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J.B.O., The Traceelords 09.10.2004 Chemnitz, Südbahnhof
von rls
Anno 1998 spielten Manowar einen denkwürdigen Gig im Chemnitzer Südbahnhof, anno 2004 wollten ihnen J.B.O. nacheifern, wenngleich der Umzug aus dem Kraftwerk, wo die Band ihre letzten Chemnitz-Gigs absolvierte, in den Südbahnhof nicht ganz freiwillig geschah, da das Kraftwerk momentan geschlossen ist. Der Südbahnhof hat den Nachteil einer eigenwilligen Gebäudekonstruktion mit etlichen Pfeilern in der großen Halle, so daß das Publikum im gut gefüllten Saal eine etwas abstrakte Standanordnung einnehmen mußte.
Beim Betreten des Saals nach backstage erfolgreich aufgezeichnetem Interview mit Hannes und Vito schallte dem Rezensenten eine ebenso skurrile wie unterhaltsame Umbaupausenmusik entgegen: Eine namentlich nicht bekannte Combo hatte sich diverse Rock- und Metalklassiker vorgenommen und diese in Blues-, Swing- oder BigBand-Versionen umgewandelt. So konnte man "Smoke On The Water", "Enter Sandman" oder "No More Mr. Nice Guy" völlig neue Qualitäten abgewinnen. Nach der ersten Strophe von Ozzys "Crazy Train" wurde das Band allerdings abgestellt, und The Traceelords kamen auf die Bühne. Die hatte ich vor einem knappen Monat gerade erst als Support von Whitesnake in Leipzig gesehen, und der Chemnitzer Gig unterschied sich nur unwesentlich von damals; sowohl die Setlist als auch die Gags überschnitten sich zu großen Teilen, Andy wanderte samt Gitarre wieder durchs Publikum, und sogar der fehlende Publikumseinsatz beim ersten Mitsingpart in "Sex Money Rock'n'Roll" replizierte sich. Mit den zwischenzeitlich aufkommenden "J.B.O."-Schlachtrufen wußte die Band routiniert umzugehen, spielte ihren Rock'n'Roll kompetent herunter und hatte insgesamt einen etwas besseren Sound als in Leipzig, so daß man sogar die Leadgitarren halbwegs problemlos heraushören konnte. Vor der linken Bühnenseite bildete sich auch schon ein ansehnlicher Moshpit, und "Daddy Cool" beendete wie schon in Leipzig den Set.
Die Umbaupause wurde erneut mit der oben erwähnten CD untermalt; leider ließ man sie wieder von vorne durchlaufen, anstatt bei Ozzy weiterzumachen. Aber "Smoke On The Water" oder Van Halens "Panama" hörte man gern noch ein zweites Mal, und wer vorm Gig nicht von CD-Laufbeginn anwesend gewesen war, durfte sich eben jetzt über Songs wie Dios "Holy Diver" freuen. J.B.O. selbst begannen ihren Set manowaresk, nämlich mit dem von einer Art Rübezahl erzählten "Warriors Prayer" (bei ihnen bekanntlich "Eine schöne Geschichte" betitelt), das in "Verteidiger des wahren Blödsinns" überging, dem wiederum nahtlos der Titeltrack des neuen Albums "United States Of Blöedsinn" folgte, der lange Zeit erstaunlicherweise der einzige von diesem Album bleiben sollte. Die Band brachte es fertig, in die zweieinhalb Stunden Set praktisch fast ausschließlich Highlights zu packen, und zwar sowohl solche der Coversparte als auch Eigenkompositionen. Mal ging's mit "Laß mich dein Hofnarr sein" ins Mittelalter zurück, mal versetzte "Schlaf, Kindlein, schlaf" (das im Original mal "Enter Sandman" hieß) das Auditorium keineswegs in selbigen Zustand, und als Gaststar hatte man wieder Luciano Pavarotti aufgeboten, in dessen Rolle sich Vitos klassische Gesangsausbildung auszahlt, indem er sowohl in "Roots Bloody Roots" als auch in "Whole Lotta Rosie" astreine Heldentenorparts umsetzen kann. Der Gesamtsound war recht