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Feel the spirit. Pop trifft Religion. Jugendforum zum Ökumenischen Kirchentag   29.05.2003   Berlin
von *tf

Dauerbrenner brennen zwar dauernd, aber nicht immer lodernd. So lässt sich das thematische Jugendforum kurz und knapp zusammenfassen. Für die oder den Interessierten dennoch ein paar Einzelheiten.
Eine riesengroße Halle auf dem Gelände des Berliner ICC. Seit drei Uhr Nachmittags turnt unter dem Motto "Feel the Spirit - Enjoy yourself" ein begnadeter Vortänzer, der direkt einem House-Schuppen entsprungen zu sein scheint, auf der Bühne das vor, was die gut besuchte Halle nachturnt. In deutsch-demokratischen Zeiten nannte man dies "Medizin nach Noten" und auch heute ist's sicher gut für die Durchblutung. "... kann ich noch mal Lied 2 haben?" Natürlich kann er, die Technik hat alles im Griff und die Masse lächelt und enjoyt sich self.
Kurz vor siebzehn Uhr wird's dann stille auf der Bühne und Stühle werden gerückt, damit's ein wenig nach Christiansen aussieht. Mindestens ebenso bedeutungsvoll soll's ab sechse werden, wenn Eric Bond, Jean Francois Drozak, Oswald Henke, Daniel Keck, Rainer Mittelstädt und Dr. Christa Zöller unter der fluffigen Moderation von Andy und Martina Weiss weiss-heitliches zum Thema Pop und Religion absondern sollen. Das Licht geht pünktlich an, mehrere kurze Hallos werden ins Rund geschleudert und zunächst betreten "Baff" die Bühne und rocken uns eins. Gute Musik, solide aber verwechselbare Texte und die Show die man bei Bravo-TV gesehen hat. Durchaus überzeugend, durchaus professionell, dabei durchaus nicht neu. 1995 in Hamburg hieß die Band zum Popforum "Reim-G-Beat" und klang vergleichbar.
Folgend nun ein Einkreisen des Themas "... miteinander ins Gespräch kommen", "wir befragen Deine Stars ..." und "... wir haben interessante Gäste ..." höre ich, dann betritt die Sängerin von "normal generation?" die Bühne zum kurzen Plausch, berichtet von den Mühlen des Showbiz und wie schwer es ist, sich dort zu behaupten. Dann der Vergleich "christliche Musik" mit "christlichen Brötchen" und der Schlussfolgerung, dass es so was nicht geben kann. Was ist denn nun das besondere an Bands wie "normal generation?", die mit nicht unwesentlichem Aufwand von der deutschen Christenheit zum Grand Prix gepusht werden? Rebecca sagt dazu, dass man eben christliche Künstler an ihren Texten und an ihrer Lebensführung erkennen könnte. Also doch! Und noch ein wichtiger Hinweis an alle, die im Zielvisier ihrer Mucke jugendliche Hörerschichten hat: "... du musst den Jugendlichen so kommen, wie sie's selbst gewohnt sind." Also doch eher Entertainment-Dienstleister als Künstler? Man wird ja noch mal fragen dürfen ... Gleich noch mal sind Künstler ins Gespräch verwickelt. Die Baffs wollen auch in die Charts. "Zunächst muss die Qualität stimmen", sagen sie (was sie tut) und dann könnte ruhig etwas nachgeholfen werden. Also wieder Kettenbriefe der Unterstützung zum nächsten Grand Prix? Warum nicht zum MTV-World-Award?
Zurück zum Bühnengeschehen. Dort haben sich mittlerweile die Schwergewichte der Pop-Religions-Diskussion versammelt. Rainer Mittelstädt, seines Zeichens Geschäftsmann, der auch in der Gothicszene agiert (aber nicht nur - Anm. rls), stellt zunächst klar, dass Pop Religion ist, und sich Pop darum gut verkauft, weil sich Religion gut verkauft. Nur Christen machten den Fehler, dass sie jegliche Mucke kategorisieren würden, und dass das genuin christliche dann nicht an der Musik, sondern am Text und am Inhalt festgemacht würde. Etwas Worte hin, etwas Worte her, keine weiteren 10 Minuten sind inzwischen vergangen und das Thema ist dort gelandet, wo es sich in derlei Diskussionsrunden immer nach kürzester Zeit befindet: beim "Dark Metal". Man rudert hin, man rudert her, bis Mittelstädt kurzerhand ein wesentliches Unterscheidungskriterium einführt: den Text. So widerspricht er zwar innerhalb von Minuten seiner ersten Aussage, dem Moderatorenteam, welches moderat und freundlich in die Runde lächelt, fällt dieser grobe Schnitzer aber nicht auf. Vorher war es eben so, jetzt so: so what? Erste Runde, erstes technisches k.o.
