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Pokolgép, Testimony, Blackeight   28.02.2004   Tanna, Kuhstall
von rls

So funktioniert der musikalische Underground: Eine Band organisiert Gigs in ihrer Region und lädt eine andere dazu ein, welche sich in ihrer Region in analoger Weise revanchiert. Auf diese Art und Weise kamen die Ungarn Pokolgép zu einer Reihe von Deutschland-Gigs und umgekehrt die Erzgebirgsbewohner Testimony zu Auftritten in Ungarn. Pokolgép sind zwar in Ungarn längst schon Overground, aber im restlichen Teil der Welt wie fast alle anderen Bands ihres Heimatlandes nur einem eingeschworenen Fankreis bekannt (auch offizielle Nachschlagewerke versagen hier recht oft - in Garry Sharpe-Youngs "A-Z of Power Metal" etwa fehlt die Band ganz, und auch "The Ultimate Hard Rock Guide" vom Heavy, oder was!? führt nur zwei Releases aus den Mittachtzigern auf, wonach niemand auf die Idee käme, daß die Band längst eine zweistellige Zahl Alben veröffentlicht hat und zudem auch heute noch aktiv ist). Dieser eingeschworene Fankreis kam allerdings in verhältnismäßig großer Anzahl in den Kuhstall nach Tanna - das ist tatsächlich das Stallgebäude eines ehemaligen großen Vierseithofes in einem Dorf im Altenburger Land, das grob geschätzt vielleicht 30, keinesfalls mehr als 50 Einwohner zählen dürfte. Selbige Lokalität gilt schon seit Jahren als Geheimtip, wenn es um ehrliche handgemachte Livemusik geht, und da der Boden gefroren war, blieben auch die Wegverhältnisse annehmbar - bis auf die den Ort tangierende Durchgangsstraße sind asphaltierte Straßen in Tanna unbekannt, was nach flüssigen Niederschlägen eine etwas, ähem, gewöhnungsbedürftige Bodenbeschaffenheit hinterläßt.
Da die Slowaken Romeo Verzik krankheitsbedingt absagen mußten, sprangen Blackeight ein, auf dem Zettel an der Kasse u.a. mit einem Nightwish-Vergleich belegt. Aber Pustekuchen - obwohl, die bandeigene Umschreibung "Hard-Melodic-Goth-Rock" trifft's auch nicht so richtig, denn Blackeight waren schon eindeutig im Metal anzusiedeln, musikalisch einen Härtegrad auffahrend, der etwa im gemäßigten Power Metal lag, bisweilen auch etwas darunter, und ohne Keyboards auskommend. Den Gesang teilten sich der Leadgitarrist und ein optisch sehr ansprechendes weibliches Wesen, wobei auffiel, daß die als ältere Stücke angesagten Kompositionen (ich bin mit dem bisherigen Schaffen der Band alles andere als vertraut) tendenziell mehr männliche Vocals beinhalteten, während der weibliche Anteil in den neueren Songs größer war, was eine dementsprechende Besetzungsentwicklung nahelegen würde. Ganz ausgereift klang das Gesangswechselspiel noch nicht, denn in tieferen bis mittelhohen klaren Regionen behinderten sich die beiden Stimmen etwas zu sehr, nahmen sich gegenseitig zuviel Platz weg. Stark dagegen die Parts, wenn der Gitarrist eher rauh zu Werke ging oder aber die Sängerin die Höhenlagen ihrer Stimme ausspielte, ohne allerdings irgendwelche klassischen Anflüge zu zeigen, was den Nightwish-Vergleich ein weiteres Mal negiert. Somit taugt etwa eine Band wie Backslash viel eher zum Vergleich, obwohl auch das stimmlich nicht ganz hinkommt. Blackeight hatten allerdings das Problem, daß manche der angedüsterten Melodien das gewisse ganz große und geheimnisvolle Etwas vermissen ließen - man lag meist nur knapp daneben, aber eben doch. Covers gab's auch, unter denen "Please Don't Touch" herausragte (im Original von einer Formation namens Johnny Kidd And The Pirate, populär geworden allerdings mit der covernden Kollaboration von Girlschool und Motörhead Anfang der 80er), das zugleich auch den höchsten Durchschnittsgeschwindigkeitswert aller Songs aufwies. Nachdem nicht so ganz klar war, wie die Zugabesituation aussähe, gab's sogar deren zwei - zum guten Schluß intonierte die Band noch eine kaputte Version von "Kam ein kleiner Teddybär".