laut, trotzdem blieben die Instrumente klar differenziert. Das größte Paradoxon des Gigs stellte "Danke für diesen guten Morgen" dar, das man in eine Version umgewandelt hatte, die den Intentionen von Martin Gotthard Schneider nur noch teilweise entsprach (es sei gestattet, an dieser Stelle die letzten beiden Strophen anzuführen: "Danke für diese guten Drogen, danke für jeden tollen Sex. Danke für unser Weihnachtsgeld und für gedeckte Schecks./Danke für jedes schöne Mädel - danke, du machst uns wirklich froh. Danke, du bist ein guter Herrgott - wir sind J.B.O.!"). In der ersten Zeile der letzten Strophe "jedes" in "dieses" umzuwandeln und sie nach rechts zu singen, wo unmittelbar neben mir tatsächlich eine wunderschöne Frau mit langen dunklen Haaren stand, war leicht - leider verschwand die unbekannte Schöne etliche Zeit später während des Drumsolos, nachdem sie um 22.55 Uhr auf die Uhr unserer unmittelbar hinter dem Moshpit auf der linken Bühnenseite stehenden Vorderleute geblickt hatte (Such-Details im neuen Gästebuch auf www.jbo.de, Eintrag vom 15.10.2004). Besagtes Drumsolo hätte nicht zwingend sein müssen und bildete neben "Voll im Arsch" den einzigen kleinen Schwachpunkt des Sets - letztgenannter Song bildet auf Konserve zwar ein reizvolles Glanzlicht, aber durch die Nahezu-Unverständlichkeit des Sprechgesanges von Bassist Ralph, der hier die Vocals übernommen hatte, blieb der Kultfaktor in der Liveversion etwas auf der Strecke. Damit wären wir aber wieder beim Thema "neues Album" - von diesem kam in der zweiten Sethälfte dann doch noch einiges zum Zuge, wobei sich J.B.O. dankenswerterweise die Highlights herausgesucht hatten (einzig das allerdings schwer umsetzbare "Das vokuhilische Pendel" fehlte, und eigentlich hätte ich auch mit "Tutti Frutti" gerechnet, das aber nicht gespielt wurde). Mit dem programmatischen "J.B.O. wird niemals sterben" (das paradoxerweise nach "Ein guter Tag zum Sterben" positioniert wurde) endete der reguläre Set, der durch das bekannte Bühnengelaber (dessen Kultfaktor auch an diesem Abend Schwankungen unterworfen war) eine beträchtliche Ausdehnung erfahren hatte (die Phantomspeisung hätte man beispielsweise etwas kompakter abhandeln können). Im Zugabenteil forderte man zunächst Doup von Joanna, damit man hernach "Ein Fest" feiern konnte (Nicht-J.B.O.-Kennern vermutlich als "Go West" der Pet Chop Boys geläufiger). Den zweiten Zugabenblock eröffnete "Arschloch und Spaß dabei", bevor der Gig schloß, wie er begonnen hatte: mit einer Manowar-Adaption nämlich, diesmal der von "Carry On", das die Bandhymne "J.B.O." abgeworfen hatte, womit meine Befürchtung aus dem Review zur neuen CD, aufgrund des Gehalts von gleich drei pathetischen Hymnen (die auch alle drei live gespielt wurden) könnte das Manowar-Teil den kürzeren ziehen, negiert werden konnte. Letztlich präsentierten J.B.O. einen ausgewogenen (und überlangen) Set, in dem wohl jedem irgendein Song gefehlt haben dürfte (ich z.B. hätte gerne noch "Wir sind die Champignons" gehört), der aber trotzdem durch hohen Unterhaltungswert glänzte, entsprechend enthusiastische Publikumsreaktionen hervorrief und sich somit durchaus auf eine Stufe mit dem 1997er Chemnitz-Gig stellen darf (wenngleich dessen Kultfaktor durch die Supportband Roh und deren Hymnen Marke "Ich möchte nicht mehr mit der Kelly Family verwechselt werden" damals noch potenziert worden war).
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