Nun kommt der intellektuell-wissenschaftliche Gesprächspartner, Frau Dr. Christa Zöller, im Leben außerhalb der Bühne Lehrerin für kath. Religion und Musik, an die Reihe. Sie plaudert zunächst ein wenig aus ihrem Nähkästchen, vom großen Interesse, das kennen zu lernen, was ihre Schüler bewegt: Rockmusik. Eigentlich liebt sie vor allem Klassik, aber durch intensives Studium einschlägiger Literatur hat sie viel über Rock und Pop gelernt. Soviel, dass sie sogar darüber promovierte. Nun, auch ich glaube an Wunder. An solche indes nicht. Und während man noch beflissen miteinander schwätzt, ist es wieder da: diesmal das Thema Satanismus. Hier meldet sich der dafür zuständige Experte zu Wort.
Daniel Keck - Herausgeber des "christlichen Internetportals für schwarze Kunst" (www.innenseiten.de) geht zum frontalen Gegenangriff über: nicht der Musiker, die Hörer treffen solche Schubladenzuweisungen. Oft werden Künstler missverstanden, die wenigsten bekennen sich dazu. Vergleiche dazu Mittelstädt (siehe oben): "Religion verkauft sich gut ...". Und gleich als Erklärung, was denn dies sein soll "christliche schwarze Kunst": "... es kommt darauf an, was der Musiker mit der ihm eigenen Musik ausdrücken will ...". Musikalisches Wollen als Ersatz für dermatologische Bemühungen? Sicher nicht. Die Kunst ist frei, die Inhalte bestimmen wir. So schon eher. Und durchaus plausibel, solange Grenzen nicht überschritten werden. Aber das will die Fachfrau natürlich nicht einfach so stehen lassen. "... an den ausgefransten Rändern gibt es etwas Satanistisches ..." meint sie, worauf Herr Keck sie auf die eigenen Definition der Satanisten verweist. Unverständnis allerorten untereinander und das Moderatorenehepaar lächelt zu all dem Verständnis.
Doch die Zeit drängt und Jean Francois Drozak, der Prototyp des gelockten Fauns, betritt unsere und die Aufmerksamkeit der Moderatoren. Christliche Musik ist für ihn nicht aus dem Negativ erkennbar, ebenso wenig sich ein Geldprüfer die falschen Scheine besieht. Macht er aber doch und auch weil Musik kein Ding ist, holpert der poetische Vergleich. Frau Dr. Zöller interveniert mit dem Hinweis, dass es doch schade ist, dass moderne Musik nicht in der Kirche ist. Und das ist so, weil man sich nicht mit ihr auskennt. Weil keiner Dr. Zöller gefragt hat gar. Aber schon ist die Aufmerksamkeit wieder bei Jean, der sich inzwischen eine Trommel umgehängt hat und trommeln will, auch soll, damit es fürs Auditorium nicht so langweilig wird. Mittelstädt merkt noch an, dass es auch spirituelles Trommeln gibt, aber da hat er Jean auf dem falschen Fuß erwischt. Religion ist demnach ein negativer Begriff, etwas, das sich Theologen oder noch Schlimmeres ausgedacht haben, um damit Gleichungen aufzustellen. Vielmehr geht es um lebendige Nachfolge. Zustimmung in dieser Richtung, jedoch Offenstimmung (Gegenteil von Zustimmung?) in puncto Polemisierung. Wie funktioniert das nun mit dem Ruf zur Nachfolge, mit der Missionierung á la Jean? Längerer Schwenk vorerst in Kindheitstraumata, die in kindlicher Spritzenphobie kulminieren, dann "... ich bin wie der Arzt, der dem Patienten die Spritze in den Hintern piekt ..." Hinterrücks missioniert also. Spätestens hier frage ich mich, welche Ideologie unser junger Freund hier vertritt. Aber anscheinend nur ich frage so. Die Moderatoren zeigen blitzende Gebisse, drängeln ein wenig, dass der Jean doch nun mal was mit den Leuten trommeln soll. Was er denn auch sogleich tut. Und wir hören zunächst die kleine Geschichte von den Regenwürmern, die überall aus der Erde kriechen. Diese sollen nun gemeinsam zertreten werden. Bei Kindern, so sagt Jean, ein Knüller und so wollen auch wir keine Spielverderber sein und zertreten im Rhythmus, den Jean uns vorgibt, Regenwurm um Regenwurm. Kurzes Intermezzo noch, als ein Mutiger nach Aufforderung die Rampe erklimmt und ein selbstgedichtetes Lied für seine Angebetete, die dies nicht weiß, vorträgt. Durchaus authentisches Jugendproblem und auch gut vorgetragen, aber mittlerweile weiß weder ich noch ein Großteil des Publikums, auf welcher Veranstaltung er hier ist.
