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Dream Diver, Weiss Heim   09.05.2003   Leipzig, Mühlstraße
von rls

Janets Lieblinge Dream Diver mal live zu begutachten hatte ich mir schon länger vorgenommen, und nun bot sich eine Gelegenheit dazu. Der Berichterstattung müssen allerdings einige Worte über die Location vorangestellt werden, denn der Keller des Kulturzentrums Mühlstraße ist so etwas Ähnliches wie eine Zwergenversion der ebenfalls in Leipzig befindlichen Moritzbastei, und der Raum, wo die Band und das Publikum Platz finden (sollen), ist nur unwesentlich größer als mein Wohnzimmer. Man fühlte sich also nicht wie auf einem Konzert als vielmehr auf einer Art Privatparty, wo die Bands vor einer handverlesenen Zuhörerschaft abrocken und ab und zu noch ein paar Partygäste vorbeischauen, die sich ansonsten in weiteren Räumen der Location mit anderen Dingen befassen.
Von Weiss Heim kannte ich vor diesem Abend nur eine kurze Stilbeschreibung, mehr nicht. Wer aus dem mit Frakturschrift ausgestatteten Logo eine Mittelalterband herausdeutete, lag ebenso falsch wie derjenige, der eine NDH-Band vermutete (und einer Verwechslung mit Weissglut unterlag). Die Interpretation als "arische" Band wiederum erscheint so abstrus, daß sie lediglich der Vollständigkeit halber erwähnt sei. Der korrekte Inspirationsstrang führt ins Jahr 1981, als ein gewisser Ritchie Blackmore, seinerzeit mit Rainbow beschäftigt, seine ersten Deutschkenntnisse erprobte. Dies ergab zwei Songtitel, von denen der eine mit "Vielleicht das nächster Zeit" reichlich skurril ausfiel (und der zugehörige Song sogar auf dem Longplayer "Difficult To Cure" landete), während der andere ebenjenes auch nicht gerade gewöhnliche Wort "Weiss Heim" transportierte, wobei es dieses ruhige Instrumental nur als Bonus auf die Single "Jealous Lover" (und später auf die Outtakes-Compilation "Finyl Vinyl") schaffte. Folgerichtig verbirgt sich hinter Weiss Heim also eine stark retrospektiv orientierte Band mit Haupteinflüssen aus dem Jahrzehnt zwischen 1975 und 1985, auch wenn die Setlist mindestens ein Stück neueren Datums enthielt, nämlich gleich das eröffnende Cover "The State I'm In" von Glenn Hughes (das zweite Hughes-Cover "You Kill Me" kann ich zeitlich nicht exakt lokalisieren, aber es dürfte gleichfalls nicht älter als 1996 sein). Hübsch paritätisch zwischen Covers und Eigenkompositionen zusammengestellt, enthielt der Set mit dem ellenlangen "How The Gipsy Was Born" von Frumpy und dem zwar nicht von Rainbow geschriebenen, aber in ihrer Liveinterpretation am bekanntesten gewordenen "Still I'm Sad" zwei weitere Seventies-Klassiker. Von den eigenen Songs war "Fight For Glory" schon fast im Mittachtziger-Power Metal anzusiedeln (und mit einem markanten Refrain versehen, dessen Melodielinie ich noch Tage später vor mir hersumme) und fiel deshalb genauso positiv auf wie das fast progressive Gefilde streifende, epische "Mary Jane". Weiss Heim bestehen aus vier exzellenten Instrumentalisten, was diese auch gern und oft zeigten, ohne jedoch logische Songflüsse abzuleiten oder aufzustauen (Keyboarder Klaus Benkendorf das Frumpy-Cover allein nur spielen zu SEHEN, war schon ein Erlebnis für sich - hier bot die Vorlage allerdings auch schon genug Raum, um sich die Finger wund zu solieren). Und hier lauerte gleich die nächste Überraschung, denn der ebenfalls extrem spielfreudige Gitarrist war kein anderer als Alex Ufholz, den einige sicher noch von Stormbringer N.T.L. kennen werden. Inspirationstechnisch ist er also offenbar einige Jahre zurückgegangen (man erinnere sich der Megadeth-Lastigkeit von "A Peaceful Man" oder der leicht grungigen Schlagseite von "Search For Landing"). Komplettiert wird seine neue Band von erwähntem Klaus Benkendorf an den Keys, Hannes Dreyer an den Drums, Markus Braig am Baß und der Sängerin Denise Niebuhr. Letztgenannte lag anfangs bisweilen etwas neben der Spur und schraubte sich im Refrain von "Fight For Glory" in derartige Höhen, daß sich dem Zuhörer dieser Passus einfach einprägen mußte. Mit fortlaufender Spielzeit wurde sie allerdings immer exakter, lediglich im abschließenden "Still I'm Sad" legte sie für meinen Geschmack ein paar Koloraturen zuviel auf die Gesangslinie. Trotzdem: Weiss Heim sind eine hochgradig entdeckenswerte Band für jeden, dem pure Spielfreude und hochgradige Musikalität mehr bedeuten als Trendorientierung und Effekthascherei. Das Publikum sah das zu Recht auch so.
Nach dem nun folgenden Gig von Dream Diver wußte ich endlich, was Janet mit ihrer seinerzeitigen Interviewüberschrift "'ne ziemlich dichte Einheit" gemeint haben muß. Erstens: Dream Diver waren laut. Und zweitens: Dream Diver erzeugten einen dichten Klangnebel, ohne aber unheimlich oder gar bedrohlich zu wirken. "Märkischer Wüstenrock" steht als Stildefinition auf der Homepage der Band - und ein wahrer Samum wehte auch an diesem Abend durch den Mühlkeller, das verbliebene Publikum rasch vor die Entscheidung "Dableiben oder Entfernen" stellend. Zum Gigende bestand das Auditorium dann aus noch genauso vielen Personen wie die Band. Dream Diver arbeiten mit drei Gitarren, was bedeutet, daß selbst in Passagen, wo einer halbakustisch und einer Leads spielt, immer noch einer übrigbleibt, der fette Riffs von sich geben kann. Dazu gesellte sich die Gesangsvielfalt, denn zum einen kann schon Gitarrist Chrissy nicht nur fast grungig leiden, sondern auch psychotisch brüllen, zum anderen steuerte auch Drummer Ruben noch Cleanvocals bei. In der optischen Komponente fiel noch etwas auf: War auf dem letzten mir bekannten Bandfoto gerade mal noch ein Langhaariger zu sehen, hatte Janet sich beim Interview bedauernd geäußert, daß Ruben kurz vorher seine Matte abgesäbelt hatte, so stand diesmal eine komplett langhaarige Saitenfront auf der Bühne und schüttelte die Köpfe so intensiv, als hätte jeder fünf Meter Aktionsradius zur Verfügung und nicht nur einen halben. Wenn Armored Saint "L.A.'s most headbanging band" waren, dann müssen Dream Diver "Potsdam's most headbanging band" sein. Man vergaß im Sound allerdings auch diverse Ruhepunkte nicht, die dem Sand kurz Gelegenheit gab, sich zu setzen, bevor der nächste Wüstensturm loswirbelte, wobei Dream Diver gar nicht mal so schnell spielen mußten, um stürmische Wirkungen zu erzielen. Lautstärke und eben Dichtheit des Gesamtauftritts taten auch so ihr Werk.



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