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Gothic Christ Vol. 1 mit Morphia,
Ancient Prophecy, Helianthus 16.05.2002
Leipzig, Rabet
von
rls
Schwarz gekleidete Gestalten
in Schwadronenstärke ziehen alljährlich zu Pfingsten durch Leipzig
- klarer Fall: es ist Wave Gotik Treffen. Landläufig wird diese Personengruppe
gerne mal pauschal als Satanisten abqualifiziert - diesem Bild wollten
die Jesus Freaks Leipzig ein vielschichtigeres entgegensetzen und luden
deshalb drei Bands ein, die rein stilistisch auch im regulären Programm
des WGT gut aufgehoben gewesen wären, aber zur christlichen Fraktion
zu zählen sind. Und so beschallten Morphia, Ancient Prophecy und Helianthus
ein zahlenmäßig ob des freien Eintritts starken Pendelbewegungen
unterliegendes Publikum, in dem die christliche Fraktion eine gewisse Mehrheit
besaß.
Helianthus waren als
"Minnerock" umschrieben worden, wobei der Rock allerdings ein starkes Übergewicht
über die Minne gewann, obwohl man bisweilen schon mittelalterliche
Einflüsse heraushören konnte. Der Vierer fabrizierte eine Stunde
lang zumeist mittelschnellen Metal mit diversen Schlagseiten in verschiedene
Richtungen. Mal meinte man In Extremo herauszuhören, mal Sentenced,
auch einige dezente Alternative-Schlenker fehlten nicht, ebensowenig wie
eine kleine Prise Grunge und dem Veranstaltungstitel gemäß eine
Portion Gothic. Die durchaus ansehnliche Sängerin Lydia erfüllte
die letztgenannte Komponente auch optisch mit Leben, demonstrierte ferner
gewisse Bauchtanzfähigkeiten und hob sich durch eine klare, aber nicht
kraftlose Stimme in mittleren Lagen von diversen Elfenklängen ab,
zumal sie bisweilen von Drummerin Anna Unterstützung in Form einer
zweiten Stimme bekam. Außerdem bediente sie bisweilen eine Art "Triola
für Erwachsene", die, wenn sie nicht gerade vom Sound unterschlagen
wurde, interessante harmonische Effekte zu setzen vermochte, besonders
im als erste Zugabe intonierten furiosen Instrumental, das gleichzeitig
den ersten Song markierte, den die Glauchauer jemals geschrieben haben.
Im restlichen Material saß noch nicht jedes Break hundertprozentig
dort, wo es hingehört, so daß es bisweilen etwas vor sich hin
holperte, andererseits zeigten Helianthus aber ein glückliches Händchen
für fast progressiv anmutende Tempovariationen innerhalb einzelner
Songs, die sich nicht auf das übliche "Halb oder doppelt so schnell"
beschränkten. Potential haben sie also im Gepäck, eine klare
Message ebenso (die sich auch im Bandnamen manifestiert, denn Helianthus
annuus ist nix anderes als eine Sonnenblume, und die richtet ihr Gesicht
genauso zum Licht wie die Bandmitglieder das ihrige), nur der Bassist sollte
verbal mitunter den alten Grundsatz "Weniger ist mehr" beherzigen (vielleicht
war das auch ein lokales Problem - exakt an der gleichen Stelle der Bühne
stehend konnte sich auch der Gitarrist von NoNo mehr
als drei Jahre zuvor pseudolustiges Gequassel nicht verkneifen).