Um Verwechslungen vorzubeugen, sei nochmals erwähnt, daß es sich bei diesen Testimony hier um die aus Annaberg-Buchholz handelte und nicht etwa um die gleichnamige ungarische Band aus Leninvaros bzw. Dunaujvaros (die sich nach Info von Testimony-Danilo mittlerweile in Tesstimony umbenannt haben, um die Verwechslungsgefahr zu verringern). Testimony zeigten sich im traditionellen Metal zu Hause und überzeugten mit viel Spielfreude und bisweilen hohem Tempo, wobei lediglich die hauptsächlich in die älteren Tracks gelegentlich eingewobenen sehr schnellen Stakkatoparts mitunter wie aufgesetzt wirkten. Dafür gehörte die Band zu den seltenen Exempeln, wo ausnahmslos alle Mitglieder am Gesang beteiligt sind, wobei sich Drummer und Bassist auf die herb gebrüllten Passagen konzentrierten, der mehr Rhythmusparts spielende Gitarrist die shoutenden Backings beisteuerte, der mehr Leadparts spielende Gitarrist höhere melodische Backings sang und der eigentliche Leadsänger all das übernahm, was noch übrigblieb. Leider hatte speziell er mit Soundproblemen zu kämpfen, denn nachdem Blackeight sauber und in angenehmer Lautstärke musiziert hatten, klangen zunächst die Gitarren in den ersten Testimony-Songs so, als ob man mit den Fingern schnell über ein Waschbrett fährt. Dies meinte der Soundmensch mit dem Schieben des Lautstärkereglers nach oben beheben zu können, was auch klappte, aber eben wie erwähnt die Leadvocals beeinträchtigte, indem das Klangbild zwar anders, aber auch unsauberer wurde. Vielleicht entstand dadurch auch der Eindruck, den ich bei den Covers "Melancholy (Holy Martyr)" und "2 Minutes To Midnight" hatte - einige Silben, mitunter ganze Wörter verschwanden, und es war nicht festzustellen, ob sie vom Sänger oder vom Sound "verschluckt" wurden. Mein Favorit des Sets hörte auf den Namen "Ebony Wall", ein schon etwas älterer Track, aber auch diverse neue Songs, bisher noch nicht konserviert, überzeugten.
"Az a szep, az a szep, akiknek a Pokolgép!" Die legendären Ungarn ließen als Intro unoriginellerweise mal wieder Orff laufen (man wartete eigentlich an einem ganz bestimmten Punkt nur auf das Überleiten in Iced Earths "Angels Holocaust" ...) und hatten etliche Anlaufschwierigkeiten - ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, daß die rhythmisch zerrissenen Strophen des Openers tatsächlich so geplant waren. Ab Song zwei aber war alles in bester Ordnung, präsentierte sich eine extrem spielfreudige Traditionsmetalformation, die der schon recht "bewegten" Darbietung Testimonys locker noch eins draufsetzte. Man frage mich nicht nach Songtiteln oder einer Setlist - bis auf das "Ancient Fever"-Album, das eine englischsprachige Version von "Csakazértis" darstellt, singen Pokolgép komplett in Ungarisch, was angesichts meiner sich in sehr marginalem Umfang bewegenden Kenntnis ihres Songmaterials für akute Schwierigkeiten beim Reproduzieren dieser Komponenten sorgt und sich auch die zeitliche Einordnung nur auf die Ansagen "New song" stützen könnte. Fest steht, daß mir Pokolgép an diesem Abend am besten gefielen, wenn sie entweder konsequent aufs Gaspedal drückten oder aber balladesk zu Werke gingen (u.a. eine starke Akustikballade im zweiten Zugabenblock!), wohingegen sich unter die den Set dominierenden, vergleichsweise abwechslungsreichen Midtempotracks auch einige wenige Schläfer geschlichen hatten, über die man aber angesichts der dominierenden hohen Qualität hinwegsehen konnte. Nicht hinwegsehen kann man über einen anderen Aspekt: Der Soundmensch hatte die Regler noch ein weiteres Mal nach oben gedrückt. Dabei brachte er das Kunststück fertig, daß trotzdem alles glasklar klang - kein alles zudeckendes Schlagzeug, kein Rhythmusmulm, keine Feedbacks, nichts. Aber: Die Gesamtlautstärke lag (durch die niedrige Gewölbedecke des Raumes vermutlich potenziert) damit fast im unerträglichen Bereich, speziell Joe Rudáns hohe Schreie (und davon gab es nicht wenige) entwickelten sich zur akuten Gefährdung für das Wohlergehen des Trommelfells, selbst wenn man wie der Rezensent wohlweislich mit Gehörschutz ausgerüstet war. Wie gesagt: Die Klangbalance stimmte - aber trotzdem sollte man von derartiger Gesundheitsgefährdung etwas Abstand nehmen (ich fühlte mich schmerzhaft an Seven Witches im Juni 2002 in Zwickau auf der Annihilator-Tour erinnert, wo Wade Black ähnliche Schreie in ähnlicher Lautstärke von sich gab), zumal der Sound bei Blackeight bewiesen hatte, daß es auch anders geht. Dafür konnten Pokolgép nichts - die wurden mit Sprechchören abgefeiert, Sänger Joe stellte die Bandmitglieder gleich dreimal vor, und ohne ausführliche Zugaben kamen die Ungarn um das einzige verbliebene Gründungsmitglied, den Gitarristen Gábor Kukovecz, trotz der Tatsache, daß es mittlerweile weit nach 2 Uhr war, auch nicht davon. Man weiß ja nie, wann man sie hier in Deutschland mal wieder sieht ...



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