefüllt, die dann bei Dragonforce auch wieder erwartungsgemäß abgingen wie die Post.
Die Londoner sind ja so was wie die truemetallische Band der Stunde, und das sicher nicht unbedingt aufgrund der nicht gerade berauschenden Originalität ihres pfeilschnellen Melodicmetals irgendwo zwischen Malmsteen, Sonata Arctica und Iron Maiden, sondern vor allem wegen ihrer unglaublich energetischen Liveshow, mit der die Briten sich schnell einen Namen in der Szene machen konnten. Genau diese kriegen die ekstatischen Fans auch zu Hundertprozent geboten, jedenfalls habe ich selten eine Band sich derart den Arsch abspielen sehen wie Dragonforce an diesem Abend. Zu jedem Song setzen die Gitarristen mindestens einmal zum synchronen Sprung vom Drumpodest an, wechseln ununterbrochen ihre Positionen, drehen Pirouetten und spielen ihr Instrument auch mal mit der Zunge oder dasjenige ihres Partners. Der nicht weniger aktive Basser schiebt stilecht die Unterlippe vor und setzt unentwegt zum Sprint über die Bühne an, während der Meister an den Tasten wahrscheinlich am liebsten vor Energie die Wand hochklettern würde, wenn er nicht an sein Keyboard gefesselt wäre und Drummer Dave verdrischt seine Felle mit derartiger Wucht, dass man wahrhaft Sorgen um das gute Stück haben muss, das ja schließlich auch noch eine weitere Band überleben soll. Auch Sänger ZP Theart steht der Dynamik seiner Kollegen keineswegs nach und stachelt das Publikum immer wieder zu wahrhaften Höchstleistungen an. Schade nur, dass das Songmaterial wie angedeutet mit derartiger Bühnenkunst nicht ganz mithalten kann und zudem zu 90% aus relativ simpel gestrickten Doppelbassnummern besteht, was sich auf Dauer doch als ein wenig anstrengend und nervtötend herausstellt. Nach 45 Minuten haben dann auch die ausgepowerten Griechen in den ersten Reihen genug und verlangen nicht mal eine Zugabe, wohl um wenigstens noch ein paar letzte Reserven für den Hauptact zu behalten, der aber lange auf sich warten lässt.
Nach einer Ewigkeit von Umbaupause geht dann doch endlich das Licht aus und erste "Angra"-Rufe erschallen, dennoch sollen noch mindestens fünf Minuten Intro folgen, bevor sich die Brasilianer zu "Spread Your Fire" endlich blicken lassen. Leider ist der Sound wie im Übrigen schon bei Dragonforce nicht gerade das Gelbe vom Ei, sodass man den Opener der aktuellen Scheibe "Temple Of Shadows" und vor allem den fantastischen Satzgesang im Chorus nur erahnen kann. Den Griechen ist's einerlei, sie singen trotzdem (auf gut Glück?) munter mit. So richtige Stimmung will aber erst bei "Acid Rain" vom Vorgängerscheibchen "Rebirth" aufkommen, das für mich aufgrund seiner zahlreichen Orchestereinspielungen aber klar zu den Schwachpunkten des Sets zählt. Viel besser wird's bei dem folgenden uralten "Nothing To Say", bei welchem ich im Übrigen zum ersten Mal in einen Pogopit während eines Melodicmetalkonzerts gerate ... Ins Grenzenlose steigert sich dann auch meine Begeisterung, als die Brasilianer die Segel für "Carolina IV" setzen. Eingeleitet mit allerhand Percussionelementen, die von allen Bandmitgliedern gespielt werden, gipfelt der 10minütige Song schließlich in einem fantastischen, mehrstimmigen Chorus, den wirklich JEDER Grieche mit Inbrunst mitbrüllt. Allerdings klingt bei diesem Meilenstein schon an, was sich im Setverlauf an einigen Stellen noch weitaus gravierender bemerkbar machen wird. Angra strotzen vor Kraft! Mit einem starken, aber sehr Powermetal-lastigen neuen Album im Gepäck holen die Südamerikaner jetzt auch bei ihren Liveshows den Rundumschlaghammer aus, was den neuen, aber auch den schnellen, alten Stücken wie "Carry On" oder "Nothing To Say" natürlich nur zum Vorteil gereicht. Den Unterschied Angras zu ihren zahllosen europäischen Kollegen aber machen die zerbrechlicheren, ruhigeren Kompositionen aus, in denen die brasilianischen Wurzeln deutlich zutage treten, doch auch diese werden an diesem Abend mit einer Extraportion Power dargeboten, und so mutiert "Never Understand" vom Klasse-Debüt "Angels Cry" zu einer lupenreinen Powermetalhymne, "Heroes Of Sand" wird auch eine ganze Ecke schneller gespielt und beim ansonsten speedigen "Millenium Sun" lässt man den einfühlsamen Pianoeinstieg gleich ganz weg. So nehmen sich Angra mit ihrem neuen Kraftmeierselbstverständnis leider selbst ein wenig ihres unverwechselbaren Spirits, ihrer brasilianischen Seele und machen sich dadurch austauschbarer, uninteressanter. Dazu kommt, dass man mit Rafael Bittencourt einen der unsympathischsten Gitarristen der Szene in seinen Reihen hat, dem kaum mal ein Lächeln übers emporgereckte Gesicht fährt und sich so gut wie nie von der Stelle bewegt. Zum Glück hat man da einen dauergrinsenden Sänger wie Edu Falaschi, der beinahe wie die Jungs von Dragonforce die Bühne zu seinem natürlichen Lebensraum erklärt und unentwegt mit dem Publikum kommuniziert, sich bedankt, es anfeuert. Zwar kann er in Punkto Ausstrahlung seinem übermächtigen Vorgänger Andrè Matos noch nicht ganz das Wasser reichen, aber stimmlich braucht sich Falaschi keineswegs zu verstecken. Großartig, wie er den Satzgesang in "Rebirth" anführt oder im überlangen, sehr gelungenen "Shadow Hunter" auch die schwierigsten Passagen meistert. Auch ältere Songs wie das sauschwere "Carry On" kriegt der Frontsympathikus gut hin, wofür er vom Publikum Extrabeifall und "Edu, Edu"-Rufe spendiert bekommt. Bei diesem Song sind wir übrigens schon bei der ersten Zugabe angelangt, der nur noch das mittelprächtige "Nova Era" folgt.
So machte ich mich mit einem unbestimmten Gefühl auf den Nachhauseweg. Nun, Angra hatten fast 2 Stunden gespielt, die Setlist ließ kaum Wünsche offen ("Carolina IV"!!!), der Sound hatte sich merklich gebessert, und auch die Leistungen der Musiker waren erwartungsgemäß über alle Zweifel erhaben. Und dennoch hatte ich mehr erwartet von einer Band, die wie kaum eine Dritte (die Erste heißt natürlich Sepultura) brasilianische Rhythmen auf der Metallandkarte etabliert hat. Einfach ein bisschen mehr kollektive, südamerikanische Lebensfreude - hättet ihr euch mal ein Beispiel an euren Fans genommen, die waren heute brasilianischer als ihr ...

Setlist Angra:
1. Deus Le Volt/Porta XIII
2. Spread Your Fire
3. Waiting Silence
4. Acid Rain
5. Nothing To Say
6. Carolina IV
7. Angels And Demons
8. Wishing Well
9. Millenium Sun
10. Never Understand
11. Heroes Of Sand
12. Rebirth
13. Shadow Hunter
14. Temple Of Hate
15. Carry On
16. Nova Era



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