Etwa die Hälfte des anfänglichen Publikums ist bereits gegangen, ich bleibe hier, weil ich ja noch gemeinsam mit der Leipziger Jugendpfarrerin Christiane Thiel und dem Markkleeberger Zivi Johannes Seger öffentlich die Veranstaltung reflektieren soll. Jean hat sich inzwischen ausgetrommelt, als Daniel Keck wieder das Mikro ergreift. Zurück zum Thema scheint es, als er meint, dass Musik lediglich Mittel zum Zweck ist. Und den Zweck bestimmen wir. Mit Texten. Rainer Mittelstädt protestiert nicht einmal mehr im Ansatz, und so hören wir folgend noch Statements aus der Runde wie "... Musik kann Menschen beeinflussen ..." und "... Vierzehnjährige können Musik und Realität unterscheiden ...". Der Austausch von Gemeinplätzen hätte sicher noch eine Weile so weitergehen können, wenn nicht der nächste Interviewgast schon wartend am Bühnenrand gestanden hätte: Eric Bond, Musiker und Leiter der Gospelsterne, die auch livehaftig anwesend sind. Sie singen gut - wie nicht anders zu erwarten - und Mr. Bond weist auf die Konzerte und CDs des Chores und auch des Juniorensembles "Gospelsternchen" hin. Das war auch schon fast alles, denn Eric Bond versteht und spricht nur ganz ganz wenig deutsch, weswegen er auch die Fragen nicht deuten kann und nach etwas gegenseitigem Bemühen um etwas Verständnis kurz sagt: "... Popularmusik ist heutige Musik ...", wonach er entschwebt.
Nächstes Interview, nächster Gast. Sandra Schindler ist Musiklehrerin und erzählt eine rührende Geschichte von ihrer ersten Geige und "nothing compares to u" von Frau O'Connor (die später den Papst zumindest bildtechnisch während eines Konzerts zerriss ...). Ja, Gottes Wege sind wunderbar, denn von nun an wollte Sandra Popmusikerin sein und einen Gast für das Lied was sie jetzt gleich singt, hat sie auch dabei. Das ist der Andy Lang aus Nürnberg, der dort als "Poppfarrer" in den Diensten des christlichen bayrischen Popularmusikverbandes steht. Andy mit Gitarre und Sandra mit Stimme wollen gerade anfangen zu musizieren, da wird noch schnell sandraseits erwähnt, dass das Lied von der neuen CD ist, und die kann man dann kaufen rechts neben der Bühne. Etwas Folk erklingt dann, ziemlich brav und ruhig, weswegen auch Frau Dr. Zöller versonnen den Kopf im Takt wiegt.
Nicht gewiegt hat dagegen Oswald Henke, der Sänger der Bayreuther Band "Goethes Erben", der sich zunächst zurücklehnt, als er an der Reihe ist, denn da gibt's ein Video zu sehen mit ihm drauf und das ist auch noch gut. Kaufen kann man es zudem auch. Hätte mich auch gewundert wenn nicht. Herr Henke beginnt mit dem Sterben und meint, dass man das ja auch mal positiv sehen könnte. Kann man, vielleicht nicht als Sterbender, aber als Mann wie Henke im Zenit seiner Kraft sicherlich. Weiter heißt es, dass "Goethes Erben" kritisch sind (wer ist das nicht ...) und das Glaube auch missbraucht werden kann (auch das nicht gerade neu, auch wenn's wahr ist ...). Pop ist nach Henkes Überzeugung Form ohne Inhalt, Religion dagegen Inhalt ohne Form. Über dieses Statement könnte man sicher mit Gewinn ein Weilchen meditieren. Aber hier auf dem Forum geht's schnell zur Sache, hasten wir weiter: "... Kirche ist zu kopflastig, muss die Sprache ändern ...". Sicher richtig. Jedoch aus dem Mund von Oswald Henke dies zu vernehmen, der kurz zuvor noch gegen die Plattheit der deutschen Popmusiksprache gewettert und die kunstvolle, vom Alltag abgehobene Sprache seiner Band als unschätzbaren Vorteil, Menschen zu erreichen, gepriesen hat, verwundert doch etwas. Kein Einspruch von rechts wie von links, gar von den Moderatoren. Eine gewisse Müdigkeit scheint sie alle befallen zu haben - was sich auch auf "Baff" übertragen hat, die recht lustlos noch zwei Songs abspulen - und mittlerweile sind zwei Drittel des Saals leer. Man beendet die Veranstaltung mit der vorhin erwähnten Reflexion (... wer sich das hat einfallen lassen ...), was auch nicht wesentlich zur Erheiterung beiträgt. Aber da ich hier mit von der Partie war, bitte ich um Nachsicht, dass ich hierüber schweige. Mein persönliches Fazit: eine Veranstaltung, die interessant klang, aber es dabei beließ. Es wurde versucht, es jedem recht zu machen, wobei allerdings ein Gemisch herauskam, das unverdaulich war. Dauerbrenner brennen dauernd und so wird's auch beim nächsten Kirchentag heißen "Pop trifft Religion". Bitte das nächste Mal mit Konzept, mehr Kompetenz und weniger Werbeverkaufsblöcken.






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