Ancient Prophecys "Days
Of Doom"-CD gehört immer noch zu meinen Lieblingsscheiben im doomigen
Sektor, allerdings hatte mir die Band angekündigt, daß das neue
Material etwas anders klingen würde, und das tat es dann auch - aber
es war keineswegs schwächer, im Gegenteil: Ancient Prophecy sind ihrem
Ziel, einen eigenen Stil zu finden (den haben sie prophylaktisch schon
mal "Prophecy-Metal" genannt), ein gutes Stück näher gekommen,
und das versetzt den Rezensenten in die unangenehme Lage, daß ihm
so gut wie keine Vergleiche mehr einfallen. Der dem soundtechnisch etwas
verkorksten Intro folgende Opener jedenfalls war purer progressiver Speed
Metal auf höchstem Niveau, und mein spontaner Vergleich der Gitarrenarbeit
mit Dimmu Borgir stellte sich bei intensiverer Rekapitulation als irrelevant
heraus - nur, was ist es dann? Zumal der zurückgekehrte zweite Gitarrist
Tobias auch noch diverse Kreischvocals beisteuerte und man auch den Gesang
von Sängerin/Noch-Bassistin Andrea (der neue Basser Christian war
bei einigen Stücken bereits mit von der Partie, hatte aber noch nicht
das komplette Material intus) nicht so einfach einsortieren konnte, weder
den cleanen noch den etwas rauheren (wobei letztgenannter manchmal leicht
unsicher wirkte, da Andrea nicht hundertprozentig fit war, weshalb der
gut anderthalbstündige Set letztlich noch um ein Stück gekürzt
werden mußte). Natürlich haben Ancient Prophecy ihre Doom-Wurzeln
nicht vergessen, aber speziell die Gitarrenfraktion zauberte auch in den
Folgesongs, was die Saiten hergaben, ohne aber die Stücke sinnlos
zu zerfiedeln, und Trommler Lynn wütete wie ein Berserker hinter den
Kesseln. Der einzige Leidtragende dieses positiven Infernos war Keyboarder
Daniel, denn der stand im sonst gut ausbalancierten und nicht überlauten
Sound etwas zu sehr im Hintergrund. Überlange Tracks gehören
bei Ancient Prophecy nach wie vor zum guten Ton, vielschichtige sowieso,
und Tracks wie "Mission To Earth" wohnte auch eine eindeutige religiöse
Aussage inne. Diverses Material von "Days Of Doom" gab der Teilzeitsechser
natürlich auch zum besten, wobei der Titeltrack geplanterdings, "Hands
On The Wall" ungeplant etwas umarrangiert wurde, "Silent Dream" gegenüber
dem Rest leicht abfiel und "Omega" mit seinem wunderbar emotionalen Aufbau,
der mich nach wie vor an Helloweens "Follow The Sign" erinnert, einen reizvollen
Schlußpunkt setzte, zu welchem das Publikum allerdings schon etwas
ermüdet war. Wie sonst ist es zu erklären, daß zum vorletzten
Track "Alla Turcani" nur noch die anwesende CrossOver-Mannschaft in der
ersten Reihe enthusiastisch ihre Matte schüttelte?
Morphia bestiegen gegen
Mitternacht die Bühne, und ich hatte arge Bedenken, ob sie das Auditorium
noch einmal mitreißen könnten. Meine Ängste waren allerdings
grundlos, denn komischerweise füllte sich der Saal noch einmal, und
in der wieder voll besetzten ersten Reihe kreisten die Haare noch einmal
anderthalb Stunden lang fleißig. Die sechs Holländer legten
sich mächtig ins Zeug und entpuppten sich als Gothic Metal-Traditionalisten,
die wahrscheinlich nach "Within The Ancient Forest", "Shades Of God", "The
Ethereal Mirror", "The Angel And The Dark River" und "The Silent Enigma"
ihre Plattenschränke fest verschlossen haben. Tempotechnisch von slowstem
Doom bis hin zu verhältnismäßig schnellen Klängen
variierend, sorgten auch die Vocals für Abwechslung, denn der etatmäßige
Sänger konzentrierte sich auf mäßig tiefes und ausdrucksstarkes
Growling, wohingegen der Keyboarder wahlweise kreischte oder clean sang
und der Rhythmusgitarrist ebenfalls noch cleane Vocals beisteuerte. Daß
die beiden letztgenannten, als sie mal ein Duett anstimmten, an die Satzgesänge
der Münchener Freiheit (!) erinnerten, darf allerdings als purer Zufall
gewertet werden, obwohl oder gerade weil ich sowas noch bei keiner ähnlich
agierenden Band gehört habe. Der Doom Death des Sextetts war nicht
zwingend innovativ zu nennen, wußte aber mit zielsicheren Arrangements
zu begeistern, und so entpuppten sich die Alben "Unfulfilled Dreams" und
"Frozen Dust" (letztgenanntes, da gerade neu erschienen, stellte das Gros
des Sets) als hervorragende Ersatzdrogen für alle, die mit den neueren
Werken der Herren Paramaecium, Paradise Lost, Cathedral, My Dying Bride
und Anathema weniger warm werden. Jedenfalls
können sich die Holländer eine sehr gute Umsetzungsleistung gutschreiben
lassen, die nicht ins Langatmige abkippte (eine generelle Gefahr bei doomlastigen
Bands), und so setzten sie einen glanzvollen Schlußpunkt unter eine
Veranstaltung, die laut den Jesus Freaks zur Tradition werden soll und
dies hoffentlich auch wird.
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